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Let’s Make Money (2008)

Globalisierung, Kapitalismus, Neoliberalismus: Wenn filmisch Kritik an diesen Konzepten geäußert wird, dann wird das Resultat von den entsprechenden Fraktionen fast automatisch bejubelt, unabhängig von ihrer Form, ihrer Substanz oder ihrer Komplexität. LET’S MAKE MONEY, eine Dokumentation des österreichischen Filmemachers Erwin Wagenhofer, will den Weg des Geldes verfolgen, das wir auf unsere Konten einzahlen, und kann den erhobenen Anspruch kaum einlösen: Gezeigt werden diverse Auswüchse der Weltwirtschaft, die interessant und bestürzend sind, von Wagenhofer aber in einfachem Schwarzweiß gezeichnet werden und die komplexen Zusammenhänge darunter kaum aufzudecken vermögen.

Der Film zeigt Investoren, die in armen Ländern von billigsten Arbeitskräften und generellen Notzuständen profitieren und dabei euphemistisch von „emerging markets“ statt von der Dritten Welt sprechen. Er zeigt, wie Großmächte wie Amerika kleine Länder wie Burkina Faso per Subventionen in die Abhängigkeit und unter das Existenzminimum zwingen, obwohl das Land ohne diese „Hilfen“ von seinen Exportartikeln leben könnte. Er zeigt Betonwüsten in Spanien, die mit Geldern aus Pensionsfonds finanziert wurden und wie Geisterstädte leerstehen, weil sie der Wertsteigerung des Landes dienen sollten. Er erläutert, wie beispielsweise die Wiener Straßenbahn tatsächlich einer amerikanischen Firma gehört, an die die Stadt Wien jährlich Leasinggebühren zahlen muß, um sie überhaupt verwenden zu dürfen. Und er erklärt, wie die kleine englische Insel Jersey als Steuerparadies fungiert, weil dort über Treuhändergesellschaften riesige Geldsummen schnell und unkompliziert an andere Orte transferiert werden können – beispielsweise in die Schweiz, wo, wie uns gesagt wird, eine Steuerhinterziehung kein Grund für die Aufhebung der Privatsphäre darstellt.

Ja, die gezeigten Zustände und Machenschaften sind haarsträubend und zeugen wieder und wieder von der grenzenlosen Gier, mit der gewissenlose Geschäftemacher Ressourcen, menschliche Not und nicht zuletzt auch die nicht minder große Gier der anderen bis auf den letzten Tropfen ausnutzen. Soweit, so gut und so lobenswert der Film. Problematisch wird es, sobald wir über die Präsentation sprechen.

Da sind zunächst einmal die Bilder selbst, die stets zwischen banaler Bebilderung und bedeutungsschwangerer Schwere oszillieren. Eine ganze Reihe von Sequenzen bietet schlichtweg gar keine brauchbaren Bilder: Da läuft die Kamera dem Interviewpartner durch die freie Natur nach, während seine Stimme aus dem Off seinen Job als „economic hit man“ erläutert; dann blickt selbiger Gesprächspartner über Boote am Anlegesteg. Ein anderer Interviewpartner wird bei der Autofahrt vom Beifahrersitz aus gefilmt, und obwohl ständig an anderer Stelle mit Offstimmen gearbeitet wird, bleiben wir hier im Auto, als es in einen Tunnel fährt und die Kamera uns somit geraume Zeit nur Schwarz mit ein paar tanzenden Lichtern bieten kann. Überhaupt werden ständig Menschen in Autos interviewt, und wo es am Anfang noch als Konzept scheint, die schwerreichen Investoren abgeschirmt in ihren Wägen durch die ärmsten Gegenden fahren zu sehen, sieht man schon nach kurzer Zeit, daß die Interviewsituationen größtenteils beliebig sind. Mitunter haben die Bilder auch einen fast touristischen Touch, etwa wenn im Indien-Segment ein aufkommendes Gewitter in langen Einstellungen gezeigt wird. Schöne Einstellungen? Und wie, und dabei leider komplett willkürlich eingeflochten.

Auf der anderen Seite stehen die suggestiv komponierten Bilder: Eine Amerikaflagge, die sich in einer Pfütze wiederspiegelt und durch das bewegte Wasser verzerrt wird. Die Wiener Straßenbahn, die in Spiegelungen in Fenstern gebrochen wird. Oder Investor Mark Moebius, der durch ein merkwürdiges Spiegelarrangement im Fitneßstudio aussieht wie ein buckliger Zwerg (Wagenhofer scheint solche Brechungen zu lieben). Und natürlich: Ganz lange Einstellungen von Orten und Menschen, die im Betroffenheitstempo gezeigt werden. Da gehen wir durch die Slums in Indien, sehen die Kinder dort spielen, schauen den Frauen in Burkina Faso beim Baumwollepflücken und beim Steineklopfen zu – alles fraglos fürchterliche Zustände, die aber hier immer als exemplarische Platzhalter verwendet werden: Schaut mal, so schlimm ist es anderswo! Denn Wagenhofer geht es hier nicht um die gezeigten Menschen, sondern um Mahnmäler, die seinem Konzept die nötige Schwere geben.

Und gerade deswegen ist LET’S MAKE MONEY auch immer wieder ärgerlich: Wagenhofer verzichtet zwar völlig auf einen Off-Kommentar oder einen Erzähler, er tritt selbst nicht in Erscheinung, Informationen werden teils als Textwüsten auf den Bildschirm gepackt, und die als Impressionen verkauften Aufnahmen vor Ort suggerieren Neutralität – in Wahrheit aber hat der Regisseur ja von vornherein ein klares Ziel und eine klare Aussage, die er machen will, weswegen den vermeintlich nüchtern präsentierten Eindrücken auch mitunter etwas Unehrliches anhaftet. Immer wieder zerren Bilder am Zuseher, nichts läßt sich wertfrei betrachten. Es ist so, als ob man zur Bestürzung gedrängt wird: Ärmliche Hütten, ist das nicht schlimm? Und da, traurig schauende Kinder, ist das jetzt nicht wirklich schlimm? Und jetzt müssen die da den ganzen Tag Steineklopfen, für 50 Cent am Tag, jetzt sag doch endlich mal, daß das wirklich schlimm ist! Wenn Wagenhofer seinen Ansatz wenigstens laut aussprechen würde und damit zur Debatte stellen würde, würde dem Film wenigstens nicht so ein ständiger penetranter Hauch des Suggestiven anhaften. (Um Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich dezidiert darauf hinweisen, daß die gezeigten Zustände in der Tat schlimm sind und absolut menschenunwürdig: Die Kritik zielt auf Wagenhofers Präsentation ab, nicht auf das tatsächliche Gewicht der betreffenden Situationen.)

Dabei würde der neutrale Ansatz über einige Strecken hinweg sogar funktionieren: Die gezeigten Investoren und Finanzspezialisten reden sich ohne Drängen und Kommentierung ohnehin selber ins Eck. Da erläutert Moebius, wie der beste Zeitpunkt, zu kaufen, der ist, wenn „Blut auf der Straße liegt“, und gibt zu Protokoll, daß es nicht Aufgabe des Investors ist, über die Ethik des Unternehmens nachzudenken, in das investiert wird. Ein österreichischer Investor freut sich über die unkomplizierten Finanzmöglichkeiten in Indien, wo der Staat nie eingreift, und wundert sich noch, warum zum Beispiel in Österreich die Menschen über so viele vermeintliche Probleme diskutieren. Den größten Hammer liefert ein Schweizer Finanzexperte, der denkt, daß für Güter, Gelder und Dienstleistungen alle Grenzen offen sein sollen, für Menschen aber eine Art „Eintrittspreis“ verlangt werden sollte – wie bei einem Tennisclub, wo ein neues Mitglied ja auch Gebühren zahlen muß für die Nutzung dessen, was andere aufgebaut haben.

Leider kann der Film denn auch das eingangs gesetzte Ziel, den Weg des Geldes zu verfolgen, kaum erreichen. Die gezeigten Stationen scheinen willkürlich, es werden kaum komplexere Zusammenhänge aufgezeigt. Dabei ist der Film am spannendsten, wenn Interviewpartner eben solche Verbindungen erläutern und aufdecken: Der schon erwähnte „economic hit man“ John Perkins beispielsweise erklärt, wie ein Land in die Schuldenfalle getrieben und somit auf lange Zeit an eine Großmacht gebunden wird – und fügt hinzu, daß, wenn Saddam Hussein auf solche „Verführungsversuche“ eingegangen wäre, jetzt von den Vereinigten Staaten Panzer und Raketen und alles, was er sonst haben wollen würde, verkauft bekäme. Auch informativ sind die Erklärungen von SPD-Politiker Hermann Scheer, der schlüssig erläutert, daß die Privatisierung von Staatsgütern – also Gemeinschaftsgütern – letztlich der Gemeinschaft etwas raubt.

Aber diese Momente sind eher Inseln im Erzählfluß von LET’S MAKE MONEY, der lieber mit der Bestürzung arbeitet und in seiner Kritik der Konzepte der Globalisierung und des Neoliberalismus die wirklich problematischen Zusammenhänge kaum greift – die natürlich auch mit unserem Geld verknüpft sind: Wir fliegen zum Urlaub ins Ausland und lassen dort unser Geld; wir kaufen beim Discounter und nicht beim „normalen“ Supermarkt; wir lassen uns einreden, daß Geiz geil ist und wollen technologische Billigstangebote, wundern uns aber, warum Nokia die Produktion ins Ausland verlagert. Die Auflistung ist bewußt so gewählt, daß sie nicht einfach als „richtiges“ und „falsches“ Verhalten klassifiziert werden kann: Die Wege, die unsere Finanzen um die ganze Welt zurücklegen, sind nicht nur viel verwinkelter und unüberschaubarer als im Film präsentiert, sondern auch eben in dieser Verkettung gar nicht mehr so einfach schwarz/weiß zu zeichnen.

Es bleiben einige finstere Eindrücke und die Gewißheit, daß Gier grenzenlos ist und immer bleiben wird. Eigentlich schade, wenn man aus einer Dokumentation hauptsächlich lernt, daß die Welt schlimm ist. Vielleicht bin ich aber auch alleine darin, daß ich lieber wissen will, warum sie es ist und was man dagegen tun könnte.

Let’s Make Money (Österreich 2008)
Regie: Erwin Wagenhofer
Drehbuch: Erwin Wagenhofer
Kamera: Erwin Wagenhofer
Länge: 107 Minuten
FSK: 6

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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