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Comedy Central Roast of William Shatner (2006)

Oh Captain, mein Captain!

Captain Kirk im Kreuzfeuer: William Shatner als Ehrengast bei einem sogenannten Roast.

Von Traditionen behauptet man gerne, daß sie „schön“ seien: Was viele Menschen in regelmäßigen Abständen mehr oder minder ritualistisch pflegen, erweckt oft eine heimelige, leicht nostalgische Stimmung. Nun gibt es aber auch Traditionen, die – insbesondere Menschen, die einem anderen Kulturkreis angehören – weder schön noch pflegenswert erscheinen, sondern einfach nur befremdlich wirken. Während diese einleitende Worte uns direkt zu einer Beobachtung der TV-Debatten anläßlich der bevorstehenden Nationalratswahlen hinleiten könnten, wollen wir vielmehr den Blick in die Ferne lenken – genaugenommen nach Amerika, wo es eine etwas merkwürdige Tradition gibt, die sich „Roast“ nennt: Ein Ehrengast wird in eine Runde variabel komischer Personen gesetzt und darf sich über die Länge des Roasts hinweg von den Rednern beschimpfen lassen. Eigentlich unseren TV-Debatten gar nicht unähnlich.

Bei einem solchen Roast machen sich die geladenen Redner nicht nur über den Ehrengast, sondern auch über die anderen Gäste – inklusive der Zuhörer – lustig. Ein sogenannter Roastmaster moderiert das Geschehen, in dem nichts heilig ist und keine Grenze zu tief unterhalb der Gürtellinie sitzt. Erwähnt werden sollte vielleicht noch, daß es als große Ehre gilt, Subjekt eines Roasts zu sein. Die Tradition, die als Umkehrung des Toasts verstanden werden kann, existiert seit den zwanziger Jahren.

Der amerikanische TV-Sender Comedy Central feiert nun in regelmäßigen Abständen Roasts. Nicht immer erfolgreich: Der Chevy-Chase-Roast von 2002 fiel nicht nur unangenehm auf, weil kaum einer der geladenen Gäste etwas mit dem Komiker zu tun hatte, sondern auch, weil Chase selbst die Witze über ihn gar nicht komisch fand. Nach dem wilden Pamela-Anderson-Roast 2005 durfte vor einigen Wochen ein Mann Platz im Kreuzfeuer nehmen, der weithin dafür bekannt ist, den Weltraum in lässiger Sitzpose zu durchqueren: William Shatner, unser aller Captain Kirk.

Nun ist Shatner ja zweifellos der selbstironischste Star, der sich durch die Medien bewegt. Ob er sich nun in Filmauftritten über seine Vergangenheit lustig macht (siehe DIE UNGLAUBLICHE REISE IN EINEM VERRÜCKTEN RAUMSCHIFF oder SHOWTIME), in Werbespots den Dauerverlierer gegen seinen vulkanischen Freund Leonard Nimoy spielt, auf einer augenzwinkernden CD mit dem Titel HAS BEEN (in etwa: „Weg vom Fenster“) gesteht: „Sorry, but I’m real“ – Shatner nimmt sich keinen Meter zu weit ernst. Im US-Fernsehen kann er nicht nur Erfolge mit seiner neuen Serie BOSTON LEGAL feiern (die ihm bereits einen Emmy bescherte), sondern zieht sich und sein Image als leicht abgehalfterter Altstar mit Vorliebe selbst durch den Kakao – ob nun in einer Pseudo-Doku HOW WILLIAM SHATNER CHANGED THE WORLD („Hey, ihr Jungs seid gar nicht von der BBC!“) oder in dem TV-Special WILLIAM SHATNER IN CONCERT, wo er verschmitzt erzählt, er könne genauso gut reiten wie tanzen.

Ein Mensch, der sich und seine Arbeit mit einer derart gesunden Portion Humor betrachtet, ist für einen Roast natürlich bestens gewappnet. Zu den Gästen gehörten seine Enterprise-Gefährten George Takei (Sulu) und Nichelle Nichols (Uhura), weiters Betty White aus den GOLDEN GIRLS (die jetzt mit ihm in BOSTON LEGAL spielt), sowie einige Menschen, die mit ihm nur tangentiell etwas zu tun haben: Farrah Fawcett (3 ENGEL FÜR CHARLIE), Kevin Pollak, Fred Willard, und einige Komiker, die hierzulange weitestgehend unbekannt sind – „Insult comic“ Lisa Lampanelli, Artie Lange, und der völlig unzurechnungsfähige Andy Dick. Als Roastmaster fungierte Jason Alexander (aus SEINFELD) – der Shatner neben den Witzeleien immer noch am meisten Respekt entgegenbrachte.

Wie einleitend schon angedroht, bewegten sich die Späße der Redner gerne unterhalb der Gürtellinie – mit viel Raum nach unten. Dabei wurden die üblichen leichten Ziele gewählt: Shatners Toupée, seine eingeschränkten schauspielerischen Fähigkeiten. George Takei, der sich erst kürzlich öffentlich zu seiner Homosexualität bekannte, wurde mit einigen Dutzend Schwulenwitzen bedacht, die er alle augenscheinlich zum Brüllen komisch fand. Betty White, mittlerweile jenseits der 80, schaffte es, einen rassistischen Witz auf Kosten von Nichelle Nichols zu reißen und Farrah Fawcett entgegenzulächeln: „Ich bin jetzt in meinen 80ern, und das war ja die letzte Dekade, in der du noch wichtig warst.“ Eingespielte Videosequenzen rangierten vom beklemmend unlustigen Ben Stiller bis zur niedlich witzelnden Sandra Bullock. Für jeden Witz, der wirklich funktionierte, kamen zehn Derbheiten hinterher, die die Schmerzgrenze weit überschritten.

Auch das Sammelsurium an Gestalten, das sich da auf der Bühne bewegte, war erstaunlich. Farrah Fawcett war offenkundig völlig angetrunken und mußte bei ihrer Rede über ihre eigenen Witze lachen, bevor sie sie überhaupt ausgesprochen hatte. Nicht minder zum Affen machte sich Andy Dick, schwer zugekokst und sichtlich über die in seine Richtung abgefeuerten Späße beleidigt. Ab der Hälfte der Sendung war Dick dann hauptsächlich damit beschäftigt, diversen Gästen über das Gesicht zu lecken. Zeitungsmeldungen zufolge hat er dann nach der Show noch vor einer Rolling-Stone-Reporterin auf den Boden gepinkelt. Immerhin gilt hierzulande Ernst August nicht als Komiker.

Und Shatner? Der nahm alles gelassen. Er hat gelacht, die ganze Zeit hindurch, teilweise etwas verwundert geschaut, aber den ganzen Zirkus mit viel Humor genommen. Daß er zum Schluß in einer eigenen Rede nach einigen Retourkutschen hauptsächlich sich selber vom Podest stieß, macht ihn zum Gewinner der eigentümlichen Runde. Und auch in der häßlichen Form des derben Schlagabtauschs bleibt das Event ein Tribut an Shatners Popularität.

Wenn wir Glück haben, sitzt nächstes Jahr David Hasselhoff in trauter Runde. Bis dahin haben wir vielleicht auch den zu Grunde liegenden Humor verstanden.

Dieser Text erschien zuerst am 24.9.2006 bei Fritz!/Salzburger Nachrichten.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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