MIT SCHIRM, CHARME UND MELONE: Holprige Erzählung in häppchenweiser Inszenierung

Film / Retrospektive / 18. April 2014

Es ist schwer, einen Film aus dem Jahr 1998 zu finden, der schlechter weggekommen ist als die starbesetzte Kinoauflage der alten britischen TV-Kultserie MIT SCHIRM, CHARME UND MELONE. Im Fernsehen bestritten Patrick Macnee und Diana Rigg mit unaufgeregter Eleganz und viel Selbstironie absurde Spionageabenteuer, während sie sich süffisante Bonmots zuwarfen. Die Kinoversion, die dreißig Jahre nach Ende der Serie die AVENGERS (wie sie im Original heißen) in die Gegenwart holen sollte, zeigte schon im Vorfeld Probleme: Die ursprüngliche Schnittfassung von Regisseur Jeremiah Chechik wurde um über zwanzig Minuten gekürzt, der Film selber der Presse vorab nicht gezeigt – selten ein gutes Zeichen. Nach dem Start erntete MIT SCHIRM, CHARME UND MELONE fast ausnahmslos vernichtende Kritiken und ging an der Kinokasse hoffnungslos unter. Was ging da schief? Eine ganze Menge.

Fangen wir mit der Geschichte an. Die ist pure Comic-Phantasie und darf es im Geiste der Serie auch sein: Der exzentrische Meteorologe Sir August de Wynter (Sean Connery) hat eine Maschine erfunden, mit der er das Wetter kontrollieren kann – und erpreßt mit der Androhung von Stürmen und neuer Eiszeit die britische Regierung, die ihre zwei Agenten John Steed (Ralph Fiennes) und Dr. Emma Peel (Uma Thurman) auf die Jagd nach de Wynter schickt. So weit, so gut – nur daß die Story erzählerisch derart holprig aufgezogen wird, daß die Figuren und ihre Motivationen komplett schwammig bleiben und selten nachvollziehbar ist, wohin unsere Helden gerade unterwegs sind und aus welchem Grund. Da statten Steed und Peel Sir de Wynter anfangs noch einen Höflichkeitsbesuch ab und befinden sich wenig später im erbitterten Kampf gegen ihn – der Mittelteil, in dem beide verstehen, daß er ihr Gegenspieler ist, scheint irgendwie zu fehlen. De Wynter trommelt einige Wissenschaftler für seinen Plan zusammen, von denen er zwei unwillige kurzerhand umbringt – aber später tauchen diese Helfer nie wieder in relevanter Form für die Geschichte auf. Nicht selten fühlt sich der Fortlauf des Plots so an, als wäre man kurz eingenickt und müßte sich nach dem Aufwachen selber zusammenreimen, warum da plötzlich auf einem Heißluftballon gekämpft wird.

Einige dieser Lücken lassen sich vermutlich mit den schweren Kürzungen erklären, die das Studio nach einer katastrophalen Testvorführung verordnen ließ: Von ursprünglich knapp zwei Stunden wurde der Film auf unter neunzig Minuten (inklusive Vor- und Abspann!) zurechtgestutzt. Die Verstümmelungen sind der fertigen Version an diversen Stellen noch anzumerken: In einer Szene beispielsweise wird Steed von einer Doppelgängerin von Peel niedergeschlagen und angeschossen; nach einer schlichten Überblendung, wie sie sonst nirgends im Film eingesetzt wird, wacht er auf dem Sofa bei der richtigen Mrs. Peel wieder auf, die eigentlich eben noch mit de Wynter geredet hat. Anderswo explodiert beispielsweise aus komplett unerfindlichem Grund das Auto von Mrs. Peel, und weil die Gründe dafür offenbar der Schere zum Opfer fielen, gibt es einen komplett unmotivierten Schnitt auf eine Nahaufnahme der Explosion. Allerdings läßt das Ausmaß an pseudoexpositorischem Dialog und das vorhandene Material – wie beispielsweise das Finale – auch nicht darauf schließen, daß die lange Fassung eine erzählerisch völlig runde Sache gewesen zu sein scheint.

Noch weitaus problematisch ist die Inszenierung selber: Trotz üppiger Ausstattung von Stuart Craig (der zuvor an Filmen wie GANDHI und DER ENGLISCHE PATIENT arbeitete und später die gesamte HARRY-POTTER-Reihe betreute) und erfahrener Kameraarbeit von Roger Pratt (der unter anderem die Bilder für Terry Gilliams BRAZIL und 12 MONKEYS sowie für Tim Burtons BATMAN einfing) ist das Mise en Scène von Chechik zum Sterben langweilig. Sämtliche Szenen sind in den klassischsten Einstellungen aufgelöst, die man sich ausmalen könnte; da wird kein Raum geschaffen oder ausgenutzt und kein Leben generiert. Es ist beinahe passend, daß Chechik nach dem Fehlschlag dieses Films zum Fernsehen abwanderte: Die Ansammlung von banalen Halbnahen und Nahaufnahmen und die permanenten Schuß-Gegenschuß-Auflösungen vermitteln nie das Gefühl eines Kinoereignisses. Dazu kommt, daß die aneinandergereihten Bilder stets wirken, als könnte uns die Inszenierung nicht mehrere Geschehnisse pro Einstellung zumuten: Alles ist wie in kleinen Häppchen präsentiert. Hier ist Person A, die sagt X. Hier ist jetzt Person B, die sagt Y. Hier ist wieder A und lacht. Hier sehen wir jetzt eine Tür, die geöffnet wird. Hier sehen wir jetzt B, wie er sich umdreht. Hier sehen wir C, wie er durch die Tür kommt. Und so weiter. Was immer die herausoperierten Szenen zeigen mögen – man muß davon ausgehen, daß sie ebenso unelegant alle Ereignisse einzeln buchstabieren.

Diese Aufdröselung in Einzelschritte hat natürlich auch fatale Auswirkungen auf die Chemie zwischen den Darstellern. Die augenzwinkernden Wortgefechte zwischen Steed und Peel kommen schon alleine deswegen nie auf Touren, weil uns der Film erst den einen zeigt, wie er dies sagt, und dann auf die andere schneidet, wie sie jenes erwidert – und das geht beliebig in dem Stil weiter. Aber auch ein anderes Problem zeichnet sich bei den Dialogen ab: Im dauerironischen Modus werden verdrehte Sätze geäußert, deren Wortwitze mitunter an den ähnlich kalauernden BATMAN & ROBIN denken lassen. Fiennes und Thurman mühen sich ab, die Texte natürlich klingen zu lassen und den Witz beiläufig zu gestalten, aber freilich wirken sie bei derart künstlichem Material selber ebenso artifiziell – um das aufzufangen, hätte es entweder einer viel stilisierteren Inszenierung bedarft oder eben einer weitaus lebendigeren.

Es ist schade, daß der Film in seinem Kern so problematisch ist, da er eigentlich einige Reize bieten könnte. Hier und da schimmert die Absurdität der Vorlage durch – beispielsweise in einer herrlich schrägen Szene, in der sich Connery mit den Wissenschaftlern trifft und alle ganz selbstverständlich zur Tarnung gigantische Teddybärenkostüme in knallbunten Farben tragen. Auch ein paar surreale Momente funktionieren, wie eine Escher-artige Treppe, die Thurman wieder zum Ausgangspunkt zurückbringt. Und die merkwürdigen Dialoge und schrulligen Witze (zum Beispiel die Tatsache, daß der Chef des Geheimdienstes „Mother“ heißt, während seine Partnerin „Father“ genannt wird) hätten ebensogut funktionieren können, wenn der Film den Tonfall richtig hinbekommen hätte.

Jetzt aber genug der kritischen Worte, werfen wir noch eine ganz unwissenschaftliche Randnotiz ein: Uma und ihre Outfits. Von wegen mißlungener Film! Wenn man wie ich veranlagt ist, erkaufen ein paar Momente von Uma Thurman im eindrucksvoll engen Lederkostüm immer wieder einige Minuten Wohlwollen – ebenso wie eine Szene, in der Ralph Fiennes ihr langsam die signalroten Stiefel ihres nicht minder knallroten Overalls auszieht. Falls der verschollene 25 Minuten längere Director’s Cut des Films exakt hier ansetzt, überdenke ich nochmal alle unschönen Worte, die ich über die Inszenierung verloren habe. Versprochen.

 

Mit Schirm, Charme und Melone (USA 1998)
Originaltitel: The Avengers
Regie: Jeremiah Chechik
Buch: Don MacPherson
Musik: Joel McNeely
Kamera: Roger Pratt
Darsteller: Ralph Fiennes, Uma Thurman, Sean Connery, Jim Broadbent, Patrick Macnee, Fiona Shaw, Eddie Izzard, Eileen Atkins, John Wood, Carmen Ejogo, Keeley Hawes






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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