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[Film] Freude am Fliegen (1977)

Nanu, da deckt sich doch der Titel des Reviews nicht ganz mit dem auf dem Poster gezeigten Filmnamen? Also: Der Film mit dem Titel FREUDE AM FLIEGEN wurde auch unter dem etwas anregenderen Namen SYLVIA IM REICH DER WOLLUST veröffentlicht – mitunter auch in der alternativen Schreibweise SILVIA IM REICH DER WOLLUST. Wir verwenden hier aber offiziell den ursprünglichen Titel, weil der Streifen quasi als Verfilmung der Erotikschwarte ANGST VORM FLIEGEN von Erica Jong anzusehen ist – und damit niemand glaubt, wir würden uns hier schlimmen Schweinskram ansehen! Gell. Aber keine Angst: Der Film ist in Wahrheit nur einer der vielen, vielen Soft-Erotik-Komödien aus dem Hause Lisa-Film – nur daß diesmal enttäuschenderweise weder Herbert Fux noch Otto W. Retzer mitspielen.

Aber reden wir nicht über verpaßte Chancen, reden wir lieber über die Handlung des Films. Da geht nämlich das Buch „Freude am Fliegen“ herum, eine Art Emanzipationsschmöker, durch den unsere Hauptfigur Sylvia ihrer sexuellen Befreiung näherkommt. Sylvia ist nämlich mit dem öden Kurt zusammen, der lieber mit Bierflasche und Zigarette vorm Fernseher sitzt und Fußball schaut, als sich seiner feschen Freundin zu widmen – und das, obwohl es sich dabei um das von Lisa-Chef Karl Spiehs entdeckte Fotomodell Corinne Cartier (eigentlich Corinne Brodbeck) handelt, die nicht nur jede Minute höchst ansehnlich im Bild herumsteht, sondern das im Falle von Kurt auch noch in High Heels, Strapsen und irgendwas Durchsichtigem macht. „Oh, ganz in Schwarz – ist was mit deiner Mutter?“, fragt der, bevor ihm dämmert, was sie will. „Ach so. Die Sportschau ist gleich zuende. Leg dich schon mal flach“. Wir sehen: In dieser Beziehung ist latent die Luft raus.

Corinne Cartier lernt für den Pilotenschein.

Zum Glück liest Sylvia aber ja nun das Buch, das sie zu ein paar Phantasien anregt – und dazu bringt, von dem netten Geschäftsmann Jörg Bronner zu träumen, der von Italo-Western-Star Gianni Garko gespielt wird. Aber was steht denn nun Aufregendes in der Schwarte, das soviel Auswirkung auf Sylvias Wohlbefinden hat? Ich darf diesen Ausschnitt zitieren, den Sylvia liest, während sie sich in der Badewanne Erweckungsgefühlen hingibt:

„Die meisten Frauen und Männer leben in einem sexuellen Dämmerzustand. Sie scheuen sich auch heute noch, die Dinge beim Namen zu nennen. Sie finden erotische Begriffe, obwohl sie Wörter der Umgangssprache sind, obszön. In ihren Gedanken verwenden sie dieses Vokabular jedoch ohne jegliche Scheu. Sie haben nicht begriffen, daß zum Beispiel zu einem guten Fick eine ausgeglichene Harmonie zwischen Körper und Geist gehört. Man erreicht diese, indem man über den Weg der Masturbation seinen Körper studiert. Masturbation gehört in den Bereich des Phantasiewegs, weil sich dabei viele einen Idealpartner vorstellen. Ein derartiger schwanzloser Orgasmus befriedigt zwar den Körper, aber nicht den Menschen.“

Ah ja. Ich habe das Gefühl, daß wir jetzt irgendetwas gelernt haben – wenn ich nur wüßte, was! Ich darf mich aber freilich für die herbe Sprache des Zitats entschuldigen – wahrscheinlich befinde ich mich selber auch noch in dem angesprochenen Dämmerzustand, wenn ich (nicht nur) das mitten in der Schnittmenge aus Esoterik-Gebräu und Frau-braucht-Mann-um-erfüllt-zu-sein-Geschwafel plötzlich auftauchende Wort „Fick“ als unpassend empfinde. Ich hege übrigens den Verdacht, daß diese aufklärerischen Zeilen nicht aus Erica Jongs Roman, sondern aus der Feder des anonym bleibenden Drehbuchautoren stammen.

Betty Vergès gibt ihr letztes Hemd, um mal neben Gianni Garko auftreten zu dürfen.

Dermaßen intim wachgerüttelt trifft sich Sylvia also nun mit ihrer Freundin Elisabeth im Zoo, um über das Buch zu sprechen. Während die Kamera über die Affen, Giraffen, Elefanten und Eisbären schwenkt, die da so herumlungern, erläutert die gute Elisabeth die gesellschaftliche Relevanz des wundersamen Werkes: „Wir verzapfen doch dauernd Begriffe wie ‚innere und äußere Freiheit‘ und leben komplexiv mit Umschreibungen. Wir sprechen von ‚Liebe‘ und meinen ‚Bumsen‘.“ Und: „Ich sag doch auch: ‚Der ist mir sympathisch‘, und meine einen Intuitivfick. Wenn es um die Genitalien geht, fing bei uns eine komplexe Moral an und läßt uns zum Unmenschen an uns selbst werden. Und was ist das Ergebnis? Komplexe und Verklemmtheiten“. Aber sie freut sich dann für Sylvia: „Das Buch hat dein sexuelles Unterbewußtsein geweckt“. Als Elisabeth dann aber hört, daß ihre Freundin Phantasien über einen anderen Mann hat, gibt sie ihr noch eine Mahnung mit auf den Weg: „Einer ist immer wie ein Gefängnis. Nur viele Männer garantieren einer Frau die persönliche Freiheit“.

Gut. Herr Bronner hat also unterdessen eine nette Blondine mit nach Hause abgeschleppt. „Sammelst du Antiquitäten?“, fragt sie. „Manchmal auch junges Gemüse“, antwortet er. Am nächsten Tag trifft er dann aber Sylvia in der Boutique, wo sie arbeitet, und überredet sie, ihm ein teures Kleid vorzuführen. Weil es ihr so gut steht, schenkt er es ihr kurzerhand. Sylvia zeigt sich beeindruckt von so viel Geld  der netten Geste und geht mit Herrn Bronner Essen. Am Ende des Abends mag sie dann aber nicht mehr auf eine Flasche Schampus zu ihm in die Wohnung kommen, was ihn reichlich enttäuscht. Er bleibt aber am Ball, besucht sie am nächsten Tag wieder in der Boutique und lädt sie ein, mit ihm nach Salzburg zu kommen, wo er geschäftlich hinreisen muß. Sie fährt erstmal nicht mit, kündigt aber an, am nächsten Tag hinterherfahren zu wollen.

Und da sind wir schon in Salzburg, wo wir die Festung und den Mirabellgarten bewundern dürfen. (Fast wie zuhause! Was natürlich daran liegt, daß ich da zuhause bin.) Herr Bronner kümmert sich um seine Geschäfte und dann um die Tochter seines Geschäftspartners, die von Olivia Pascal gespielt wird und es deswegen nicht lange aushält, ihre Klamotten anzubehalten. Leider ist Maria, das gute Töchterlein, ein wenig stressig: Sie fühlt sich nur angeregt, wenn die Gefahr besteht, erwischt zu werden, weswegen sie den armen Herrn Bronner ständig in Bedrängnis bringt. Als am nächsten Tag Sylvia auf der Matte steht, zieht Maria den überforderten Gigolo ins Badezimmer, um dort über ihn herzufallen. Sylvia ist verständlicherweise etwas enttäuscht über die Entwicklung und will nach Hause – aber der sympathische Herr Bronner kann sie davon überzeugen, daß das ja alles gar nichts zu bedeuten hat, und daß Sylvia ihm nach Monte Carlo nachreisen soll, wo seine nächste Geschäftsstation sein wird.

Fassen wir uns kurz, was die weitere Handlung angeht: Sylvia reist dem lieben Herrn Bronner stets brav nach, lacht sich dabei einen netten Maler namens Malte an (der permanent mit ihr flirtet, obwohl sie nicht drauf eingeht), muß immer wieder neuen Eroberungen von Bronner begegnen – und darf sich immer wieder überzeugen lassen, daß er ja gar nichts dafür kann, daß die Frauen so auf ihn fliegen. In Monte Carlo verbringt er ein wenig Zeit mit der schönen Betty Vergès und begibt sich dann in die schwierigen Geschäftsverhandlungen mit der exotischen Cula Caballe, die von Ajita Wilson gespielt wird (Wilson war früher mal ein Mann und spielte nach der Umformung in Filmen mit heiteren Titeln wie KAFFEEBRAUN & NYMPHOMAN oder GEHEIMAUFTRAG APHRODITE mit). Frau Caballe knöpft sich Herrn Brönner jedenfalls gründlichst vor, zu Kerzenlicht und Nacktmassage: „Ich muß doch testen, wie leistungsstark die deutsche Wirtschaft ist“, sagt sie. „Okay. Dann reite ich eben für Deutschland“, verkündet er und widmet sich aufopferungsvoll seinen, räsuper, Verhandlungen.

Gianni Garko zeigt sich gegenüber Ajita Wilson als knallharter Geschäftsmann.

Sylvia, die ihre Zeit zum Beispiel damit verbringt, sich nackt in den gegenüberliegenden Spiegeln ihres Badezimmers im Hotel zu bewundern, wird die Sache mit Herrn Bronner dann aber zum Schluß doch zu bunt. Sie knallt dem treulosen Herumtreiber eine und reist ab. Gott sei dank müssen wir aber doch nicht auf das Happy End verzichten: Ein halbes Jahr später wird Herr Bronner auf der Straße von einer aufdringlichen Motorradfahrerin geschnitten. Er will sich gerade noch aufregen, da nimmt sie auch schon ihren Helm ab – es ist Sylvia, die gerade auf dem Weg zum Flugplatz ist, wo sie nach diversen Flugstunden mittlerweile selbst fliegen darf. Sie erhebt sich mit Herrn Bronner also flugs in die Lüfte, wo sie sich dann – allen Sicherheitsbedenken zum Trotz – endlich der Liebe hingeben dürfen.

Ich weiß jetzt aber doch, was wir bei dem Film gelernt haben. Und zwar: Eine Lisa-Film-Produktion mit Herbert Fux und Otto W. Retzer ist nur minimal alberner als eine ohne.



Freude am Fliegen (Deutschland 1977)
Alternativtitel: Sylvia im Reich der Wollust / Silvia im Reich der Wollust / Joy of Flying
Regie: F.J. Gottlieb
Darsteller: „Corinne Cartier“ (= Corinne Brodbeck), Gianni Garko, Olivia Pascal, Frits Hassoldt, Betty Vergès, Brigitte Strobl, Fee Heger, Ajita Wilson, Marie Luise Lusewitz

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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