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SCHULMÄDCHEN-REPORT, 2. TEIL – WAS ELTERN DEN SCHLAF RAUBT: Die Fortsetzung mit der schönsten Rechtfertigung

So schön hat noch kein Sequel seine Existenz gerechtfertigt: Im Eingangsmonolog der Fortsetzung zum SCHULMÄDCHEN-REPORT, der das Intro des Erstlings recycelt und darüber erneut schlaue Worte über die angebliche Jugend von „heute“ verliert, wird im Hinblick auf den Vorgänger verkündet: „Mit einer Fülle von sensationeller Information hat dieser Film so vielen Eltern die Augen geöffnet, dass wir uns gezwungen sahen, erneute Untersuchungen anzustellen, neues Material zusammenzutragen, so dass wir Ihnen heute Tatsachen aufzeigen können, über die selbst die Jugend nur ungern spricht.“ Gezwungen! Wahrlich gezwungen sahen sich die Filmemacher, und weil sich der aufklärerische Drang ja hier höchst kassenträchtig manifestiert, taucht nur wenige Sekunden später Friedrich von Thun auf, der sich brav als der Reporter vorstellt, der in Teil 1 die Befragungen durchführte. „Damals war noch kein zweiter Teil geplant. Doch die Flut der Zuschriften, die uns erreicht hat, veranlasste uns, eine Fortsetzung zu drehen.“ Wenn doch nur einmal zu Filmbeginn die Rückkehr von Jason derart dringlich erläutert werden würde!

In der Tat gab Produzent Wolf C. Hartwig schon wenige Tage nach dem Start des ersten Parts grünes Licht für die Fortsetzung: Montagmorgen die Zuschauerzahlen in 90 deutschen Kinos angesehen, Dienstag früh die Produktion von Teil 2 begonnen, der denn auch nicht einmal ein Jahr später mit neuen, räusper, Erkenntnissen über die Tätigkeiten von, ähem, modernen deutschen Frauen vor, während und nach des Schulunterrichts lockte. WAS ELTERN DEN SCHLAF RAUBT lautet der Untertitel der neuerlichen „Enthüllungen“, deren Aufhänger nicht wie im ersten Teil die moralische Diskussion eines entrüsteten Elternbeirats ist, sondern eine Ansammlung von, nun ja, Einzelschicksalen in Form von Menschen, die Briefe mit einschlägigen Geschichten an die Produktionsfirma geschickt haben und hier nun im Studio wie die Hühner auf der Stange aufgereiht sitzen, um von Friedrich von Thun vorgestellt und gebeten zu werden, ihre Erlebnisse mit gebührlich ernster Miene vorzutragen. (Über die Authentizität der Personen und Geschichten brauchen wir gar nicht erst zu reden.)

Begehrter Lehrkörper: Schülerin Elfie (Karin Götz) macht Dr. Mallinger (Dietrich Kerky) schöne Augen.

Diese Histörchen sind nun freundlicherweise, mit einigen Ausnahmen, etwas harmloserer und albernerer Natur als die des Erstlings, der ja sofort, Schockschwerenot!, mit einem Mann einstieg, der ein Verhältnis mit seiner 12-jährigen Stieftochter pflegte. Hier fühlt man sich von der ersten Episode – durch das beschwingte Intro mitsamt dem von Peter Thomas produzierten Daisy-Door- Schlager „Schulmädchen müssen so sein“ (der nur in diesem Teil zum Einsatz kam) in Stimmung gebracht – doch zunächst eher in einen Lümmel-und-Pauker-Film versetzt: Da versucht der nette Physiklehrer den jungen Damen etwas über Strom beizubringen, aber die kichern die ganze Zeit und machen anzügliche Bemerkungen über die verwendeten Gerätschaften. Wenn die Kamera plötzlich auf Hansi Kraus schwenken würde und Hans Terofal stotternd in den Raum gestolpert käme, würde man sich kaum wundern. (Da drei Monate vor Start dieses zweiten Reports schon der sechste Teil der höchst erfolgreichen Reihe DIE LÜMMEL VON DER ERSTEN BANK in die Kinos kam, ist es durchaus denkbar, dass die Assoziation gewollt war.)

Dann lockt eines der Mädchen den netten Lehrer mit einem gefälschten Brief des Vaters zu sich nach Hause, wo es sich dann vor ihm auszieht und ihn verführt. „Sie haben mich in eine ekelhafte Falle gelockt“, spricht der Pädagoge noch missbilligend, bevor er sich dann mit ihr auf dem Sofa in diversen Stellungen vergnügt. Leider sind im anderen Zimmer zwei Freundinnen versteckt, die fleißig das Vorgehen photographieren – und dann am darauffolgenden Tag versuchen, den Lehrer mit den großformatigen Bildern zu erpressen (natürlich werden nicht etwa bessere Noten gefordert, sondern weitere sexuelle Leistungen!). Nur wenig später kommt der Herr Direktor ins Klassenzimmer und führt aus: „Ihr Physikprofessor, Herr Dr. Mallinger, wird Sie nie mehr unterrichten.“ Der aufrechte Lehrer hat sich nämlich das Leben genommen. Ja, da schauen die Mädels dann auch recht bedröppelt. Wer das moralinschwangere Dramolett als ernsthaften Enthüllungsbeitrag versteht, dem ist wohl nicht zu helfen – aber freilich wäre das Prozedere nur halb so unterhaltsam, wenn es nicht derartig ernsthaft vorgetragen wäre.

Susanne (Karin Wieland) lädt zur nächsten Gerichtsverhandlung ein.

Zwischen den Geschichtchen – in den Herrenmagazinen waren ja damals auch immer Kurzgeschichten und Leserbriefe, in denen beispielsweise Lastwagenfahrer von jungen Griechinnen vernascht und dafür dann beraubt wurden: Thrill plus Lehrgeschichte – läuft Herr von Thun wieder über die Straße und penetriert junge Frauen mit impertinenten Fragestellungen. Das erreicht hier leider nie die journalistische Brillanz des Erstlings, wo von Thun den Damen auflauerte und sagte: „Wenn Sie erotisch erregt sind und Sie haben keinen Mann, was tun Sie dann?“ – ebenso, wie in der, nunja, Datenerhebung rund um die Frage, wie der perfekte Partner aussieht, auch schon mal nachgehakt wurde: „Kann’s ’n Neger sein?“ Aber nichtsdestoweniger läuft sein streng wissenschaftlicher Enthüllungsjournalismus auch hier auf Hochtouren, wenn er der Frage „Würden Sie von sich Aktphotos machen lassen?“ die Folgefrage „Haben Sie schon mal Aktphotos von sich machen lassen?“ anfügt.

Gleich zuckt was: zum Beispiel die Unterlippe von Michael Schreiner.

Einige der gezeigten Geschichten sind denn auch größtenteils Begegnungsepisoden: Da lernen bayrische Teenager im Heu die Wunder der Natur kennen, bis ein vorbeikommender Gendarm sie zurechtweist, sie sollen mit den Schweinereien aufhören; ein junges Mädchen (Astrid Kilian, wenig später in Adrian Hovens Reißer HEXEN GESCHÄNDET UND ZU TODE GEQUÄLT) wird mit dem „Feger von Bogenhausen“ verkuppelt, der sich als schüchterner Softie entpuppt; und eine Quartett an hübschen jungen Damen ruft ein Taxi herbei, um den Fahrer zu verführen. Das sind teils auch so heitere Sexpossen, wie sie rundherum im deutschen Kino aufblühten: Der unbedarfte Jüngling gibt beim Mädchen eine Welle an, wie erfahren er doch ist, fährt dann mit ihr in den Wald, und weil sich bei ihm nichts rührt und die Klamotten von einem vorbeikommenden Förster gemopst werden, brennt das Mädchen denn auch prompt mit besagtem Herrn Waldmeister durch. Der junge Bursche wird übrigens vom späteren TATORT-Assistenten und DAHOAM-IS-DAHOAM-Knecht Michael Schreiner gespielt, der schon im ersten Teil in jeder Einstellung mindestens nervös die Unterlippe zur Seite geschoben hat und hier exakt dasselbe tun darf.

Freilich wäre der Report kein Report, wenn er nicht wie sein Vorgänger auch immer wieder warnende Töne anschlagen und den Zuseher mit Tabubrüchen aus der Reserve locken wollen würde. Da gibt es beispielsweise die Geschichte über die 15-jährige Susanne (die wunderhübsche Karin Wieland, wohl nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Autorin), die sich diverse Männer vorknöpft und unter anderem auch den Untermieter verführt. Weil die beiden von den Eltern erwischt werden, gibt es eine Gerichtsverhandlung, wo der nette Herr wegen Verführung Minderjähriger angeklagt wird. Das Mädchen versucht sich derart bloßgestellt zu hochdräulichem Hammond-Orgel-Fiepen auf dem Dachboden zu erhängen, kann aber vom Vater (der sie eben noch als „Hure, die man nicht mit der Kneifzange anfasst“ beschimpft hat) gerettet werden. Eine Psychologin mit zurückgebundenen Haaren und sauertöpfischem Gesicht erklärt uns dann: „Die Diskrepanz zwischen der Wirklichkeit und den verstaubten Gesetzesparagraphen interessiert das Gericht nur sehr wenig.“

Würden Sie von sich Aktphotos machen lassen?

Auch von zwei 16-jährigen Ausreißerinnen wird erzählt, die erst beklaut werden und dann von einer Dame aufgelesen werden, deren Freund die beiden flugs ins Bett zerrt und sie danach auf den Strich schicken will. Dann kommen sie bei zwei Jungs aus der Bahnhofsgegend unter, zu denen sie aus Dankbarkeit auch gleich in den Schlafsack klettern („´n bisschen anders hab´ ich mir München eigentlich doch vorgestellt“, meinte die eine). Als sie dann irgendwann auf der Baustelle übernachten und sich ihr Essen zusammenklauen müssen, wird es ihnen zu bunt und sie gehen zur Polizei, wo sie verkünden, jetzt wieder zur Schule gehen zu wollen. Und obendrein gibt es noch eine Episode über ein Mädchen, das von zwei Jungs mit Drogen fügsam gemacht und vergewaltigt wird: Es bricht dann die Doppelmoral der Reihe wieder vollends aus, weil einerseits die Schaulust befriedigt wird, andererseits die Schauergeschichten-Warnung nur wieder ein Weltbild zeigt, in der ein bestimmtes Verhalten auch prompt bestraft wird. Das Erwachen der Sexualität, von der beständig gesprochen wird, wird niemals von Erpressung, sexuellen Zwangstaten, Prostitution, Drogen oder Jugendkriminalität auseinanderdividiert.

Zum Glück überwiegen aber die banalen und heiteren Episoden, und weil alles unglaublich aufgesetzt und unbeholfen transportiert wird, ist es auch schwerer, irgendetwas – auch die fragwürdigen Aspekte – allzu ernst zu nehmen. Beispielsweise die beschwingte Story über die feschen Mädchen, die Aktphotos von sich machen lassen und in der Schule dann von Hausmeister Willy Harlander (jaja!) verdattert angegafft werden, weil der gerade das richtige Herrenmagazin studiert. Oder die letzte Episode, wo die junge Barbara (die liebreizende Heidi Hansen, sonst Filmpartnerin von Chris Roberts und Roy Black!) schwanger wird,  den Vater des Kindes aber gar nicht heiraten will. Die Eltern sind natürlich erbost („Früher hatten die Kinder Rotznasen, und heute haben die Rotznasen Kinder!“) – aber dann kommt heraus, dass auch die Mama seinerzeit lange vor der Hochzeit schwanger war. Und schon sind alle wieder glücklich, und die frischgewordene Mutti darf wieder fröhlich lachend mit ihren Schulfreundinnen über die Straße spazieren. Wer sich nach solch rührenden Geschichten nicht ganz und gar und vollständig aufgeklärt fühlt, der sei mit der Tatsache getröstet, dass es ja noch elf weitere Teile des SCHULMÄDCHEN-REPORTS gibt.

Schulmädchen-Report, 2. Teil – Was Eltern den Schlaf raubt (Deutschland 1971)
Regie: Ernst Hofbauer
Drehbuch: Günther Heller
Kamera: Klaus Werner
Musik: Gert Wilden
Produktion: Wolf C. Hartwig
Darsteller: Friedrich von Thun, Christine Snyder, Rosl Mayr, Karin Götz, Hans Heiking, Willy Harlander
Länge: 85 Minuten
FSK: 16

Die Screenshots stammen von der Kinowelt-DVD.

Mehr über den SCHULMÄDCHEN-REPORT

Zwischen Schmuddelgeschichten und Zeitgeist-Millionenerfolg: In meinem Buch DER SCHULMÄDCHEN-REPORT: VON AUFKLÄRUNG UND ANDEREN RÄUBERPISTOLEN, erschienen in der Edition Popkultur, berichte ich ausführlich über alle 13 Teile der Aufklärungsreihe. Es ist ein ebenso heiter wie kritischer Streifzug durch alles, was Schulmädchen und Filmproduzenten wirklich treiben.

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Homepage der Edition Popkultur

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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