Hurra, die Schule brennt – Die Lümmel von der ersten Bank, IV. Teil (1969)

Uncategorized / 5. Januar 2007

„Rudi Dutschke liegt angeschossen am Boden und Heintje trällert ein Lied dazu“, schreibt meine Schwester, die Teil 4 der nimmermüden Paukerreihe schon kritisch beäugt hat. Wie wahr: Wirklichen Realitätsbezug konnte man der 1968 initiierten Reihe DIE LÜMMEL VON DER ERSTEN BANK schon im ersten Part nur insofern unterstellen, als daß dort die lodernde Studentenrevolte zur amüsanten Bagatelle heruntergespielt wurde. Mit dem vierten Teil wird das reaktionäre Konzept endgültig von den althergebrachten Strickmustern der fünfziger Jahre eingewickelt und in seine biedere Weltanschauung gepreßt: HURRA, DIE SCHULE BRENNT ist ein Heimatfilm, ein Schlagerlustspiel untersten Niveaus, in dem die Gegenwart erfolgreich und konsequent verdrängt wird.

Was im dritten Teil an Gesang eingespart wurde, wird hier vollends ausgekostet: Peter Alexander und sein Filmneffe Heintje singen zu jeder unpassenden Gelegenheit – ganze Altenheimketten lagen sicherlich entzückt am Boden (auch der 4. Teil gewann eine Goldene Leinwand für 3 Millionen Kinobesucher) angesichts des immer lächelnden, eklig anständigen Kinderstars Heintje und seinen bombastisch kitschigen, lautstark geschmetterten Liedern. Peter Alexander, wie immer zum Umfallen nett und selber nur ein großer Junge, bändelt mit Gerlinde Locker an, ein komplett asexuelles Deutsches Mädel (aus Linz) mit Zahnpastalächeln. Weil Peterle im Haushalt so eine Flasche ist, findet Heintje, daß endlich eine Frau ins Haus muß, und fungiert als Kuppler. Zum Schluß wird geheiratet. Wie schön.

Dazwischen poltern die gewohnten Schülerstreiche über die Leinwand – absurder und peinlicher als in den vorangegangenen Teilen, und auch um einiges bemühter. In einer unendlich langen Sequenz, in der Peter Alexander sich händeringend um eine witzige Hans-Moser-Parodie bemüht, wird der Lehrkörper des Gymnasiums einer vermeintlichen medizinischen Untersuchung unterzogen – und wenn sich dann Theo Lingen auf dem Schreibtisch flachlegt und Ruth Stephan mit ihren weitaufgerissenen Augen wiederholt enthusiastisch fragt, ob sie sich jetzt freimachen soll, erreicht der Film das schmierenkomödiantische Bodensatz-Niveau einer Alvaro-Vitali-Klamotte, wo keine Peinlichkeit nicht noch durch einen weiteren würdelosen Witz unterboden werden könnte.

Weil es die Filmemacher um Produzent Franz Seitz mit der Kontinuität nie so genau genommen haben, werden auch hier wieder die Rollen durchgewürfelt. Kollege Blaumeier wird schon wieder abgelöst – der pompöse Alexander Golling darf diesmal antreten, um Vorgänger Harald Juhnke abzulösen, der hier aber in einer kleinen Rolle als Ministerialreferent erscheint. Daß Peter Alexander und Heintje schon im zweiten Teil aufgetaucht sind, fällt unter den Tisch – es sind eigentlich neue Figuren, was bei Darstellern, die immer den gleichen Typ verkörpern, schnell zu Mißverständnissen führen kann. Auch Vater Nietnagel wird wieder neubesetzt: Diesmal muß Wolfgang Gruner ran. Immerhin wurde das im dritten Teil angedeutete Anbandeln von Knörz und Pollhagen weitergedacht, die jetzt hier als Ehepaar zusammenleben. Zu den bekannten Gesichtern in der Klasse gehören diesmal Jutta Speidel und – wie schon im Vorgänger – Pierre Frankch.

Was gibt es noch über diesen Film zu berichten? Eventuell Peter Alexanders großartige Unterrichtsmethoden – er überläßt die Notenverteilung seinen Schülern, lädt selbige ins Wirtshaus ein oder gibt ihnen gleich aus einer Laune heraus einen Tag frei. Dazu referiert er seinem Direktor gegenüber, wie der Lehrer der Freund der Schüler sein sollte – wenn nicht einfach nur plumpe Anbiederung bei der jungen Zielgruppe dahinterstecken würde, könnte man es beinahe als Beitrag zur Diskussion um die antiautoritäre Erziehung mißverstehen. Zum Schluß führt die Klasse mit den beiden Singstars eine Neufassung von Wilhelm Tell auf, aber ihre alberne Mixtur aus Bonanza und Schiller bietet nur eine weitere Plattform für Albernheiten – der Neuerungszugang dient nur dazu, daß sich Film und Zuseher darüber lustig machen können.

Wo ist Heinz Rühmann, wenn man ihn mal braucht?

Hurra, die Schule brennt – Die Lümmel von der ersten Bank, IV. Teil (Deutschland 1969)
Regie: Werner Jacobs
Drehbuch: Georg Laforet (= Franz Seitz)
Produktion: Franz Seitz Filmproduktion
Darsteller: Hansi Kraus, Peter Alexander, Heintje, Ruth Stephan, Theo Lingen
Länge: 91 Minuten
FSK: 6

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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