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STAR OF THE ORIENT: Die etwas andere Drehbucharbeit

Das Label Alpha Blue Archives lässt bei der Präsentation von STAR OF THE ORIENT einmal mehr beinahe vollständige Sorgfalt walten: Der Kuschelstreifen aus dem Jahr 1979 wird als dritter Film einer DVD mit dem Thema „Joe Bardo Triple Feature“ präsentiert – hat aber leider das Problem, dass er im Gegensatz zu den anderen beiden Streifen überhaupt nicht von Joe Bardo stammt, sondern von „Harold Lee“ alias Harry Lewis von den umtriebigen Lewis Brothers. Auf dem Rücken der DVD ist das Dreiergespann als „DEEP ROOTS Triple Feature“ bezeichnet, weil Bardos DEEP ROOTS als Hauptfilm fungiert – aber mit dem hat STAR OF THE ORIENT nun auch wirklich gar nichts zu tun. So gesehen passt es natürlich, dass die Bild- und Tonqualität des Spektakels, wie so oft bei Alpha Blue, nur als „historisch“ durchgewunken werden kann.

So gut sieht das Bild nicht immer aus.

Der Film handelt von der jungen Regisseurin Arlynn Bromden (Arlene Stewart alias Sarah Lorhman – ihr einziger Film, soweit bekannt), die sich mangels anderer Gelegenheiten mit Pornostreifen über Wasser hält (weshalb die Mama auch nicht stolz ist, trotz des finanziellen Erfolgs). Wir sehen gerade noch das Ende ihres neuen Opus, eine Sexszene zwischen einem Amerikaner (Lanny Roth) und einer Asiatin (Kyoto Gee alias Suki Yu) – mit dramatischem Finale, weil er ihr abschließend eröffnet, dass der Krieg vorbei sei und er jetzt nach Hause zu Frau und Kind gehen werde.

Obwohl der Vorführer über dem Projektor eingeschlafen ist (im Hintergrund hängt ein Poster für Lewis‘ früheren Film ORIENTAL TREATMENT), will Pornomagnat Kirk (Gary Jones) den Streifen prompt für $25.000 kaufen – unter der Voraussetzung, dass Arlynn einen weiteren für ihn dreht, bei dem die Story etwas weniger „esoterisch“ und der Sex etwas mehr „kinky“ ausfällt. „To really make a successful adult film, you have to cater to that fellow, the truck driver in the eleventh row“, erklärt er ihr, und man kriegt das Gefühl, dass Regisseur Lewis da Business-Erfahrung durchblitzen lässt. Arlynn schaut ein bisschen wie beim Erschießungskommando, aber verspricht, sich sogleich an die Arbeit zu machen.

Schreibmaschinen-Pornographie!

Ab hier wird die Angelegenheit narrativ nicht mehr ganz so pointiert weitererzählt. Während sich Kirk und sein Assistent Jack (Charlie Bruno) mit Sekretärin Margo (Evette Niekirk) vergnügen, sucht Arlynn ihre Freundin Suki auf, die wir schon aus ihrem Film kennen und die sich nebenher als Porno-Photographin verdingt. Suki erzählt von diversen Abenteuern, die Arlynn inspirieren sollen, und ihre Schilderungen sind so lebhaft, dass wir sie in voller Pracht bebildert kriegen. Später macht sich Arlynn an ihrer Schreibmaschine an die sicherlich harte Drehbucharbeit – beinahe das wichtigste Element einer Porno-Produktion! – und stellt sich dabei noch ein paar weitere Sexszenen vor, in denen sie netterweise gleich selber die Hauptrolle übernimmt.

So schlendert STAR OF THE ORIENT also im gemütlichen Sonntags-(Bei-)Schlaf-Modus von einer Sexszene zur nächsten – zum Beispiel zu einer heiteren Orgie, in die ein Pizzalieferant hineingezogen wird (die Szene ist offenbar einer im selben Jahr erschienenen Sequenz aus dem Film TREASURE BOX nachempfunden). Erwähnenswert ist vor allem eine sehr reizvolle Sequenz im Pool, wo sich Suki mit ihrer Fluffer-Assistentin Kathy vergnügt – letztere wird von einer Rita Finegold gespielt, die wir davor schon mit Sukis Photomodell Rob (Rob Rose) in Aktion sehen durften, aber die dann offenbar keinen weiteren Film mehr gedreht hat. Die sinnliche Szene kommt sogar mit aufreizenden Unterwasser-Einstellungen daher.

Anregend ist auch ein Schäferstündchen zwischen einem Mann namens David (David Book) und seiner hübschen Masseuse (Andrea Lange) – und dass die Sequenz mittendrin anfängt und erst später der Auftakt kommt, liegt weniger an etwaigen avantgardistischen Tendenzen von Harry Lewis, sondern offenkundig vielmehr daran, dass beim Digitalisieren scheinbar die Filmspulen durcheinandergekommen sind (der Schnitt bei 33:12 knüpft offenbar bei 48:10 an, der Teil dazwischen müsste wohl danach kommen, und nein, ich werde das Kuddelmuddel jetzt nicht in Aufopferung für Kunst und Kultur komplett aufdröseln).

Assistentin Kathy (Rita Finegold, links) stürzt sich mit Photographin Suki (Kyoto Gee) in die Arbeit.

Noch bevor es aber zur nächsten Filmproduktion kommt, kriegt Arlynn einen freudigen Anruf: Ein Produzent von der britischen „National Geophysical Society“ will sie unbedingt als Kamerafrau für eine andere Art von Nakurdokumentation anheuern: Sie soll auf Island mindestens sechs Monate lang Robben filmen. Arlynn ist begeistert, sagt Mr. Kirk ab und hüpft begeistert in den Flieger – und die Mama ist nun auch stolz.

Für ein paar hübsch abgefilmte Sexszenen und die erwähnte Pool-Sequenz darf man sich schon mal mit dem sonst ziemlich trägen STAR OF THE ORIENT beschäftigen, aber Feuerwerke bleiben aus. Und wer ist nun eigentlich der titelgebende Star?

 

Star of the Orient (USA 1979)
Regie: „Harold Lee“ (= Harry Lewis)
Darsteller: Sarah Lorhman, Kyoto Gee, Larry Roth, Gary Jones, Charlie Bruno, Evette Niekirk, Rob Rose, Rita Finegold, Pat Darwind, Sarah Meadows

Die Screenshots stammen von der DVD „DEEP ROOTS – Joe Bardo Triple Feature“ (C) 2014 Alpha Blue Archives.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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