BAD BOY KUMMER: Die besten Interviews, die die Stars niemals gegeben haben

Film / Neuer als alt / 9. Juli 2016

Im Gespräch mit ihm offenbarte Actionstar Charles Bronson seine Liebe zu Orchideen, Nicolas Cage zitierte Rainer Werner Fassbinder und Sean Penn sinnierte über den Philosophen Søren Kirkegaard und die „kreative Langeweile“: Tom Kummer hatte in den Neunzigern die spannendsten und verblüffendsten Interviews mit den großen Stars. Er zeigte sie ganz persönlich und menschlich, führte interessante Konversationen statt phrasenbehafteter PR-Plappereien. Der Haken? Die Interviews waren komplett erfunden.

Ganze vier Jahre lang versorgte der Schweizer Kummer von Los Angeles aus namhafte deutsche Publikationen mit solch wundervollen Dialogen. Brad Pitt berichtete, wie er beim Bergsteigen die „innere Leere“ überwunden habe, Sharon Stone dagegen offenbarte lesbische Phantasien. Abgedruckt wurden die Gespräche in Blättern wie dem Spiegel, dem Focus oder dem SZ-Magazin.

2000 flog Kummer auf. Er zog sich zurück und arbeitete in Los Angeles als Tennislehrer. Einige Jahre später drehte Miklós Gimes mit BAD BOY KUMMER einen Dokumentarfilm über die Geschichte; Gimes war früher stellvertretender Chefredakteur beim Tages-Anzeiger-Magazin, für das Kummer als Hollywood-Korrespondent fabulierte. Im Film spricht Gimes mit anderen Medienvertretern, die von Kummer betrogen wurden, und auch ausführlich mit Kummer selbst, um nachzuforschen, was da eigentlich passiert war. Die unausgesprochene Frage, die in Gimes‘ Film mitschwingt, ist klar: Was hat sich Kummer bei einer solch bizarren Betrügerei, die früher oder später auffliegen musste, nur gedacht?

Tom Kummer (links) wird von seinem ehemaligen Tempo-Chefredakteur Markus Peichl konfrontiert.

Leider tut der falsche Fuffziger niemandem den Gefallen, sich groß zu rechtfertigen – oder überhaupt für sein Lügenspiel große Reue zu zeigen. Wie ein leicht ramponierter Sonnyboy sitzt er da, lächelt manchmal, wirkt nicht unsympathisch – aber auch nicht wirklich greifbar. Er bezeichnet seine Interviews manchmal als Trash, manchmal als Kunst, aber zuckt dazu auch mit den Schultern, als wüßte er gar nicht, was die ganze Aufregung soll. Manchmal schimmert in seinen Erzählungen etwas durch, aus dem man sich dann ein Psychogramm weiterpuzzeln kann: Ja, berichtet er, das war schon aufregend, als nach dem ersten großen Interview plötzlich so viele Aufträge hereinkamen.

So tanzen alle Beteiligten – in gewissem Sinne auch der Regisseur – hier um ein großes schwarzes Loch, von dem sie sich irgendwelche Antworten erhoffen. Ehemalige Kollegen und Chefredakteure sitzen da und erinnern sich, empören sich, erkundigen sich, aber Kummers Reaktionen sind ihnen nie genug – wahrscheinlich, weil sie eigentlich ein umfassendes Geständnis samt Bußbereitschaft haben wollen. Einer mutmaßt sogar, daß die Ungeheuerlichkeit der Tat so groß ist, daß Kummer schlichtweg nicht damit umgehen kann und deswegen ausweicht.

Die Kummer-Geschichte wirft aber auch eine eigentlich viel interessantere Frage in den Raum: Warum hat so lange Zeit niemand gemerkt, dass die Interviews gefälscht sind? Rückblickend betrachtet klingen die Geschichten fast wie Parodien – etwa, wenn Boxchamp Mike Tyson über Nietzsche redet und Sätze wie „Wissen schafft Stabilität“ von sich gibt. Immer wieder weisen Gesprächspartner darauf hin, wie sie bei gewissen abgedruckten Stories mißtrauisch wurden – aber vielleicht wollen sie jetzt nur vermeiden, naiv zu wirken.

Mit diesem Pamela-Anderson-Interview fing alles an: Der BAYWATCH-Star erzählte hier unter anderem,
wie die Jungs von Mötley Crüe gern ihre BHs und High-Heels tragen.

„Kummers Welt ist eine bessere“, schrieb Nils Minkmar am 25. Mai 2000 für die Zeit. „Bei Kummer hat jeder gewonnen: Die Stars bekamen schöne Titelgeschichten, wirkten intelligent und belesen. Die Magazine bewiesen ihre doppelte Kompetenz, populär und intelligent zu wirken, und den Lesern wurde zurückprojiziert, was sie sich schon immer heimlich gewünscht hatten: dass es gute, moralisch und philosophisch redliche Gründe dafür gibt, sich für Stars zu interessieren, außer ihrem Erfolg und Aussehen.“

Genau das ist der Kern der Kummerschen Falschmünzerei: Er verstand es, Bedürfnisse zu befriedigen. Wir wollen, daß unsere Stars clever, weltoffen und auch abseits ihrer Talente spannende Menschen sind. Wir wollen Persönliches von denen hören, die wir nie persönlich kennenlernen werden. Wir wollen nicht, dass sie die Werbemühle drehen wie jeder Marktschreier, der seinen Fisch loswerden will. Wir wollen nur dann, daß sie „normal“ sind, wenn sie drumherum außergewöhnlich sind, weil wir ja sonst von unseren Nachbarn träumen könnten. Wir wollen unsere Wünsche auf sie projizieren können.

Nicht umsonst waren Kummers Texte immer auch ein Spiel mit dem Bild, das wir von den Stars haben: Ausgerechnet Charles Bronson, der mit steinerner Miene Film um Film brutal die Colts sprechen ließ, schätzt die Schönheit von Orchideen. Das schafft sanfte Ironie, spannende Reibung, da will man mehr wissen. Umgekehrt würden wir von Sharon Stone, die in BASIC INSTINCT so skandalös und unterwäschelos die Beine über Kreuz legte, nicht hören wollen, daß sie eigentlich ganz hausfräulich orientiert ist, also darf sie über Sexphantasien sprechen und damit genau das weiterspinnen, was uns im Kino so fasziniert hat.

Tom Kummer und sein Mike-Tyson-Interview.

Die größte Erkenntnis in BAD BOY KUMMER gewinnt man dann, wenn Gimes Kummer dabei zeigt, wie er aus seinen alten Interviews vorliest. Da spricht er plötzlich ganz lebhaft und mit großen Gesten, liest die Sätze so sorgfältig, als handle es sich um Literatur. Mit Blick fürs Detail erklärt er, wo er im Gespräch mit gewissen Wörtern schon Erwartungshaltungen aufbaut, Witz erzeugt, Themen verdichtet. Und dann lacht er, weil der eher schlichte Mike Tyson bei ihm so etwas Druckreifes sagt wie „Erst über das Kämpfen kann ich den Wert meiner Existenz erkennen“.

Auf gewisse Weise sind Kummers Interviews also für ihn Kunstwerke – es sind Auseinandersetzungen mit den Protagonisten unserer Popkultur. Natürlich hätte er jedem deutlich machen müssen, dass sie gefälscht waren – aber dann hätte sie freilich keiner mehr abgedruckt. Und selbst wenn, wäre ihre Faszination schlagartig erloschen. Phantasien funktionieren eben dann am besten, wenn sie sich echt anfühlen.

Auch auf Wilsons Dachboden:
Ein Film über einen weiteren Journalismus-Skandal: SCHTONK! 
Ungewöhnliche Interviews von Neil Strauss: EVERYONE LOVES YOU WHEN YOU’RE DEAD
Unser Podcast über BAD BOY KUMMER, SCHTONK und SHATTERED GLASS: Lichtspielplatz #11.

 

Bad Boy Kummer – Der Mann, der die Stars neu erfand (Schweiz 2010)
Regie: Miklós Gimes
Kamera: Filip Zumbrunn






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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