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PROTECT AND KILL: Ein aufrechter Ex-Cop löst das Bandenproblem von L.A.

Stellen wir uns mal den Film BODYGUARD ohne Geld und ohne Stars vor. Dann stellen wir uns vor, daß Drogendealer und Mafiosi mitspielen. Stellen wir uns weiters vor, dass Whitney Houstons steinerweichende Ballade durch ein möglichst anonymes Synth-Pop-Epos ausgetauscht wird. Und dann stellen wir uns noch vor, dass alles, was jemandem am Resultat abgehen könnte, durch Blei und in Zeitlupe niedergemähte Rabauken ausgeglichen wird. Et voilà, das ergibt L.A. WARS, der bei uns den dezent neudeutsch anmutenden Titel PROTECT AND KILL verpaßt bekam.

Los Angeles ist in dieser anheimelnden Videothekenwelt ein eher darwinistisches Pflaster. Drogenlord Raul Guzman führt eine umfassende Fehde gegen Mafioso Carlo Giovani, die darin besteht, daß die Helferlein des einen im Minutentakt die Helferlein des jeweils anderen mit Blei vollpumpen. Weil in diesem Krieg auch Guzmans Neffe fällt, artet die Streitigkeit zunehmend aus. Wir sehen, daß Guzman schwer getroffen ist: Er haut in tief empfundenem Schmerz auf den Tisch und verkündet, es ab sofort richtig krachen zu lassen. Alleine dieser herzallerliebste Moment, in dem Guzman tatsächlich einen Moment lang so aussieht, als wolle er weinen, ist schon die 89 Minuten drumherum wert.

Wer in dieser Welt kein knallharter Gangster ist, ist ein knallharter Cop. Oder er war zumindest mal einer: Unser Held Jake Quinn ist nämlich originellerweise ein Einzelgänger, der wenig auf die unlockeren Vorschriften des Polizeiapparats gibt. Er wurde gefeuert, als er einen Päderasten auf frischer Tat ertappte und den Mann im aufrechten Zorn totschlug. Vielleicht wurde er aber auch gefeuert, weil er das nach wie vor für die einzig richtige Handlungsweise hält.

Der letzte aufrechte Kämpfer für das Gute, Wahre, Brutale: Jake Quinn (Vince Murdocco).

Weil der Bandenkrieg ausartet, muß Polizeichef Roark handeln. Er will Giovani dingfest machen und muss dafür einen Undercover-Cop einschleusen – und völlig überraschenderweise fällt die Wahl auf den aufrechten Draufgänger Quinn, der sich bis zum Schluß des Films um eine umfassende Entvölkerung von Los Angeles kümmern wird. Vorher hat er natürlich zwei Bedingungen: Erstens macht er das alles auf seine Art, und zweitens will er eine Entschädigung für die drei Jahre, die er durch den Jobverlust aus Rausschmeißer in einer Bar arbeiten mußte.

Eine Gelegenheit zum Undercovern ergibt sich zum Glück schon bald: Guzman will aus Rache für seinen Neffen die hübsche Tochter von Giovani beseitigen lassen – aber glücklicherweise marschiert unser einsamer Wolf gerade die Straße herunter und kann Guzmans Schurken fünf bis sieben Dutzend Kugeln in die Gangsterrübe pusten. Überhaupt werden wir lernen, dass der charaktervolle Quinn nur ein einziges Hobby hat: Straßen entlanggehen. Manchmal zu nachdenklicher Musik.

Giovani heuert Quinn also als Leibwächter für seine Tochter Carla an, was Giovanis rechter Hand Vinny Scoletti gar nicht paßt: Der hat es nämlich selber auf die hübsche Blondine abgesehen. Carla hat aber kein Interesse an Scoletti und macht schon am ersten Abend das, was Whitney Houston in BODYGUARD schier endlos herausgezögert hat: Sie kuschelt sich zu ihrem Leibwächter ins Bett. Am nächsten Tag genießen beide eine ausufernde Montage am Strand und schlürfen romantisch aus Pappbechern, bevor sie ihm sagt, daß sie ihn liebt. Recht so: Was man beim Anbandeln an Zeit spart, kann man in ausufernde Schießereien investieren.

„Schatz, die letzten sieben Dutzend erledige ich heute noch, dann können wir fernsehen.“

Der Bandenkrieg bricht nämlich jetzt so richtig aus, und obwohl Quinn in seinen Ermittlungen keine brauchbaren Informationen an die Polizei liefern kann, sorgt er dafür, dass die Liste der noch lebenden Verdächtigen schön übersichtlich bleibt. Nachdem jede Kugel verschossen, jedes Auto in die Luft gesprengt, jeder Hilfshelfer beseitigt und jeder Fuß ins Gesicht der mannigfachen Gegner gekickboxt wurde, dürfte Ruhe in Los Angeles einkehren: Es ist zum Schluß schlichtweg niemand mehr da, dem man überhaupt Drogen verkaufen könnte.

Wie der schönste Schmuddelroman stürzt sich PROTECT AND KILL mit Wonne auf seine exzessiven, ganz und gar unkorrekten Aufräum-Phantasien. Mit Hingabe werden die zu Boden fallenden Körper gefilmt, im Zweifelsfall wird einfach noch eine Montage eingeschoben, in der noch mehr anonyme Schurken anderen Ganoven das Lebenslicht auspusten. Es gibt in dem Film beinahe niemanden, der nicht Gangster und somit Kanonenfutter wäre. Wer sich als Zivilist in diese Geschichte verirrt, ist ohnehin nur dazu da, verprügelt oder erschossen zu werden.

Richtig Spaß macht übrigens die deutsche Fassung: Da wird Soziopathen-Cop Jake Quinn von Oliver Rohrbeck synchronisiert. Es wirkt, als würde Justus Jonas von den Drei ??? endlich mal einen Fall ohne ständige Klugschwätzerei lösen.

Protect and Kill (USA 1993)
Originaltitel: L.A. Wars
Regie: Martin Morris & Tony Kandah
Buch: Addison Randall & Tony Kandah
Kamera: Mike Morris
Musik: Louis Febre
Darsteller: Vince Murdocco, Mary Zilba, A.J. Stephans, Rodrigo Obregon, David Gene Thomas, Johnny Venokur, Kerri Kasem

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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