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THE IRON GIRL: Low-Budget-Karate mit Over-the-Top-Synchro

„Leute wie du sollten rappen oder steppen, aber nicht die Kundschaft neppen“, empfiehlt der halbstarke Rocker in einer fast leeren Kneipe dem wie Eddie Murphy herumkieksenden schwarzen Kellner – herzlich willkommen im Synchronisationswunder THE IRON GIRL! Man kennt das ja von anderen Streifen, daß sich die deutschen Sprecher mit flapsigen Sprüchen und heiterem Geblödel die Kante geben – manchmal, um den Witz noch ein bißchen zu verstärken, wie in den Terence-Hill-und-Bud-Spencer-Filmen, und manchmal, um überhaupt welchen hineinzukriegen, wie – nunja – in den ganz frühen Terence-Hill-und-Bud-Spencer-Filmen. THE IRON GIRL geht da noch einen Schritt weiter: Die Synchronmeister schienen sich derart bei dem billig inszenierten Karatefilmchen gelangweilt zu haben, daß sie nicht nur herumblödeln, sondern sich dabei sogar über den Film lustig machen.

THE IRON GIRL ist eine der letzten Regiearbeiten des Produzenten Fabrizio De Angelis, der unter dem Namen „Larry Ludman“ ab den Achtzigern preiswerte, aber unterhaltsame Actionware wie den Rambo-Verschnitt THUNDER ablieferte. Nur wenige Jahre später muß er KARATE KID gesehen haben und reagierte dementsprechend: KARATE WARRIOR, KARATE WARRIOR 2, KARATE WARRIOR 3, und zur Abwechslung dann noch KARATE WARRIOR 4 und zwei Filme, die man kaum kommen sehen konnte: KARATE WARRIOR 5 und KARATE WARRIOR 6. Weil eine so üppige Karatereihe nebenher etwas Entspannung erfordert, gab’s zwischendurch KARATE ROCK und, jawollja, THE IRON GIRL, bei dem, wie mir scheint, ein Reizwort im Titel vergessen wurde.

Susan (Sarah Brooks), unser stets gut gelauntes Iron Girl.

Schon der Vorspann ist herzallerliebst: Unsere Hauptdarstellerin Sarah Brooks zieht auf Rollschuhen ihre Kreise an der Strandpromenade von Miami, sommerlich an- bzw. ausgezogen, mit schickem Walkman, aus dem sozusagen hypnotischer Italo-Dance-Pop die Stimmung anheizt. Die Kamera spendiert Gesicht, Oberweite, Hintern und Rollschuhen eigene Einstellungen, und darüber werden Schauspieler gelistet, von denen man noch nie gehört hat und auch nie wieder hören wird. Daß bei so einer italienischen Produktion kein einziger Crewname italienischen Klang hat, sondern nur aus identitätslos wirkenden Allerweltszusammenstellungen wie „Daniel Baker“ (Drehbuch), „George Berman“ (Kamera) oder „Lewis Reed“ (Schnitt) besteht, ist man von einschlägigen Filmen ja schon gewöhnt. Freuen kann man sich noch über den „Special Guest Star“ Richard Goon. Wie, den kennt ihr nicht? Doch! Der war in den Karateklassikern KARATE WARRIOR 3, KARATE WARRIOR 4, KARATE … ach, lassen wir das.

Nachdem wir also ausreichend Kurven begutachtet haben – die von der Strandpromenade natürlich! – erfahren wir, daß unsere Hauptfigur Susan heißt und für einen Rollschuhwettbewerb trainiert. Nebenher machen ein paar üble Gesellen die Gegend unsicher: Da sind wir schon in der obigen Szene, in der die schweren Jungs in einer Bar etwas Stunk anzetteln. Der einzige Gast, den sich die Produktion leisten konnte, versucht dem armen Kellner beizustehen, wird aber zusammengeschlagen. Nachdem sich die Rocker wieder verkrümelt haben, hilft der Kellner dem Gast vom Boden auf: „Bist du okay? Dann verpiß dich.“ Der letzte Satz wird noch kurz vor dem Schnitt eingeschoben und deutet schon zart darauf hin, daß die Synchro keine Gnade kennen wird.

The Sons of Low-Budget Anarchy!

Ebensowenig wie die Rocker: Die vier Burschen gabeln Susan irgendwo im Grünen auf und fangen an, sie zu belästigen. Sie werfen sie einen Hang hinunter („Mit der geht’s bergab!“) und vergewaltigen sie, was dank der eingeschobenen verzerrten Großaufnahmen der Gesichter etwas lustiger aussieht, als es wohl gemeint ist. Vielleicht liegt’s aber auch an der Tatsache, daß sowohl die Jungs als auch Susan ihre Klamotten anbehalten dürfen, daß es sowohl uns als auch der Synchro am nötigen Ernst mangelt: „Nur’n dummer Schelm treibt’s ohne Helm“, witzelt einer aus der Mopedgang.

Susan kommt ins Krankenhaus, wo sie ihrer Mama erzählt, daß sie beim Rollschuhfahren hingefallen ist. Nachdem Frau Mama aus dem Raum geschickt wurde, wollen der Arzt und ein herbeigekommener dicker Sheriff aber doch wissen, was in Wirklichkeit geschehen ist. Ihre einfühlsame und geduldige Methode, Susan einen Bericht zu entlocken, sei hier zu Anschauungszwecken vollständig dokumentiert:

SHERIFF: Und jetzt sagen Sie mir die Wahrheit.
SUSAN: Aber meine Mutter darf nichts erfahren!
ARZT: Natürlich. Solche Informationen bleiben vertraulich. Nur Sie allein entscheiden, wem Sie es sagen und wem nicht. Ich garantiere Ihnen, Ihre Mutter wird von uns nichts hören, aber der Polizei müssen Sie alles erzählen.
SHERIFF: Okay, Susan, und jetzt raus mit der Wahrheit.
ARZT: Haben Sie keine Angst. Sie können ihm vertrauen. Ganz ehrlich! Sie haben gar keine andere Wahl, als sich dem Mann zu offenbaren. Glauben Sie mir! Der Lieutenant wird alles tun, damit Ihnen Gerechtigkeit widerfährt.
SHERIFF: Jetzt raus damit. Was ist hier wirklich passiert?
ARZT: Haben Sie keine Angst, Sie können ihm vertrauen, okay? Die Polizei ermittelt in solchen Fällen immer ganz besonders diskret, um zu vermeiden, daß die Geschichten in die Zeitung kommen. Oder wollen Sie Ihren Namen auf der Titelseite lesen?
SHERIFF: Wenn Sie uns die Wahrheit sagen, garantiere ich Ihnen, daß wir Ihren Namen aus allem raushalten. Aber ich brauche Fakten! Haben Sie etwas gemacht, mit dem sie die Typen provoziert haben? Ich meine, diese roten Shorts, die sind ja wirklich, naja, also …
SUSAN: Jetzt war ich schuld, ja??

Da kann man ja selbst als arrivierter Psychologe noch etwas lernen! Ich selber hätte ja Susan vielleicht zwei, drei oder auch fünfzig Sätze vorher einfach mal zu Wort kommen lassen, aber ich bin ja zugegebenermaßen auch nur Laie. Immerhin hat ja auch schon der kompetente Kollege Dr. Loomis in HALLOWEEN 5 Therapie sehr erfolgreich mit Einschüchterungstaktiken kombiniert.

Susan jedenfalls steigert sich jetzt ein wenig in ihre Wut hinein und wird hochpolitisch, worauf die Polizei verständnisvoll reagiert:

SUSAN: Ich hoffe, Sie erwischen sie! Denn eins weiß ich jetzt: Eine Vergewaltigung ist eins der grausamsten Verbrechen. Wer das tut, hat ein für allemal den Anspruch auf Gerechtigkeit verloren, finde ich. Solche Typen sollte man wie tollwütige Hunde erschießen!
SHERIFF (nickt): Das geht leider nicht. Sie sollten sich ausruhen.

Nachdem sich Susan im Krankenhaus hinreichend ausgeruht hat, meldet sich ein Verehrer bei ihr – der fesche Paul, der ihr mal Nachhilfe in Mathe gegeben hat und als Deal dafür mit ihr ausgehen will. Bevor er anruft, hören wir noch den Kommentator des Footballspiels, das er sich gerade im Fernsehen ansieht: „Es ist kein Zufall, daß der Ball eiförmig ist, symbolisiert diese Form doch einen Zustand, den man im Volksmund ‚dicke Eier‘ oder medizinisch als Triebstau definieren würde.“

„Hey, kenne ich dich nicht aus dem Bingoclub?“

Paul und Susan gehen also aus und werden in einer Bar von eben jenen Rockern belästigt, die zuvor bei Susan zudringlich wurden. Während der Anführer Susan einbleut, ja nicht zur Polizei zu gehen, weil die Jungs sonst ihrer Familie einen Besuch abstatten würden, kloppen die anderen den armen Paul nieder. Nachdem die Burschen dann abgezogen sind, sieht Susan Paul an: „Du bist ja ganz rot!“ – „Ich blute, entschuldige“. „Das sieht ja eklig aus!“ sagt sie, ohne das Gesicht zu verziehen.

Wieder ist die Polizei keine Hilfe: Der dicke Sheriff scheint recht unbeeindruckt von Susans neuerlichen Ausführungen zu sein und weist darauf hin, daß bei einem Verfahren sicherlich alle Details der Vergewaltigung in die Öffentlichkeit kommen. (Hieß es nicht vorhin, man würde ihren Namen aus den Zeitungen heraushalten?) Der Polizist rät Susan, einfach nichts zu tun: „Es dauert bestimmt nicht lange, bis die Kerle wegen was anderem geschnappt werden.“ Mit der Philosophie ersparen sich die örtlichen Ordnungshüter jedenfalls viel anstrengende Arbeit.

„Was soll das heißen, du hast KARATE WARRIOR 3 nie gesehen?
Vielleicht wenigstens KARATE WARRIOR 4? Nein? Was ist mit 5? …“

Schon bald bahnt sich aber eine Lösung an: Paul kennt einen alten Karatemeister aus Japan, bei dem Susan in den Unterricht gehen könnte. „Dann kann ich irgendwann im Zirkus auftreten, als Karate-Tiger!“, freut sich Susan und macht den Asiaten ausfindig. Auch ihr Gespräch mit dem alten Meister wollen wir ausführlich dokumentieren, um die liebevolle Synchronarbeit zu honorieren:

SUSAN: Ich spüre dieses Licht in mir selbst, und deswegen möchte ich unbedingt Karate lernen.
MEISTER: Wenn ich mich verarschen will, Lady, dann mach‘ ich das allein.
SUSAN: Ich bitte um Entschuldigung, aber Sie müssen mich unbedingt als Schülerin bei sich aufnehmen.
MEISTER: Sag mir den wahren Grund, zu mir zu kommen! Er allein entscheidet, ob ich dich ausbilde oder nicht. Und red‘ nicht von einem selbstleuchtenden Licht!
SUSAN: Entschuldigen Sie, aber es fällt mir sehr schwer, Ihnen die Wahrheit zu sagen.
MEISTER: Du mußt mir vertrauen, wenn ich dein Lehrer sein soll.
SUSAN: Ich wurde vergewaltigt.
MEISTER: Oh, das tut mir leid. Das muß furchtbar gewesen sein.
SUSAN: Aus diesem Grund möchte ich von Ihnen Karate-Unterricht kriegen.
MEISTER: Weil du dich bei deinen Peinigern rächen willst?
SUSAN: Das stimmt nicht ganz. Das, was für Sie Rache ist, würde ich Gerechtigkeit nennen.
MEISTER: So. Es ist Gerechtigkeit, die du willst, aber erst mußt du herkommen und lernen, wie man kämpft.
SUSAN: Aber ich bin doch schon hier!
MEISTER: Ach ja, das habe ich ganz vergessen.
SUSAN: Ach, das macht ja nichts. Ich kenne sowas. Neulich hab‘ ich sogar vergessen, wo meine roten Shorts liegen. Doch was mir widerfahren ist, werde ich wohl nie vergessen können.
MEISTER: Eine asiatische Weisheit sagt: Nur die Kröte weiß, wie einem Frosch zumute ist, doch kein Seeadler hört das Klatschen einer einzigen Hand. Und aus Fisch macht man Sushi.
SUSAN: Das hab‘ ich zwar nicht verstanden, aber ich bin mir sicher, wenn man genug darüber nachdenkt, macht es irgendwann Sinn.
MEISTER: Das hoffe ich, denn ich denke seit 50 Jahren darüber nach.

Während sich also die Langeweile der Synchronsprecher immer deutlicher bemerkbar macht, trainiert Susan beim Meister in Sequenzen, die fast so wie die in allen anderen Martial-Arts-Filmen aussehen, wenn man sich mal die geschmeidigen Bewegungen wegdenkt. Auch zuhause versucht sich Susan Muckis anzueignen, was ihre Mutter recht abfällig kommentiert: „Irgendwann siehst du aus wie Arnold Schwarzenegger als Tunte.“

„Die folgende Übung habe ich aus einem schönen Film
mit Jean-Claude Van Damme …“

Nur kurze Zeit und einige Montagen zu fidelem Synthgeplänkel später ist Susan fit. „Du hast in nur wenigen Monaten ein Niveau erreicht, für das andere Wochen gebraucht hätten“, lobt der Meister. Zeit also für Teil 2 von Susans Plan: Sie verkleidet sich mit lockig-schwarzer Perücke und Abzieh-Tattoo als Rockerin und tritt der Gang bei, die sie vergewaltigt hat, um … ähm … an die Gang heranzukommen, die sie vergewaltigt hat. Oder so. Auf der Suche nach der Gang legt sie sich gleich in einer Bar mit ein paar dahergelaufenen Lümmeln an. „Mein Name ist Hans, und ich kann’s. Und das reimt sich auf Schwanz“, sagt einer noch, bevor er von Susan verkloppt wird.

Für den Mopedclub muß sie eine knallharte Aufnahmeprüfung bestehen: Es gilt, mit dem Motorrad mit verbundenen Augen möglichst nah an eine Eisenstange heranzufahren, ohne sich von ihr aufspießen zu lassen. Vollgas natürlich! Zum Glück findet Susan einen weiteren Meister: Einen damaligen Gründer der Gang, der sie als Schülerin aufnimmt, nachdem sie seinem Hund Komplimente macht. Als sie den Test dann bestanden hat und sich beim Altrocker bedankt, reden sie über Mundgeruch. Man hat das zarte Gefühl, daß das nicht im Originalskript stand, aber den Gesichtern der Protagonisten nach zu urteilen war der ursprüngliche Text nicht sehr unterhaltsam.

„Zum Glück habe ich in den letzten Wochen
die ganzen Abzieh-Tattoos aus der Bravo aufgehoben …“

Susan wird also Teil der Gang und läßt sich von den Rockern Photographien ihrer Vergewaltigungsabenteuer zeigen. „Wow, die sind ja sogar in Farbe!“, ruft sie begeistert. „Also, im Photographieren seid ihr wirklich einsame Spitze!“ Das freut die Jungs durchaus: „Wir haben ja auch einen Kurs an der Volkshochschule belegt.“

Susan lockt die vier Männer also nachts in den Park, wo sie einer Schnepfe einmal zeigen sollen, wo’s langgeht. Besagte Schnepfe ist dann sie selber. Pech für die Jungs, die nun von Susan verkloppt und gefesselt werden, damit sie von der Polizei einkassiert werden können. Da richtet der Polizeichef dann doch noch ein paar lobende Worte an sie: „Leute wie Sie könnten wir brauchen“.

Sollte der Streifen jemals als BluRay-Mediabook-Edition erscheinen, verlange ich nicht nur einen Audiokommentar von Fabrizio De Angelis, sondern auch einen von den Synchronsprechern.

 

The Iron Girl (Italien 1994)
Originaltitel: La ragazza d’acciaio
Regie: „Larry Ludman“ (= Fabrizio De Angelis)
Buch: Daniel Baker
Kamera: George Berman
Darsteller: Sarah Brooks, Ray Coleman, Markus Trautman, Jerry Pacific, Martha Kelly, Anthony Darko, Richard Goon

Das oberste Bild stammt von der Website cinema.de. Die anderen Screenshots stammen vom Blog robydickfilms.blogspot.com.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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