R.I.P. Sidney Lumet (1924-2011)

Uncategorized / 9. April 2011

„It’s a wonderful way to spend your life“, hat Sidney Lumet auf die Frage geantwortet, warum er Filme mache. Dasselbe kann man wohl antworten auf die Frage, warum man sich seine Filme ansehen muß.

Heute ist Lumet im Alter von 86 Jahren an einer Lymphknotenerkankung gestorben. Er hinterläßt über 40 Filme, darunter schwergewichtige Klassiker wie DIE 12 GESCHWORENEN (1957) – eines der spannendsten Kammerspiele der Filmgeschichte – DOG DAY AFTERNOON (1975) – mit Al Pacino in dem wohl tragisch fehlgeplantesten Banküberfall überhaupt – und NETWORK (1976) – Lumets bekanntester Film und ein bissig-zynisches Porträt darüber, wie das Fernsehen kaltblütig den Nervenzusammenbruch eines Moderators in klingelnden Profit ummünzt. Das Erstaunlichste an NETWORK ist vielleicht, daß der Film sich nach 35 Jahren immer noch aktuell anfühlt.

Viele seiner Filme waren reduziert – auf einen Raum beschränkt (DIE 12 GESCHWORENEN oder ein Großteil des knallharten Dramas SEIN LEBEN IN MEINER GEWALT mit Sean Connery), ohne Schnickschnack inszeniert (z.B. seine kürzlich hier besprochene Krankenhaussatire CRITICAL CARE), und auch gerne ohne auffällige Kamerafahrten und -einstellungen auf die Leinwand gebracht – und dabei doch mit dem Gespür eines Großmeisters durchkomponiert: Allein die Auflösung der 12 GESCHWORENEN ist ein genaues Studium wert. Und immer blickt er seinen Figuren dabei bis tief in die Seele hinein – mal witzig, mal boshaft gezeichnet, aber nie oberflächlich. Der große Paul Newman hat unter Lumet eine seiner besten Leistungen abgeliefert: THE VERDICT. Und da ist er nur einer unter vielen exzellenten Darstellern, die unter Lumet glänzen konnten.

Ich habe nicht alle seiner Filme gesehen – genaugenommen nicht mal die Hälfte. Es fehlen noch weitere Klassiker, wie SERPICO, oder auch sein letzter, TÖDLICHE ENTSCHEIDUNG, für den er endlich den Regieoscar bekam, nach vier Nominierungen und einem Ehrenoscar für das Lebenswerk, der ja üblicherweise das Schlußlicht setzt. Aber eigentlich ist es toll, daß ich so viele seiner Filme noch nicht kenne: Es bedeutet, daß ich noch viel Lumet entdecken kann. It’s a wonderful way to spend your life.

Heute abend aber schaue ich wieder DIE 12 GESCHWORENEN.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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