FilmRetrospektive

NA TYPISCH!: Beziehung aus zwei Blickwinkeln

Manche Paare vermeiden jeden Streit, Dan (Kevin Bacon) und Lorie (Elizabeth Perkins) machen mit ihren Uneinigkeiten sogar Karriere: Die beiden diskutieren in einer Zeitungskolumne mit dem Titel „He Said, She Said“ (so auch der Originaltitel des Films, der auf Deutsch recht nichtssagend NA TYPISCH! heißt) über aktuelle Anlässe bezüglich Politik oder Stadtplanung. Der Erfolg der Kolumne führt irgendwann sogar zu einer eigenen Fernsehshow, in der Dan und Lorie ihre Standpunkte vertreten – er konservativ, sie liberal, beide nie einer Meinung. Als Lorie während einer Show Dan allerdings frustriert eine Kaffeetasse an den Kopf wirft, zeigt sich, daß ihre Beziehung mit der Zeit tiefe Risse bekommen hat. In Rückblenden sehen wir die Stationen ihres gemeinsamen Lebens, vom Kenenlernen hin zur gemeinsamen Wohnung – erst aus seinem Blickwinkel erzählt (He Said), dann aus ihrem (She Said).

Es ist ein interessantes Konzept, das die Regisseure Ken Kwapis und Marisa Silver hier anpacken (obwohl schon 1973 in dem TV-Zweiteiler SEINE SCHEIDUNG – IHRE SCHEIDUNG mit Elizabeth Taylor und Richard Burton zwei unterschiedliche Beziehungsperspektiven erzählt wurden). Die Idee zum Film kam ihnen, als sie gemeinsamen Freunden während eines Frankreichurlaubs erzählten, wie sie zu einem Paar wurden – und sich über die Details nicht einigen konnten. Den Dreh strukturierten sie so, daß zuerst Kwapis die „He Said“-Version einer Szene drehte, bevor sich Silver dann an die „She Said“-Variante machte – und der jeweils andere sollte zusehen, durfte aber nicht mit den Schauspielern interagieren.

Dan (Kevin Bacon) und Lorie (Elizabeth Perkins) diskutieren auch hinter der Bühne
Streit hinter den Kulissen der Streit-Show: Dan (Kevin Bacon) und Lorie (Elizabeth Perkins).

Dadurch gewinnt NA TYPISCH! eine interessante Erzählstruktur: Die erste Hälfte des Films folgen wir Dan und sehen seine Version der Geschichte, die von der Gegenwart (in der die Beziehung vor dem Aus steht) immer wieder in die Vergangenheit springt, danach springt der Film wieder zum Anfang zurück und erzählt alles nochmal aus ihrer Sicht. Vor allem an den Details merkt man, daß sich Kwapis und Silver viele Gedanken über die unterschiedlichen Perspektiven gemacht haben: Ein Besuch einer modernen Tanzperformance in seiner Version in weit amouröseres Licht getaucht als bei ihr, und Nebenfiguren tauchen in einer Version kaum auf, weil sie zwar in der Szene anwesend sind, aber zur jeweils anderen Figur eine viel stärkere Beziehung haben.

Dennoch bleibt das Konzept ergiebiger als das Resultat – statt einem Beziehungs-RASHOMON gibt es nur Banalitäten, die wenig über die Figuren aussagen. Bei einem gemeinsamen Date taucht eine frühere Flamme von Dan auf – in seiner Version ist sie eine vorzeigbare Lady, während die Dame in ihrer Erzählung mit tiefem Ausschnitt auftritt und Dan viel zutraulicher angurrt. Bei einem späteren Clubbesuch erspäht sie einen alten Bekannten und bittet Dan, sie auf die Tanzfläche zu nehmen, damit der andere sie nicht anquatschen kann – und in ihrer Version erfahren wir dann, daß sie den „Bekannten“ zuvor angeheuert hat, damit sie einen Grund hat, Dan zur Tanzaufforderung zu motivieren.

Dans alte Flamme Linda (Sharon Stone)
Laut Dan ist Linda (Sharon Stone) nur eine gute Freundin.

So plätschert NA TYPISCH! recht amüsant vor sich hin, ohne seine Möglichkeiten auszuschöpfen. Die Schauspieler schaffen es, den Figuren eine gewisse Erdung zu geben, und die Inszenierung leitet sie sicher durch die Geschichte, an der man durchaus Anteil nehmen kann (Roger Ebert kam in seinem Review zu folgendem Resümee: „If a movie can create people I’m interested in, doing things I sometimes care about, it’s halfway home. But that’s as far as this one gets.“). Aber er ist zu langatmig oder bietet umgekehrt zu wenig Fleisch für seine zwei Stunden Laufzeit – und streut immer wieder Phantasiesequenzen ein, die vielleicht clever gemeint sind, aber nur überdreht wirken.

In Woody Allens DER STADTNEUROTIKER gibt es eine Szene, wo in einem Splitscreen gezeigt wird, wie die beiden Hauptfiguren, die in einer Beziehung sind, bei ihrem jeweiligen Therapeuten sitzen. Beide werden gefragt, wie oft sie miteinander Sex haben. „Kaum. Vielleicht dreimal die Woche“, seufzt der Mann. „Dauernd. Sicher dreimal die Woche“, seufzt die Frau. NA TYPISCH! erreicht leider nie solch pointierte Beobachtungen der Geschlechterrollen – und ist auch nie so witzig.

 

Na typisch! (USA 1991)
Originaltitel: He Said, She Said
Regie: Ken Kwapis, Marisa Silver
Buch: Brian Hohlfeld
Kamera: Stephen H. Burum
Musik: Miles Goodman
Darsteller: Kevin Bacon, Elizabeth Perkins, Sharon Stone, Anthony LaPaglia, Nathan Lane

Die Screenshots stammen von der DVD (C) 2002 Paramount Pictures.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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