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MICHAEL MOORE IN TRUMPLAND: Ein Stand-Up-Programm für Hillary Clinton

In zwei Wochen stehen in den Vereinigten Staaten von Amerika die Präsidentschaftswahlen an, und sie werden wahrscheinlich in die Geschichte eingehen: 2016 ist das Jahr, in dem der Wahlkampf zur Farce wurde, in dem sämtliche Grenzen des Anstands aufgehoben wurden. Es ist das Jahr, in dem sich erschreckend deutlich zeigt, daß es im politischen Wettstreit nicht um Inhalte und Werte geht, sondern nur um marktschreierische Popularität. Es ist das Jahr eines Wahlkampfs, in dem die niedersten Instinkte im Wähler angesprochen werden, und er wird angeführt von einem Demagogen, der mit demokratischen Mitteln in eine Position kommen möchte, wo er die Demokratie aushebeln kann – und zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren finden sich genug Menschen, die das offenbar wollen.

„A lot of people say that Trump is a clown“, meint eine Frau zu Beginn von Michael Moores neuem Film MICHAEL MOORE IN TRUMPLAND. „He won’t be when he’s president.“ Es klingt wie eine Drohung. Ein Clown ist Donald Trump wahrlich nicht, auch wenn er sich selber vielleicht als Hofnarr sieht, der alles sagen darf, weil er vorgibt, gar nicht zum System zu gehören. Stattdessen ist er ein gefährlicher Agitator, ein Brandstifter, der nur Schlechtes provoziert und hervorbringt. Eigentlich ist es kleinkrämerisch, Donald Trump dezidiert Rassismus, Frauenfeindlichkeit oder brutalsten Sozialdarwinismus vorzuwerfen, auch wenn er all das und mehr erfüllt: Er ist schlichtweg Menschenfeind. Bei ihm gewinnt keiner.

Michael Moore erzählt von der jungen Hillary Clinton.

Vielleicht hält sich Moore aus diesem Grund auch nicht lange mit der Person Trump auf – trotz des Titels des Films, den er noch im Oktober ganz überraschend präsentierte, um Einfluß auf die Wahlen ausüben zu können. Schon einmal hatte Moore probiert, während eines Wahlkampfs filmische Aufklärungsarbeit zu leisten: Mit seiner Doku FAHRENHEIT 9/11 wollte er 2004 die Wiederwahl von George W. Bush verhindern. Er hätte auf die Goldene Palme von Cannes, die er dafür erhielt, sicherlich liebend gerne verzichtet, wenn er dieses Ziel erreicht hätte.

Wer wieder eine explosive Demontage im Stil dieses Filmessays erwartet, wird bei MICHAEL MOORE IN TRUMPLAND jedenfalls enttäuscht. Das „TrumpLand“, in dem sich Moore hier befindet, ist Ohio – ein Bundesstaat, in dem die Wähler mehrheitlich hinter Trump stehen. Hier trat er an zwei Abenden im Oktober mit einer Mischung aus Stand-Up-Comedy und Agit-Prop-Programm auf, die er nur elf Tage später als eine Art Konzertfilm präsentiert.

Die explizite Einladung an alle, die Trump wählen wollen.

„Trump Voters Welcome“, hieß es auf der Ankündigung, und einige von ihnen haben sich auch ins Publikum getraut. Mit grimmigen Mienen und verschränkten Armen sitzen sie da, ernste weiße Männer, die ganz offensichtlich das Schlimmste erwarten. Dabei versucht Moore schon von Beginn an, dem antagonistischen Prinzip des Wahlkampfs gegenzuwirken und Brücken zu schlagen: „We’re all Americans“, erklärt er, „regardless of who we’re voting for.“

Moore verfolgt in seinem Auftritt ein paar interessante Strategien. Zunächst outet er sich selber: Er war selber nie für Hillary Clinton, auch Bill hat er nie gewählt. Dann bietet er dem Publikum einen Dialog an: Sie sollen ihm sagen, was sie an Clinton stört – und fängt gleich selber an, seine Probleme mit ihr aufzulisten. Dann relativiert er die Kritikpunkte, um sie etwas in Relation zu setzen – er selber habe zum Beispiel ein Problem damit, daß Clinton für den Irakkrieg gestimmt habe, aber räumt ein, daß sie das mittlerweile als größten Fehler ihres Lebens bezeichnet.

Nicht alle Zuschauer sind Moore-Fans.

Als nächstes probiert er eine umgekehrte Strategie: Die Zuschauer sollen etwas Nettes über Clinton sagen, weil man über jeden irgendetwas Nettes sagen kann („except Hitler and Matt Lauer“). Wieder macht er den Anfang: Er listet ein paar positive Gedanken zu George W. Bush auf – zum Beispiel, daß der offenbar die Aidshilfe für Afrika ordentlich ankurbeln konnte.

Mit der Zeit wird der lockere Tonfall ernster, und Moores Äußerungen werden deutlicher. Er berichtet davon, wie Hillary Clinton schon in den Neunzigern das Gesundheitswesen Amerikas verbessern und ein vernünftiges Krankenversicherungsprogramm einführen wollte, aber an der Borniertheit ihrer Kollegen scheiterte. Moore verweist auf seinen Film SICKO und erklärt, daß jedes Jahr 50.000 Amerikaner sterben, weil sie keine oder eine nur unzureichnende Krankenversicherung haben. Er rechnet das auf die seitdem verstrichenen 20 Jahre auf und beklagt den Verlust von einer Million Menschenleben. Im Publikum wird es sehr still.

Der Albtraum der Republikaner: Hillary Clinton kommt persönlich, um euch die geliebten Waffen wegzunehmen!

Zum Schluß darf Moore seine Zuseher noch einmal zum Schmunzeln bringen, als er verkündet, daß er, sollte Clinton ihre Wahlversprechen nicht halten, 2020 selber kandidieren werde – und dann beispielsweise statt Nordkorea Monsanto als neuen Staatsfeind einführen würde. Schelm und gewitzter Redner, der er ist, schafft er es auch hier, politische Statements abzuliefern.

Ob Moores Bitte, selbst als Clinton-Gegner zum Wohle der Allgemeinheit für sie zu stimmen, Früchte tragen wird, wird sich zeigen – zu hoffen ist es jedenfalls. Der wichtigste politische Inhalt des Films liegt dabei aber gar nicht in der Aufklärungsarbeit um Hillarys Meriten – vielmehr ist es der Ansatz, den Menschen mit Humor zu begegnen und trotzdem dabei in einen Dialog über wichtige und ernste Themen zu kommen. Das Lachen über den Politzirkus tut dem Publikum sichtlich gut – vor allem in einem so aufgeladenen Klima, in dem sonst nur noch geschrien und gedroht wird. Lachen verbindet. Schade, daß die Politik das so selten schafft.

Michael Moore in TrumpLand (USA 2016)
Regie: Michael Moore
Buch: Michael Moore
Kamera: Jim Zunt
Darsteller: Michael Moore

Der Film ist im iTunes-Store erhältlich: HIER. Die Screenshots wurden dieser Version entnommen.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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