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PARADIES: LIEBE – Von ausgebeuteten Ausbeutern und dem Geschäft der Aufmerksamkeit

Es geht ihm nicht um Geld, sondern um Liebe, erklärt der junge schwarze Mann der älteren weißen Frau, die er umgarnt. Er radebrecht mal mit ein paar Brocken Deutsch, dann wieder in rudimentärem Englisch. Teresa, eine 50-jährige Österreicherin auf Urlaub in Kenia, kann ihr Glück kaum fassen, daß sich ein so junger Bursche für eine übergewichtige, unscheinbare Hausfrau wie sie interessiert.

Das Geld kommt am nächsten Tag ins Spiel, nachdem sie sich von ihm hat verführen lassen. Da zeigt er ihr dann das arme Kind der Schwester und erzählt vom noch ärmeren Vater, der im Krankenhaus liegt. Sie zückt bereitwillig die Brieftasche, läßt sich von ihm hierhin und dorthin führen und gibt den Menschen ihr Bargeld. Sie zögert, alles zu geben, aber der junge Bursche erklärt nur: „More money“. Er weiß: Was er jetzt nicht aus ihr herausholt, wird er nie mehr kriegen. Als sie dann alles hergegeben hat und nicht mehr zahlen will, verschwindet der junge Mann mit seiner Aufmerksamkeit so schnell, wie er gekommen ist.

Die Tragik in Ulrich Seidls PARADIES: LIEBE, dem ersten Spielfilm einer Trilogie rund um die Sehnsüchte dreier Frauen, liegt nicht in der Tatsache, daß die Menschen in diesem Land so arm sind, daß sie sich für die Aussicht auf etwas Geld ganz ohne Stolz anbiedern und prostituieren müssen – auch wenn das natürlich tragisch ist. Das wahre Unglück liegt vielmehr darin, daß Teresa nicht versteht, daß es sich dabei um ein Geschäft handelt. In der verzweifelten Suche nach jemandem, der sie noch einmal begehrenswert findet, ist sie höchst empfänglich für das Gerede von Liebe und Romantik, das ihr serviert wird – und so kann ihr Ausflug nur in Enttäuschungen und Schmerz enden.

Seidl erzählt in den ihm eigenen ungeschönten Bildern von diesem vermeintlichen Paradies. In strengen Kompositionen werden die sonnendurchfluteten Strände gezeigt, die anonym gehaltene Hotelanlage, die armen Behausungen der Einheimischen. Soldaten marschieren auf und ab und sorgen für Ordnung, aber etwaige politische Unruhen werden hier ebenso ausgeblendet, wie es die Touristen dieser Gegend tun: Die wollen sich und die Welt vergessen, Sonne und Cocktails genießen, sich als „Sugermama“ einen der jungen Einheimischen anlachen, die tagtäglich am Strand warten und den Frauen billigen Schmuck und Liebesdienste anbieten.

Vor dem Unattraktiven scheut Seidl vor allem dort nicht zurück, wo es um die Sexualität geht. Mit beachtlicher Offenheit stellt Hauptdarstellerin Margarethe Tiesel ihren unvorteilhaften Körper zur Schau, mit all seinen Pfunden, den herabhängenden Brüsten und den zahlreichen Fettpolstern. Auch die männlichen Darsteller sind vielfach nackt zu sehen – aber erotisch ist hier wirklich gar nichts: Immerhin geht es hier nicht um die gefühlshervorgerufene Idealisierung, sondern um eine Transaktion. Nur einmal, als Teresa alleine auf dem Bett ihres Liebhabers schläft, gönnt ihr Seidl ein liebevolles Bild: Vom Moskitonetz bedeckt, fängt die Kamera sie so ein, wie ein alter Meister sie vielleicht gemalt hätte. Der bittere Beigeschmack, daß diese Frau viel Geld für eine Reise ausgegeben hat, um hier in ärmlichen Verhältnissen ihr emotionales Glück zu suchen, hallt in der Einstellung dennoch wieder.

Was die Männer von Gefühlen reden, ist natürlich gelogen – und komplett austauschbar: Immer wieder hört Teresa von verschiedenen Männern, sie sei die erste weiße Frau, die hier auf diesem Bett läge oder mit ins Dorf kommen dürfe. Das aus Teresa und, so können wir schlußfolgern, zahllosen anderen Frauen herausgekitzelte Geld wird gewissermaßen per Betrug geholt – in einer Szene versteht sie, daß die vermeintliche Schwester des oben erwähnten Mannes tatsächlich seine Frau ist und das Kind seins. Vielleicht kann er nur so seine Familie über die Runden bringen: Ausgebeutete werden zu Ausbeutern, und das trifft auf die Afrikaner ebenso zu wie auf Teresa, der die Freundinnen als Geburtstagsgeschenk einen Loverboy aufs Zimmer bestellen, mit dem sie dann alle ausführlich spielen.

Zum Schluß brechen aus der einsamen Frau, deren Tochter sie nicht einmal zum Geburtstag zurückruft, die Tränen hervor, nachdem ein ins Hotelzimmer geholter Liebesdiener es nicht mehr schafft, Lust auf ihren Körper vorzuspielen. In diesem Liebesparadies kann es hinter dem schönen Schein eben nur Verlierer geben.



Paradies: Liebe (Österreich/Deutschland/Frankreich 2012)
Regie: Ulrich Seidl
Buch: Ulrich Seidl, Veronika Franz
Kamera: Wolfgang Thaler, Ed Lachman
Darsteller: Margarethe Tiesel, Peter Kazungu, Inge Maux, Dunja Sowinetz, Helen Brugat, Gabriel Nguma Mwaruwa, Josphat Hamisi, Carlos Mukutani

Die Screenshots wurden von der DVD von Hoanzl ((C) 2013 Ulrich Seidl Film Produktion GmbH) entnommen.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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