TWILIGHT – Bis(s) zum Abwinken: Ein kritischer Blick auf die ganze Saga

Film / Neuer als alt / 25. August 2014

„Ein Gentleman kann keine Wette ablehnen“, sagte einst Kult-Regisseur Richard Stanley. So mußte ich also schon um der Ehre willen die Herausforderung annehmen, trotz möglicher Zielgruppenverfehlung alle fünf TWILIGHT-Filme hintereinander anzusehen – dankenswerterweise in einem Zeitraum von 72 Stunden und nicht an nur einem einzigen Tag – und hinterher wohlfeile Worte darüber zu verfassen. Nun denn: Widmen wir uns mit angespitztem Auge den Abenteuern von Bella Swan.

Bella ist 17 und, wie wohl selbst die härtesten TWILIGHT-Abstinenzler wissen, unsterblich verliebt in ihren Klassenkameraden Edward, der sich als Vampir entpuppt. Als wäre so eine Beziehung zwischen Mensch und Untotem nicht schon kompliziert genug, kämpft auch ein Bursche namens Jacob um Bellas Zuneigung – der, nicht minder unpraktisch, eigentlich ein Werwolf ist. Aufgrund jahrhundertlanger Unstimmigkeiten sind Vampire und Werwölfe biestig verfeindet und halten nur wegen eines Paktes Waffenstillstand, der nun zu enden droht.

Bella (Kristen Stewart) wird von Werwölfen (Taylor Lautner, links)
und Vampiren (Robert Pattinson) umworben.

Die dramatische Dreieckskonstellation zeichnet sich schon gleich nach dem Start des ersten Teils ab: Bella zieht mit ihrem Vater in das verregnete Städtchen Forks, und der erste Gleichaltrige, den sie kennenlernt, ist Jacob (weil der der Sohn eines Freundes von Bellas Vater ist). Pünktlich zur 10-Minuten-Marke spaziert Edward in die Schulcaféteria, und schon nimmt das Schicksal seinen Lauf. Man stelle sich vor: Wäre Bella hier und da nur fünf Minuten später aufgetaucht, müßte sie sich in dieser epischen Saga vielleicht zwischen einem Zombie und einer Mumie entscheiden. Oder zwischen einem Blogger und einem Independent-Filmemacher (in diesem Kampf hätte ich die Nase vorne).

Edward schaut mysteriös in die Gegend und sieht ein wenig aus, als würde er in einer Joy-Division-Coverband spielen. Hauptsächlich ist er unfreundlich zu Bella oder ignoriert sie, was bei ihr sofortige intensive Gefühlswallungen erzeugt. Als ich persönlich zu Schulzeiten das demonstrativ stille Brüten geübt habe, hatte das nur den Effekt, daß man mich in Ruhe ließ. Bei einem zweiten Anlauf zu Studienzeiten hielt man mich dann für den Professor. Vielleicht hätten mir Zeitlupe und Augenbrauen wie bei Groucho Marx geholfen.

„Also, wenn dir meine Hand schon zu kalt ist,
dann warte mal bis zur Hochzeitsnacht …“

Nach außen hin ist Edward 17, in Wirklichkeit ist er aber schon über hundert Jahre alt – er wurde 1918 zum Vampir und lebt seitdem mit einer kleinen Vampirfamilie zusammen, deren Patriarch die anderen Untoten gewissermaßen adoptiert hat. Nicht ganz geklärt ist die Frage, ob Edward auch innerlich siebzehn bleibt. Was ist schlimmer – auf Ewigkeiten ein hormongeplagter Teenager zu bleiben, oder auf Ewigkeiten als alte Seele ständig von hormongeplagten Teenagern umgeben zu sein? Es ist jedenfalls bewundernswert, daß Edward nach wie vor freiwillig und mit nur wenig Ermüdungserscheinungen die Schulbank drückt. Dem Lehrkörper ist offenbar noch nicht aufgefallen, wie oft der Junge schon durchgefallen ist.

Jacob spielt im ersten Film nur eine untergeordnete Rolle – abgesehen von ein paar Andeutungen im ersten Film hebt sich die Saga sein Werwolfdasein für den zweiten Teil auf. Ab da läuft er ständig mit nacktem Oberkörper herum, ebenso wie die anderen Mitglieder seines Rudels. Aus irgendeinem Grund tragen sie allerdings Boxershorts, die bei der Verwandlung in Wolfsform heimlich verschwinden (aber bei der Rückverwandlung wieder auftauchen). Es gibt auch eine Frau im Rudel, für die die Oben-ohne-Regel dieses latent homoerotischen Männervereins nicht zu gelten scheint. Weil Jacob seinen aufgepumpten Fitneßstudiokörper sehr hartnäckig spazierenführt, kam ich mir irgendwann vor wie Steve Carell, der in DATE NIGHT Mark Wahlberg anschreit: „Will you, for the love of god, put on a fucking shirt?“

Eine dieser Personen ist kein Werwolf.

Bella verliebt sich jedenfalls in kürzester Zeit in den intensiv vor sich hinbrütenden Edward, der – wie sich herausstellt – nur auf Distanz gegangen ist, weil er sie vor Unheil (sprich: vor ihm selbst) schützen wollte. Und das, obwohl er wie seine Vampirfamilie ein schöngeistiges, konstruktives Mitglied der Gemeinschaft ist: Die Beißer trinken nur Tierblut, der Familienvorstand arbeitet als Arzt im Ort, Edward hört Debussy, die Wohnung ist mit Büchern bestückt, und wahrscheinlich betreibt die Vampirmutter hinter dem Haus auch noch einen Komposthaufen.

Aber natürlich ist die gequälte Marlon-Brando-Nummer genau das, worauf so ein junges Mädchen abfährt – viel Geheimnis, etwas Gefahr, tiefempfundene Ernsthaftigkeit. Wobei die Beziehung zwischen Bella und Edward eine ganz keusche ist: Sie will ihn ganz und gar und kocht bald über vor Sehnsucht, er hat aber Angst, daß er ihr wehtun könnte oder die Kontrolle verliert und sie beißt. Weshalb Bella ihn überreden will, daß er sie ebenso zum Vampir macht, damit sie endlich der Liebe frönen können – aber Edward ist von dem Plan wenig begeistert.

Edwards Familie merkt man kaum an, daß sie aus Vampiren besteht.

Das Tauziehen zwischen Bellas Verlangen und Edwards Abstinenz nimmt ganze drei Filme in Anspruch, in denen die beiden wieder und wieder ihre innige Liebe beteuern, aber stets um den Vollzug verhandeln. Anfangs glaubt man noch, daß Edward erfahrungsgemäß weiß, daß die ewige Liebe bei jungen Mädchen selten bis ins zweite Semester des Studiums hineinreicht – aber am Ende des zweiten Teils stellt er ihr eine Frage, die jeden Cliffhanger von LOST kalt lächelnd in den Schatten stellt: Bella, willst du mich heiraten?

Die Heirat, wie wir in Part 3 dann erfahren, schmeckt Bella zunächst nicht so. Sie führt an, wieviele Ehen in der Scheidung enden, und meint, sie würde sich dann eingesperrt fühlen. Nun könnte man ein Mädchen, das zwar für ihren geliebten Joshi ihr Leben opfern würde, aber sich von einer Ehe mit ihm abgeschreckt fühlt, durchaus mal beiseitenehmen und ihr die eine oder andere Sache erklären – aber was soll’s, Edward ist eben ein altmodischer Vampir und poppt nur mit Schein, und Bella ist ja durchaus kompromißbereit und erklärt sich mit der Heirat einverstanden, wenn er sie dafür danach endlich zum Vampir macht. Wenn sich Bella einen Blogger oder Independent-Filmemacher aus der Klasse ausgesucht hätte, wäre der Verlust ihrer Jungfräulichkeit sicherlich keine so komplizierte Angelegenheit.

Verliebt in die Liebe: Bella und Edward.

Spott mal beiseite: Teil 1 der Reihe fängt sehr geschickt das Gefühl ein, als Teenager verliebt zu sein. In dem Alter ist die Liebe eine höchst dramatische Angelegenheit, ein intensiver Rausch, gegen den alles andere unwichtig ist – aber gleichzeitig ist es eine Sehnsucht nach einem Ideal, ein ganz unwirklicher Zustand, der alles mit einem selbst und wenig mit der anderen Person zu tun hat. In dieser Zeit gibt es kein Schauen-wir-mal-wohin-sich-die-Sache-entwickelt und keinen pragmatischen Alltag, und weil das Gefühl so intensiv ist, ist die Überzeugung umso stärker, daß es ewig halten wird. Das funktioniert, weil man nicht nur in die andere Person verliebt ist, sondern viel mehr noch in das Verliebtsein an sich – und somit paßt es auch, daß Bella und Edward in einem sehnsüchtigen Liebeszustand verharren, der nichts mit Schweiß und Körperlichkeit zu tun hat, sondern nur etwas mit schmerzlich-süßem Sehnsuchtsfieber.

Auch Bellas und Edwards Außenseitertum gehört zu diesem Teenagergefühl: Bella kommt mit verrostetem Pick-Up-Truck in die neue Schule, wo sie niemanden kennt, und fühlt sich als Scheidungskind zu den zeitüberdauernden Banden der Vampir-Ersatzfamilie hingezogen; Edward birgt ein gefährliches, dunkles Geheimnis und ist deshalb Einzelgänger, und was er selber als Makel empfindet – sein Vampirdasein, seine im Sonnenlicht glitzernde Haut, die ihn als Vampir verraten würde – findet Bella umso attraktiver. Das funktioniert auch auf metaphorischer und emotionaler Ebene, und weil Regisseurin Catherine Hardwicke – die sich schon mit DREIZEHN dem Teenagerdasein widmete – die Gefühlswelt ihrer Figuren mit wirbelnder Kamera, euphorischen Popsongs und unwirklich melancholisch gefärbten Bildern einzufangen versteht, ist es kein Wunder, daß sich so viele (vielleicht nicht nur) junge Menschen in der Geschichte wiederfinden können.

„Bella, ich schwöre, eben war das Shirt noch da …“

Die Teile 2 und 3 verkomplizieren mit der stärkeren Präsenz von Jacob das Liebesglück: In NEW MOON verschwindet Edward spurlos, weil er Bella beschützen will, und die findet in ihrer Trauer Trost bei Jacob, den sie zwar nur als Freund ansieht, aber der eigentlich mehr für sie empfindet. Edward taucht aber freilich wieder auf, und so buhlen beide Burschen in ECLIPSE um Bellas Gunst – und obwohl sie immer bei Edward bleibt, muß sie sich irgendwann doch eingestehen, daß sie Jacob auch liebt, nur eben nicht so stark wie Edward. Besondere Erwähnung muß dabei eine beinahe genial konstruierte Szene finden, in der die drei in Schnee und Eis in einem Zelt übernachten (aus einem sehr triftigen Grund, versteht sich) und Bella friert – weshalb sich Nebenbuhler Jacob an sie kuscheln und wärmen muß, während Edward mit immer noch brütendem Blick zusieht. Ich gehe davon aus, daß es Edward zuhause so wie ich macht und die eisigen Füße im Zweifelsfall unter der Decke zur Schlafnachbarin schiebt.

Weil Bella durch die ganze Geschichte hinweg passiver Rezipient der Geschehnisse bleibt und sich die ganze Welt in immer größeren Ausmaßen um sie dreht, fällt es mit zunehmendem Verlauf immer schwerer, das Drama wirklich ernstzunehmen. Weder der eine noch der andere Bursche wäre in Wirklichkeit gut für sie, weil sie sich bei beiden in hilflose Abhängigkeitszustände begibt – und weil es hier nicht um tatsächliche Beziehungsinhalte geht, sondern nur um das Bestehen einer Beziehung, werden die beständigen Liebesbeteuerungen bald sehr mühsam.

„Sag mal, wir wollten uns doch diesmal an einem romantischen Ort treffen …“

Der von AMERICAN-PIE-Regisseur Chris Weitz inszenierte zweite Teil suhlt sich geradezu in dem tieftrüben Weltschmerz, den man selber als Teenager auch empfunden hat und danach möglichst schnell wieder vergessen wollte – aber ihm fehlt dazu jegliche Perspektive, dieses konstruierte Liebesdrama für jemanden greifbar zu machen, der nicht gerade in exakt dieser Phase steckt. Wo Hardwicke in Teil 1 ihre Figuren manchmal noch die Absurdität der Situation kommentieren ließ – zum Beispiel in einem Moment, wo Edward schmunzelt, daß Bella seine Vampireltern kennenlernen soll und sich nur darüber Sorgen macht, ob sie sie mögen werden – walzt Weitz das Pathos so ernsthaft aus, daß es nur noch brechen kann.

Da hat David Slade bei der Inszenierung von ECLIPSE, dem dritten Teil, ein etwas leichteres Händchen – und zusätzlich das Glück, daß endlich auch etwas Bewegung in die Geschichte kommt. Die böse Vampirlady Victoria will Rache nehmen für ihren Geliebten Jacob, den Edward im ersten Teil bekämpfte, weil Jacob Bellas Blut trinken wollte – und dafür stellt Victoria nach und nach eine große Vampirarmee aus „Neugeborenen“ zusammen, mit denen sie Edwards gesamte Familie auslöschen will. Weil neugeborene Vampire ihre Fähigkeiten noch nicht unter Kontrolle haben, sind sie besonders gefährlich, weshalb Edwards Familie widerwillig mit Jacobs Wolfsrudel zusammenarbeiten muß, um die Bedrohung abzuwenden. So kriegt das Liebesgesäusel zwischen Bella, Edward und Jacob in ECLIPSE ein willkommenes Gegengewicht, das der Regisseur von HARD CANDY und 30 DAYS OF NIGHT mit einigen sehr atmosphärischen Gruselsequenzen und mehr visuellem Flair als sein Vorgänger gestaltet.

Bei schönen rothaarigen Vampiren (Bryce Dallas Howard) droht
Edward (Robert Pattison) doch glatt mal den Kopf zu verlieren …

Das von DREAMGIRLS-Regisseur Bill Condom, äh, Bill Condon inszenierte Entjungferungs-, Vampirwerdungs- und Schlußkampffinale der Saga wurde ganz nach dem Vorbild von HARRY POTTER auf zwei Teile aufgespalten – weil doch das Buch so lang ist und das zahlende Volk sonst frühzeitig auf andere Wiese geschickt werden muß. BREAKING DAWN, PART 1 leidet dabei an exakt denselben Problemen wie HARRY POTTER UND DIE HEILIGTÜMER DES TODES, TEIL 1: Es ist ein gewaltiges Setup für das Finale, das im Fußgängertempo ausgewalzt wird und seine Lauflänge weder kreativ noch narrativ verdient hat. Es ist eine Exposition vor dem tatsächlichen Schluß, die alleine deswegen in dieser aufgeblähten Größe existiert, weil die Fanbasis groß genug ist, um jeden Moment bis ins Unendliche auskosten zu können – die sind nämlich die einzigen, die selbst beim dreihundertfünfzigsten dramatischen Blick von Edward immer noch dahinschmelzen und mehr wollen.

Mit Part 4.1 hat sich die Saga entgültig von einer Geschichte, die das Gefühl einer Teenagerliebe einzufangen versucht, zu einer perfekten Anbiederung gewandelt, die dem Teenie-Zielpublikum exakt das gibt, was es will. Die Hochzeit zwischen Bella und Edward wird in ausgedehnter Länge und mit einem Ausmaß an Kitsch zelebriert, die in der selten ganz kitschfreien Reihe ganz neue Spitzen setzt: Es ist die Prinzessinnenhochzeit mit dem starken Beschützer, von der so manches junge Mädchen träumt, eine Bilderbuchphantasie, die in ihrem Aufwand und ihrer realitätsunbelasteten Glückseligkeit eher aus einem Märchen entnommen zu sein scheint.

In die andere Blickrichtung sieht die Hochzeit noch dezenter aus.

Weil Bella vor Verlangen ja schon drei Filme lang kaum mehr bei Verstand war, kommt es in der Hochzeitsnacht auch endlich zur Vereinigung zwischen ihr und Edward – ohne, daß er sie extra zum Vampir macht. Am nächsten Morgen hat sie überall blaue Flecken am Körper – wenn so ein Vampir mal die Kontrolle verliert, kann er seine Kraft eben nicht mehr einschätzen. Aber sie ist glücklich und befriedigt wie noch nie und gleitet in orgasmischer Wonne durch das Haus: Edward weiß offenbar, was Frauen mögen. Sie ist so freudetrunken, daß sie ihren Plan revidiert, selber zum Vampir zu werden: Das Menschsein ist einfach zu schön. Gottchen, der Kerl kann offenbar die ganze Welt schönpoppen.

Lange hält die Freude am weltsichtverrückenden Sex aber nicht an: Bella wird schwanger, und das Vampir-Mensch-Wesen, das in ihr heranwächst, saugt sie langsam von innen aus. Während sie dahinsiecht, stehen die Mitglieder von Edwards mit besorgten Gesichtern um sie herum – viel mehr können sie nicht tun, also tun sie das den ganzen Film lang. Die Werwölfe dagegen wollen das Baby töten, weil sie Angst vor ihm haben, und im Zweifelsfall die Vampirfamilie gleich mit – nur Jacob schlägt sich, welch Überraschung, auf Bellas Seite. Es wird sehr dramatisch, als die Wölfe das Vampirhaus belagern, in dem die Blutkonserven zur Neige gehen, mit denen Bella das Vampirbaby in sich zufriedenstellt: Drei Vampire müssen durch den Wald laufen und Nachschub holen, während sie von den Wölfen verfolgt werden. Nur mal so als Spinnerei in den Raum geworfen: Hätten die nicht jemanden anrufen können, der Blutkonserven vorbeibringt? Oder mit dem Auto fahren können?

Bella, irgendetwas an dir ist anders …

Es endet mit dem Setup für Teil 4.2: Das Kind wird geboren, bei Werwolf Jacob setzt der naturgegebene Beschützerinstinkt für das kleine Mädchen ein (weshalb die andere Wölfe ihm nun nichts mehr tun können), und Bella stirbt bei der Geburt – woraufhin sie von Edward gebissen wird und als Vampir wieder erwacht. In einer Geschichte, in der Bella immer nur alles zugestoßen ist und sie selber nie von sich aus agieren konnte oder mußte, wurde ihr damit die einzige eigene Entscheidung auch noch abgenommen. Wir lernen übrigens, daß sich bei der Verwandlung vom ausgemergelten todkranken Menschen zum kraftstrotzenden untoten Vampir auch das Make-up samt Lidschatten von alleine wiederherstellt.

Bella tut das Vampirdasein offenbar gut: Sie blickt nicht mehr in stummer Sehnsucht trüb in die Gegend, sondern rennt energiegeladen durch den Wald und hüpft über die Bäume. Als wär’s ein Tom-Cruise-Narrativ, entpuppt sie sich sofort als weltbester Vampir mit außergewöhnlichen Fähigkeiten und braucht kaum Eingewöhnungszeit, bis sie ihre Instinkte unter Kontrolle hat und statt Menschenblut nur Tierblut will. So könnten sie also alle friedlich bis ans Ende der Zeit leben – Bella und Edward, die in der Blumenwiese sitzen und über ihre Liebe reden, Jacob, der jetzt wieder öfter ein Shirt trägt und Kindermädchen spielt, die liebe Vampirfamilie, die jetzt nicht mehr besorgniserregt, sondern freudestrahlend im Bild herumsteht, und sogar Bellas Vater Charlie, der immer noch zweimal pro Film vorbeischaut. Wenn nicht …

Kaum ist sie Vampir, schon zitiert sich Bella
durch die Stallone-Filmographie hindurch.

… ja, wenn nicht Entwicklungen zum Siedepunkt kommen würden, die ich bislang komplett unterschlagen habe, obwohl sie sich schon seit Teil 2 der Reihe abzeichnen. Dort wurde nämlich der herrschende Vampirclan der Volturi vorgestellt, der offenbar im Vatikan haust. Während Edwards Familie ja brav und pflegeleicht ist, sind die Volturi eher garstige Gesellen, was man schon daran merkt, daß sie in düsteren mittelalterlichen Gemäuern herumsitzen und sich den ganzen Tag lang an ihrer Macht erfreuen. Ihr Anführer wird von Michael Sheen mit seiner ihm eigenen wunderbaren Theatralik gespielt – er ist der einzige Schauspieler, der hier Spaß zu haben scheint – während in seinem Clan auch die junge Dakota Fanning lebt, die mit ihrem unschuldigen Kindergesicht und den leeren roten Augen effektiv unheimlich wirkt.

In NEW MOON wollte Edward sich, weil er glaubte, daß Bella tot sei, von den Volturi umbringen lassen, aber Bella konnte ihn retten. Die sinistre Sippe will sie aber umbringen, weil sie von den Vampiren weiß – aber es wird ausgehandelt, daß sie ja eh bald selber zum Vampir wird und somit keine Gefahr darstellt. In BREAKING DAWN müßten die Volturi also eigentlich zufrieden sein, aber stattdessen fürchten sie Bellas Kind und ziehen in den Kampf gegen Edward und seine Familie – die sich diesmal nicht nur mit den Werwölfen zusammentun, sondern auch mit diversen anderen Vampirmischpoken aus der ganzen Welt.

Dank der UNDERWORLD-Reihe schon mit Vampiren und Werwölfen
vertraut: Michael Sheen als Ober-Vampir.

So wird erst in Teil 4.2 vollends ausgespielt, was sich hier und da in den vorigen Teilen schon andeutete: Die Vampire haben allesamt einzigartige Spezialfertigkeiten. Edwards Quasi-Schwester Alice kann, wie man schon von Beginn an gesehen hat, in die Zukunft sehen, während der Volturi-Chef Erinnerungen lesen kann. Die von Dakota Fanning gespielte Jane dagegen kann nur mit ihren Gedanken Schmerzen verursachen, fast so wie Adam Sandler. In BREAKING DAWN, PART 2 wird das Konzept aber erst wirklich ausgeführt: Ein Vampir kann mentale Bilder produzieren, ein anderer Stromstöße per Berührung verteilen, ein dritter beherrscht die Elemente. Bella selber kann eine Art Gedankenschild produzieren. Dagegen sehen die shirtlosen Werwölfe zunehmend blaß aus. Sollte TWILIGHT irgendwann einmal eine Fortsetzung erfahren, erwarte ich, daß ein alter Vampir im Rollstuhl auftaucht und eine Akademie gründet, wo die ganzen Mutanten, äh, Vampire lernen, ihre Fähigkeiten gemeinsam einzusetzen.

Es kommt zu einem epischen Kampf zwischen den beiden Parteien, der sich gewaschen hat. Plötzlich wächst der TWILIGHT-Saga ein kleiner Splatterherz: Köpfe werden abgerissen, Werwölfe zerfleischen Vampire, Körper werden abgefackelt, und einem Volturi-Glamrock-Vampir wird der Schädel halbiert. Die Action macht schon deswegen Laune, weil endlich mal nicht nur bedeutungsschwanger geschaut und im Raum herumgestanden wird, aber die Konfrontation gibt der Reihe auch deswegen einen dringend notwendigen Schuß Energie, weil da gleichzeitig eine Mythologie ausgebaut wird und das Drama zur Abwechslung mal nicht aus Gefühlsphrasen zusammengebaut wird. Ungeachtet aller Ähnlichkeiten zur X-MEN-Reihe fragt man sich angesichts dieser ganzen plötzlich auftauchenden neuen Figuren, warum man vier Filme lang einer inhaltsfreien Beziehung zugesehen hat, statt sich näher mit dieser Vampirwelt zu beschäftigen.

Jane (Dakota Fanning) kann mehr Schmerzen verursachen
als der durchschnittliche TWILIGHT-Regisseur.

Ins völlige Neuland führt der Film seine devoten Fans dann aber doch nicht. Der Schlacht wird mit einem zugegebenermaßen überraschenden und durchaus stimmigen Kniff die Drastik genommen, und dann wird uns wieder präsentiert, was wir eh schon immer gesehen haben: Bella und Edward sitzen in romantischer Verklärung auf der Wiese und reden über ihre Liebe. Inhalte gibt es in ihrer Beziehung immer noch keine – abgesehen vielleicht davon, daß sie jetzt auch über das Vampirdasein reden kann. Mal sehen, ob sie das in hundertzwanzig Jahren auch noch bei Laune hält. Dafür sehen wir als Flashback nochmal die schönsten Stationen von Bellas und Edwards Geschichte – Bill Condon weiß eben, was das Publikum will, und führt es ganz nach Dienstleistungsprinzip brav aus. Und weil der Abschied recht schwer fällt, kriegt jede Figur aus der Reihe – das ist ganz charmant – im Abspann nochmal einen kleinen Curtain Call.

So geht also die epische Saga zu Ende, und mit ihr mein Bericht. Trotz aller Spötteleien und Probleme entpuppt sich die Reihe als interessanter als erwartet: Teil 2 mag zäh sein und Teil 4.1 noch zäher, aber rundherum hat die Geschichte durchaus etwas zu bieten. Der erste Teil funktioniert am besten und erzählt eine Teenagerstory, in die man sich auch noch als Erwachsener hineinfühlen kann – später wird die verklärte Liebe zwischen Bella und Edward einfach zu sehr für bare Münze genommen, als daß man sie ohne weiteres schlucken könnte. Dabei hätte die Serie den Erwartungen ihrer Zielgruppe durchaus treu bleiben können und dennoch die Liebesbeziehung mit etwas mehr Inhalt und ernsthafteren Problemen füllen können – gerade in einer Teenagerliebe wäre der Schritt in das Erwachsenenalter eine Entwicklung, die viel Stoff hergeben würde. Aber dazu ist die Reihe zu sehr damit beschäftigt, Phantasien zu befriedigen und nebenher sein problematisches Frauenbild zu pflegen.

Clevere Bildunterschriften sind jetzt aus.

Dank des gelungenen Einstiegs, dem wuchtigem Finale und der nach und nach verdichteten Mythologie war die Reihe aber mit den genannten Einschränkungen vergnüglich. Und um noch etwas mehr Wohlwollen bei meinen kritischen Lesern zu verschenken, lasse ich gleich noch ein gewagteres Statement folgen – aber was ist der Sinn einer solchen Wette, wenn nicht Ehrlichkeit herrscht: Ich würde mir die Filme wieder ansehen.

 

Twilight – Biss zum Morgengrauen (USA 2008)
Originaltitel: Twilight
New Moon – Biss zur Mittagsstunde (USA 2009)
Originaltitel: The Twilight Saga: New Moon
Eclipse – Biss zum Abendrot (USA 2010)
Originaltitel: The Twilight Saga: Eclipse
Die Twilight Saga: Breaking Dawn – Biss zum Ende der Nacht, Teil 1 (USA 2011)
Originaltitel: The Twilight Saga: Breaking Dawn, Part 1
Die Twilight Saga: Breaking Dawn – Biss zum Ende der Nacht, Teil 2 (USA 2012)
Originaltitel: The Twilight Saga: Breaking Dawn, Part 2
Regie: Catherine Hardwicke (1), Chris Weitz (2), David Slade (3), Bill Condon (4 & 5)
Buch: Melissa Rosenberg, nach den Romanen von Stephanie Meyer
Kamera: Elliot Davis (1), Javier Aguirresarobe (2 & 3), Guillermo Navarro (4 & 5)
Musik: Carter Burwell (1, 4 & 5), Alexandre Desplat (2), Howard Shore (3)
Darsteller: Kristen Stewart, Robert Pattinson, Taylor Lautner, Billy Burke, Peter Facinelli, Ashley Greene, Elizabeth Reaser, Nikki Reed, Kellan Lutz, Jackson Rathbone, Anna Kendrick, Michael Sheen, Dakota Fanning, Bryce Dallas Howard






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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