ROCK STAR: Der Blick hinter die Phantasie

Uncategorized / 30. April 2014

Der Rock’n’Roll ist eine Phantasie, die nicht gelebt werden kann. Sex, Drogen, Anarchie, Dauerparty: Das ist ein Lebensmodell, das nach außen hin reizvoll erscheint, weil es Vergnügen ohne die lästigen Verpflichtungen der Wirklichkeit verspricht. In Wahrheit aber läuft die Dauerexistenz im Rock’n’Roll-Lifestyle früher oder später auf die Selbstzerstörung hinaus: Wir haben gesehen, wohin der Ruhm Kurt Cubain getrieben hat, was der Exzess aus Courtney Love gemacht hat, wie es Jim Morrison im Rockstardasein ergangen ist. Wer in dieser Welt leben und überleben will, kann sie nur als Business verstehen und die Phantasie weniger leben, als sie anderen zu verkaufen. Iron Maiden, AC/DC, die Rolling Stones: Das sind primär mal Geschäftsmodelle, die deswegen funktionieren, weil sie uns nicht als solche erscheinen. Wir nehmen diese Phantasie gerne an, weil sie attraktiver erscheint als die Realität hinter den Kulissen; von dem Businessmeeting, in dem die Rückkehr von Maiden-Sänger Bruce Dickinson wegen sinkender Verkaufszahlen beschlossen wird, wollen wir nichts wissen.

Auf recht leichtfüßige Art beschäftigt sich Stephen Hereks Film ROCK STAR mit exakt diesem Blick hinter den Vorhang, mit der Diskrepanz zwischen der Phantasie und der Wirklichkeit. Weil letztere fast nur ernüchternd sein kann, besitzt dieses Rockmärchen das leichte Flair einer Schauermär, eines Lehrstücks darüber, daß die Erfüllung von Träumen immer mit einem Preis verbunden ist – aber eigentlich geht es hier nicht um die moralische Erbauung oder die spießbürgerliche Warnung, sondern nur um die Erkenntnis, daß Rockstar letztlich auch nur ein Job ist: Der Spaß an den Ausschweifungen ist gleichzeitig mit der Arbeit verbunden, diesen Spaß anderen als erstrebenswert zu verkaufen.

ROCK STAR erzählt die Geschichte des Rocksängers Chris, der mit einer Coverband die Songs seiner Idole Steel Dragon nachspielt. Als deren Frontmann aussteigt, stolpert die Band über ein Video von Chris‘ letztem Auftritt – und lädt ihn ein, für sie vorzusingen. In einer Geschichte über Phantasien ist ausgerechnet dieser Teil Wirklichkeit: Als Judas-Priest-Sänger Rob Halford 1991 wegen Streitigkeiten die Gruppe verließ, fand die Band ihren Ersatz im Frontmann der Priest-Coverband British Steel, Tim „Ripper“ Owens.

Schon die erste Begegnung mit seinen Vorbildern ist für Chris eine Szene der Desillusion: Die Band streitet gerade mit dem ehemaligen Sänger Bobby Beers, der gefeuert wurde, weil er nicht mehr zu den Proben gekommen ist. Chris, der sein maskulines Image ganz nach Beers‘ Vorbild geformt hat, muß erfahren, daß Beers in Wirklichkeit homosexuell ist – und in einem schönen Bild der Demaskierung reißt sich Beers beim Herausgehen noch die Perücke mit den langen Haaren vom Kopf.

Dieser Bruch zwischen Wirklichkeit und Show ist ein ständiges Motiv des Films, der schon zu Beginn ein gewisses Vergnügen daraus zieht, Chris in voller Rockstarmontur durch das brav-alltägliche Haus seiner Eltern wandern zu lassen und ihn später dabei zu zeigen, wie er während seines Brotjobs als Reparaturfachmann für Photokopierer zwar mit Hemd und Krawatte autritt, aber noch Spuren von Mascara im Gesicht hat. Immer wieder wird der übertragene Blick hinter die Kulisse auch zu einem tatsächlichen: Vor einem Konzert sehen wir Backstage den lebenslustigen Manager am Dialysegerät, weil dessen Leber nicht mehr mitmacht; im Aufnahmestudio wird Chris von den beiden Gitarristen der Band für seine selbstgeschriebenen Songs belächelt, weil die, ganz Geschäftsmänner, schon am besten wissen, was die Fans wollen, und deswegen alle Songs selber schreiben und ihn nur zum Singen brauchen.

Die Situation fungiert als Echo in der Geschichte: Chris selber hat noch während seiner Zeit mit der Coverband die selbstgeschriebenen Songs seines Gitarristen abgeblockt, weil er sich rein auf die Steel-Dragon-Songs konzentrieren wollte. Es ist nicht die einzige wiederkehrende Situation in ROCK STAR: Das Zerwürfnis zwischen Steel Dragon und Bobby Beers ist ein Widerhall eines Streits zwischen Chris und seiner Band, den wir nur kurz davor gesehen haben; auch die Situation, wo Chris als fanatischer Fan in erster Reihe bei einem Konzert von Beers gesehen wird, taucht nachher noch einmal auf – nur daß dann Chris auf der Bühne steht und jemand anderes unten. Diese Spiegelungen in der Handlung lassen Chris stets von der einen zur anderen Seite wechseln, und sie suggerieren gleichzeitig einen fortlaufenden Kreislauf: Die Positionen in diesem Rock’n’Roll-Geschäft sind austauschbar, und der nächste hoffnungsfrohe Rockstar steht schon parat, wenn der alte nicht mehr will – oder funktioniert.

Weil die Desillusion Teil des erzählerischen Konzepts von ROCK STAR ist, bleibt das Rock’n’Roll-Leben von Chris nicht dauerhaft vergnüglich – und da kommt ein wenig der Aspekt der Lehrgeschichte ins Spiel: Natürlich kann Chris die Beziehung zu seiner Freundin nicht aufrechterhalten, wenn er jeden Abend von Dutzenden von Groupies belagert wird und nicht einmal weiß, in welcher Stadt er sich gerade befindet. Interessant ist dabei aber, daß dieser Konflikt nicht als typische Situation zwischen dem abgehobenen, eitel gewordenen Star und der einen Person, die ihn noch von früher kennt, erzählt wird: Chris ist nicht arrogant geworden oder hat sich selbst verloren, er ist nur der Phantasie mit ihren Versuchungen verfallen, und somit ist auch der Bruch mit seiner Freundin – wie so vieles im Film – ein Aufeinanderprallen von Phantasie und Wirklichkeit.

Freilich macht es sich der Film zum Schluß ein wenig einfach, um die Story zu einem positiven Ende zu bringen: Chris steigt aus der Band aus und beginnt eine Karriere mit eigenen Songs, die er in kleinen Clubs mit einer Gruppe vorträgt, in der auch sein ehemaliger Coverband-Gitarrist spielt. Daß seine Kompositionen so gut sind wie die, die wir hier hören („Colorful“ von The-Verve-Pipe-Sänger Brian Vander Ark), ist dabei natürlich ebenso optimistisch gesponnen wie die Tatsache, daß seine Ex-Freundin beim Konzert auftaucht und die beiden wieder zusammenkommen. Aber eigentlich ist dieses Wohlfühlende völlig passend: Auch das Kino verkauft uns eben letztlich schöne Phantasien.



Rock Star (USA 2001)
Regie: Stephen Herek
Buch: John Stockwell
Kamera: Ueli Steiger
Musik: Trevor Rabin
Darsteller: Mark Wahlberg, Jennifer Aniston, Dominic West, Timothy Spall, Timothy Olyphant, Dagmara Dominczyk, Jason Bonham, Jeff Pilson, Zakk Wylde, Brian Vander Ark






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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