FilmRetrospektive

ALIENKILLER – Von der Strafe, Mensch zu sein

Schon Sartre wußte es: „Die Hölle, das sind die anderen.“ Die Menschheit bereitet sich die Hölle selber zu. Und deshalb gibt es wohl keine grausamere Strafe als die, die zu Beginn von John McNaughtons THE BORROWER einem außerirdischen Mörder widerfährt: Er wird dazu verurteilt, in Menschenform auf die Erde verbannt zu werden. Bei solch drastischem Strafmaß erscheint sein weiteres Dilemma beinahe nebensächlich: Weil ihm mitunter der Kopf abhanden kommt, muß er sich regelmäßig einen neuen „ausleihen“. Und so darf die Polizei von Chicago einen Serienmörder jagen, der an jedem Tatort den Kopf des vorigen Opfers deponiert …

ALIENKILLER – so der sagenhaft austauschbare „deutsche“ Titel – könnte ein Film von Tobe Hooper sein, der seine Geschichten ja gerne als „Horror-Comics“ bezeichnet und damit eine Art von Ästhetik meint, die Genre-Phantastik, EC-Comic, derben Splatter, schwarzen Humor und eine generell recht bizarre Blickweise auf die Welt verknüpft. Tatsächlich ist der Streifen aber von John McNaughton, dem Regisseur des Kult-Undergroundfilms HENRY: PORTRAIT OF A SERIAL KILLER – und wo er sich dort traute, fast urteilslos in die Köpfe von zwei sehr kranken Verbrechern hineinzublicken, macht er sich in seinem zweiten Film eher den Spaß, einfach mal ganz bildlich gesprochen die Köpfe zu wechseln. Auch damit erinnert er an Tobe Hooper, der nach einem düster-brillanten Erstlingswerk ein eher leichtfüßiges und doch tiefschwarzes Kuriositätenkabinett folgen ließ.

Die Welt, die uns McNaughton zeigt, ist jedenfalls keine einladende – tatsächlich wäre sie auch ohne die Ankunft eines gewalttätigen Außerirdischen schon trüb genug. In THE BORROWER treibt sich nämlich auch ein brutaler Vergewaltiger herum, den die Polizei ebenso jagt wie das Alien – und natürlich werden sich die beiden Handlungsstränge zum Schluß kreuzen. Aber auch unabhängig davon blickt McNaughton auf einen Moloch – zum Beispiel in einer langen Sequenz, in der unser Alien erst von einem Obdachlosen unter die Fittiche genommen wird und später selber dessen Identität annimmt.

Wie die besten Exploitationfilme erlaubt somit auch THE BORROWER einen zynischen Kommentar zu sozialen Realitäten, die anderswo in Hollywood entweder ignoriert oder romantisiert werden. Wenn der Außerirdische mit klaffender Wunde am Hals und blutverschmiertem Hemd mitten durch die Straßen von Chicago spaziert, dreht sich kaum jemand nach ihm um. Später sitzt er in einem Diner, wo im Hintergrund ein Feuergefecht zwischen Besitzern und Räubern zu einem Blutbad führt. Überhaupt, die Waffen: Schon zu Beginn sitzen zwei Hinterwäldler im Wald und schießen mit großkalibrigem Gewehr und Schalldämpfer auf Rehe. Später können sich die Mitglieder einer jungen Heavy-Metal-Band gegen das Alien wehren, weil an der Wand des elterlichen Hauses diverse Gewehre dekorativ plaziert sind.

Und ja, der Film genießt seine Absurdität und zeichnet seine Geschichte mit schrägem Humor. Alleine die ständigen Bemühungen des Aliens, Gesten und Äußerungen der Menschen zu imitieren, die es trifft, sind geradezu drollig. Schon recht früh wird dem Außerirdischen von einer Autofahrerin (die ihn versehentlich überfährt und ihn dann gemütlich beim Krankenhaus absetzt – ohne mit reinzukommen, wegen der Versicherung, Sie verstehen?) eine putzige Sonnenbrille verpaßt, die ihn nur umso bizarrer aussehen läßt. Daß der Film durchweg billig gehalten ist und der Außerirdische mit dem Kopf auch gleich die Hautfarbe ändert (weil die Figur dann ganz einfach von dem jeweils anderen Schauspieler weitergespielt wird), gehört da eigentlich schon zum Charme des Prozederes – Groschenhefte gehören eben nicht in einen Ledereinband.

Zum Schluß darf unser tragisches Monster sogar mit einem Hundekopf durch die Gegend laufen – Mensch, Tier, ist doch eins. Und dann wird einem irgendwann klar, daß der wirklich harte Teil seiner Strafe nicht der ist, daß er Mensch sein muß – sondern daß er gewissermaßen jeder Mensch sein muß. Wenn die Hölle die anderen sind, dann durchlebt dieser Außerirdische das volle Ausmaß davon. Er kann einem fast leid tun.


Alienkiller (USA 1989/91)
Originaltitel: The Borrower

Regie: John McNaughton
Buch: Mason Nage, Richard Fire
Kamera: Julio Macat, Robert C. New
Musik: Robert McNaughton, Ken Hale, Steven A. Jones
Darsteller: Rae Dawn Chong, Don Gordon, Tom Towles, Antonio Fargas, Neil Giuntoli, Pam Gordon, Mädchen Amick

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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