[Film] Orcs (2011)

Uncategorized / 27. März 2012

Wir kennen ja schon die Auswüchse, mit denen obskure Billigproduktionen sozusagen per Beihilfe beworben werden: „Mit dem Star aus …“ heißt es da gerne auf dem DVD-Cover, wenn der Hauptdarsteller in einem prominenten Film den Boxkampfbesucher #32 gab; „Von einem Produzenten von …“ wird mitunter auch gesagt, weil die Produzenten bei Independent-Produktionen ja gerne mal so zahlreich über die Bildschirmcredits purzeln, daß sie eigene Fußballmannschaften mit kompletter Ersatzbank aufstellen könnten – einer wird schon dabei sein, der mal einen halbwegs bekannt klingenden Titel produziert hat! – und der Werbespruch „Von einem Autoren, der schon viel bessere Filme gesehen hat“ wird sicherlich auch in Kürze auf irgendeinem Direct-to-Mülltonne-Release prangen. Viel origineller macht das freilich der Schenkelklopfer ORCS, der uns wissen läßt: „Die Monster aus HERR DER RINGE sind zurück!“ Ach so, echt? Sind die da alle persönlich zum Dreh gekommen?

Auch sonst tut das Cover sein Bestes, die unbedarften HERR-DER-RINGE-Freunde zur spontanen Trennung von Geldbeutel und Geldschein zu bewegen: Das Covermotiv ist im bewährten Grünbraun-Ton der Vorlage gehalten, in der Mitte gibt’s einen vertraut wirkenden Ork von Nebenan, und links daneben zeigt sich ein sicher nur rein zufällig an Sarumans Turm erinnerndes Bauwerk. Hinten wird geradezu ökumenisch gearbeitet: „Ein Fantasyspektakel, auch für Tolkien-Fans“, heißt es da, und das Schlüsselwort lautet freilich „auch“: Väter, Mütter, Kinder, Großeltern und auch Tolkien-Fans lassen sich durch dieses Epos verzaubern. Oder so. Schön auch noch der Hinweis auf die namengebenden Kreaturen: „Wir haben sie in HERR DER RINGE gesehen und in WORLD OF WARCRAFT bekämpft, aber nun kommen sie, um uns zu töten!“ Tja, beim dritten Mal hat halt selbst ein Ork genug.

Jetzt sind wir also entsprechend angeheizt und wollen uns ganz und gar der komplexen Handlung hingeben. Also: Mordlüsterne Orks überrennen einen amerikanischen Nationalpark. Parkranger Cal muß sie aufhalten. Zack.

Ah, ihr seid noch da? Sehr gut. Natürlich war Jacksons bzw. Tolkiens Geschichtchen auch nur minimal vertrackter erzählt, aber die hatten ja auch über 10 Stunden bzw. mehr als 1600 Seiten Erzählzeit für das ganze Drumherum, während ORCS (der im Original übrigens noch spektakulöser mit einem Ausrufezeichen betitelt ist: ORCS!) sich in 77 Minuten um das Wesentliche kümmert: Misanthrope Gesellen im Wald.

Besagte Orcs kämpfen nämlich schon seit Tausenden von Jahren gegen die Menschheit, und auch jetzt sind sie offenbar nur deshalb wieder hinter den armen Parkbesuchern her, weil dort irgendein fragwürdiges Bergbauprojekt ihre Ruhe gestört hat. Schon früh im Film sehen wir die blonde Exfreundin von Ranger Cal, die völlig alleine auf der Straße mit erhobenem Schild Bewußtsein bezüglich des Naturausbeutungsprojekts stiften will, und wir als Zuseher freuen uns, daß wir neben all dem Spektakel auch noch eine ökologische Botschaft vermittelt bekommen.

Aber freilich siegt das Spektakel. Beziehungsweise das, wofür das Budget gereicht hat: Winzige Gruppen von mit Altmetall behangenen Gestalten laufen durchs Grüne und werden, wenn sie nicht gerade einen ahnungslosen Besucher mit Pfeil und Bogen erledigen dürfen, vom Ranger und seiner Crew über den Haufen geknallt. Der kritische Leser dürfte mir jetzt durchaus ankreiden, daß ich die ersten 35 Minuten des Films nahezu gnadenlos ignoriert habe – dem kann ich nur entgegnen, daß sich die unzähligen Einstellungen, in denen ein heranstürmender Stuntman (höchstwahrscheinlich stets derselbe) zu Boden geht, einfach so sehr eingebrannt haben, daß sie die Exposition inklusive dem abgetrennten Kopf in der Campingtoilette recht verblassen lassen. Ich habe gerade übrigens beschlossen, daß man manche Filmplots gar nicht chronologisch wiedergeben muß.

Falls nun ob meines spöttischen Tonfalls der Verdacht aufkommen könnte, daß der Film eher trashig wirkt, so ist der Gedanke nicht abwegig – aber wahr ist er doch. Wobei er gar nicht mal so ungeschickt versucht, seine Budgetlosigkeit zu überspielen: Man sieht zwar prinzipiell fast gar nichts von dem ganzen (räusper) aufregenden Kram, der da so passiert, aber das ist in den Einstellungen und per Schnitt und Sound meist durchaus kompetenter gelöst als bei den ganz groben Sparschweininszenierungen von Franco, Mattei und Konsorten. Womit wir jetzt natürlich nicht behaupten wollen, daß ein aufs Gras neben der Straße geratender Autoreifen, ein erschrockenes Gesicht und viel Lärm auf der Tonspur einen wahrlich überzeugenden Autounfall ergeben.

Daß der Film durchaus charmant wirkt, hat aber nun zwei ganz andere Gründe. Der eine davon ist der Offensichtlichere: Er nimmt sich selber nicht wahnsinnig ernst und setzt mit seinem Protagonisten einen wunderbar ironischen Antihelden ein, der im Park konfiszierte Joints „aus Testgründen“ selber raucht und sich auch sonst nicht gerade mit Ruhm bekleckert (dafür aber in einer Sequenz mit Orkblut). Alleine für das Normalgesicht und den dicken Schnauzbart darf man den guten Mann schon mögen.

Der zweite Grund ist etwas bizarrer: Die Handlung nimmt irgendwo zwischen parodistisch und ritualistisch Anleihen bei HERR DER RINGE. Oh ja! Der Assistent des Parkrangers kniet auf dem Golfkurs nieder, befühlt wie Aragorn (oder war es Legolas? Ach, einer von den Großen halt!) den Boden und erklärt zu visionären Flashbacks, daß hier ein Kampf stattgefunden hat. Später nehmen die Helden am Wegesrand Deckung, während eine Ork-Karavane vorbeimarschiert, und noch später versammeln sich die böswilligen Gestalten am Waldesrand und greifen wie zu Helms Klamm an, nachdem der erste Unhold niedergegangen ist. Nicht einmal ein Berserker wurde vergessen, der hier per Dynamit eine Tür aufsprengen darf. Auch wenn es nirgendwo die absurde Brillanz eines Films wie RATOM – KLINGEN AUS STAHL erreicht, in dem die Story vom WEISSEN HAI auf einen Golfplatz verlagert wurde (und die Helden dann vom VW-Bus aus Jagd auf einen fiesen Rasenmäher gemacht haben), ist die Zitierwut auch hier ein steter Quell der Heiterkeit – zumal man sich nie ganz sicher ist, ob augenzwinkernd angespielt oder einfach frech geklaut wird. Vielleicht beides.

Und nach nur 77 Minuten ist die Ork-Gefahr dann auch schon wieder gebannt. Bis Ende des Jahres natürlich, wenn Peter Jacksons THE HOBBIT erscheint. Aber mal ehrlich: Viel epischer kann der doch kaum werden.

Orcs (USA 2011)
Originaltitel: Orcs!
Regie: James MacPherson
Kamera: Cammon C. Randle
Drehbuch: Annie Black, Jason Faller, Kynan Griffin, Justin Partridge
Darsteller: Adam Johnson, Maclain Nelson, Renny Richmond, Michael Todd Behrens, Barta Heiner
Länge: 77 Minuten
FSK: 16

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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