Die außerirdischen Besucher (1983)

Uncategorized / 26. Oktober 2011

Ich glaube, ich habe ein neues Lieblingswesen. Es heißt Trumpy, ist ungefähr einen Meter groß, und sieht aus wie eine Mischung aus ALF und Ameisenbär. Trumpy kann das Gesicht nicht bewegen und leider auch nicht blinzeln, aber dafür kann er Erdnüsse und Milch mit dem Rüssel einsaugen. Er macht Geräusche wie ein resigniert-melancholischer Chewbacca, und er kann Gegenstände durchs Zimmer tanzen lassen.

Aber mal langsam. Trumpy ist der heimliche Star des Films DIE AUSSERIRDISCHEN BESUCHER von Juan Piquer Simón, von dem wir hier schon vor kurzem das Kettensägenhappening PIECES und das Unterwasserepos SIRENE I begutachten durften. LOS NUEVOS EXTRATERRESTRES, wie diese französisch-spanische Co-Produktion im Original heißt, wurde 1983 veröffentlicht, und ursprünglich schwebte Simón eine Story über den Angriff eines bösen Außerirdischen vor – bis dann 1982 ein Hollywood-Film mit einem niedlichen Außerirdischen (hmm – war es DAS DING AUS EINER ANDEREN WELT? Oder doch DER ZORN DES KHAN?) an den Kinokassen abräumte und die Produzenten anregte, das Alien auch hier knuffig und lieb zu gestalten und einen kleinen Jungen zur Geschichte hinzuzuschreiben, der sich mit dem Außerirdischen anfreundet. Simón war über die Änderungen nicht erfreut, und wenn der Regisseur & Autor von SIRENE I schon mal unzufrieden ist, dann will das etwas heißen.

Nach einigen einleitenden Bildern, in denen man einen Meteoriten durch das All fliegen und auf die Erde zurasen sieht, lernen wir in irgendwelchen nebligen Wäldern eine Gruppe Wilderer kennen, die sich nicht nur mit Gewehren, sondern auch mit einer Armbrust bewaffnen, um auf Wildfang zu gehen. Plötzlich kracht der Meteorit mit preiswerter Explosion in den Wald, was aber nur einer der drei Jungs mitbekommen hat. Er macht sich daran, die Absturzstelle zu untersuchen, und findet in einer Höhle des Meteoriten eine ganze Reihe von Eiern. Weil ihm die nicht ganz geheuer erscheinen, fängt er an, sie kaputtzuschlagen, woraufhin er von einem darob verstimmten pelzigen Wesen umgebracht wird. Wenn es nur eine Sache gibt, die zukünftige Generationen vielleicht aus den Filmen vergangener Tage lernen können, dann ist es hoffentlich die Warnung, sich von Alieneiern komplett fernzuhalten.

Zeitgleich lernen wir aber noch einen kleinen Jungen namens Tommy kennen, der eine veritable Haustierkollektion sein Eigen nennt – Kätzchen, Hamster, Hase, Vögel, Insekten – und mit großem Eifer sein Fernrohr auf die Sterne richtet. Weil Tommy den Absturz des Felsbrocken mitbeobachten konnte, geht er nachts auf Entdeckungsreise und findet im Meteoriten ein letztes intaktes Ei, das er begeistert mit nach Hause nimmt und an das er sich im Bett glücklich anschmiegt.

Kümmern wir uns flugs noch um unsere letzte Gruppe von menschlichen Protagonisten: Eine Band, die gerade im Studio die Gesangsspuren für ihr neues Album aufnimmt. Aus den Boxen ertönt dezent grauenhafter Discopop, und Leadsänger Ricky singt erst innig („Hear the engines roll now!“ lautet der gesamte Refrain) und beschwert sich dann bei allen Anwesenden, daß die Musik mies klingt. Wer könnte ihm da widersprechen? Er pfeift seine drei Backgroundsängerinnen zusammen, insbesondere seine Freundin, die angeblich dem Beat hinterherhinkt (sie kontert mit dem Hinweis, daß er immer zu früh singt). Bevor die Stimmung komplett den Bach heruntergeht, beenden Ricky und sein Manager Brian die Aufnahmesession und packen ihre beiden Mädels ein, um ins Grüne zu fahren. Rickys Freundin ist dabei zunächst noch etwas reserviert, weil Ricky noch ein zusätzliches Groupie eingeladen hat, aber Brian erläutert ihr den Sachverhalt: Daß Ricky immer mit anderen Frauen herummacht, gehört eben zu seinem Rockstardasein – da soll sich die Freundin mal nicht so haben. Das sieht die gute Frau denn auch ein.

Unterdessen ist Tommys Ei schon geschlüpft und heraus kommt ein kleines pelziges Alien mit langem Rüssel, das er Trumpy tauft. Trumpy sieht anfangs noch aus wie eine kleine Puppe, aber nach eifrigem Milchkonsum (die Puppe wird sanft in eine Milchschüssel gekippt, die Milch rinnt aus) wächst er flugs zu einem stattlichen Außerirdischen heran, der so groß ist wie Tommy. Der Körper sieht dabei aus wie später der von ALF – pelziges Ganzkörperkostüm – während der Kopf eine Art Ameisenbärform mit langem Rüssel hat. Es tut der Freude wahrlich kaum Abbruch, daß sich besagter Kopf dabei um eine starre, unbewegliche Maske handelt, deren Besonderheit uns auch schnell in einem applausverdächtigen Effekte vorgeführt wird: Als Tommy Trumpy mit Erdnüssen füttert, sehen wir in Nahaufnahme ein als Rüssel verkleidetes Staubsaugerrohr, das die Nüsse gleichförmig einsaugt.

Aber Trumpy kann noch mehr! Er läßt Tommys Gegenstände durchs Zimmer fliegen, entlockt einem elektronischen Memory-Spiel ungeahnte musikalische Sequenzen, setzt in Sekundenschnelle per Telekinese ein Puzzle zusammen, steht spaßeshalber einen Moment lang an der Zimmerdecke herum, und als Tommy durch sein Fernrohr schauen will, sieht der begeisterte Junge Archivaufnahmen aus Afrika! Und obwohl sich Trumpy nur mit kläglich gurrenden Lauten artikulieren kann, versteht er Tommy offenbar hervorragend, da er beständig auf Fragen mit einem Nicken oder Schütteln des Kopfes antwortet.

Sprechen wir es ruhig aus: Trumpy ist so wunderbar, daß wir uns jetzt gar nicht mehr ausufernd lange mit der fortlaufenden Handlung aufhalten möchten. Das zuerst entschlüpfte Alien – das natürlich so aussieht wie Trumpy – wird in den Wäldern von den Wilderern angegriffen und verwundet und macht sich daraufhin an die Arbeit, dem ganzen durch das Geäst rennenden Menschenvolk den Garaus zu machen (die Leichen haben danach eine leuchtende Sternenkonstellation auf der Stirn). Die attackierten Musiker und ihre weibliche Gefolgschaft fliehen zum Haus von Tommy und bekommen bei dessen Tante und seinem schießwütiger Onkel Unterschlupf. Eine Flucht ist leider nicht möglich (wegen schlechtem Wetter und urplötzlich schlimmer Straßenzustände und außerdem noch wegen ohne Vorwarnung im Schnee spielender Außenaufnahmen), und während das misanthrope First Alien immer mehr Leute über die Klinge springen läßt, versucht Tommy, seinen guten Freund Trumpy vor der bis an die Zähne bewaffneten Meute zu schützen.

Es darf an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß LOS NUEVOS EXTRATERRESTRES im Englischen zuerst als EXTRA TERRESTRIAL VISITORS vermarktet wurde und dann noch einmal unter dem bekannteren Namen THE POD PEOPLE unters Volk kam – und das ist auch der Titel, unter dem dieser Streifen berüchtigt wurde, nicht zuletzt deshalb, weil er vom Trash-Kommentatoren-Club MYSTERY SCIENCE THEATER 3000 aufs Korn genommen wurde. Momentan ist der Film auf Platz 26 der 100 IMDB-Titel mit den schlechtesten Bewertungen. Oh ja, der Film ist das Gespött einer großen Gruppe von Trashfreunden.

Und nein, man kann nicht ernsten Gesichtes behaupten, daß der Streifen, der hierzulande unter dem hoffnungsvollen Titel RETURN OF E.T. auf DVD erschienen ist, unglaublich gelungen sei – von der E.T.-Ripoff-plus-Monsterfilm-Story über die sparsame Produktion hin zu der gleichförmigen Synthmucke, der lächerlichen Popband, dem plötzlichen Wechsel von Tag und Nacht, Herbst und Winter, grünen Wiesen und Schnee, und freilich dem plumpen Außerirdischen selbst schreit einfach alles an diesem Film nach unfreiwilligem Trashmovie.

Und doch – ich bin in solchen Dingen ja manchmal merkwürdig – kann sich die ganz große Häme bei mir gar nicht einstellen. Vielleicht deshalb, weil durch die ganzen Holprigkeiten ein wunderbarer Charme durch die Ritzen dieses Films durchscheint. Und vielleicht auch, weil die 80 Minuten Laufzeit eigentlich ziemlich kurzweilig sind. Aber vermutlich auch deswegen, weil ich ein Herz für Filmkreaturen habe, die so billig gemacht sind und so offensichtlich von einem Menschen im Kostüm gespielt werden. Ehrlich: Der liebe Trumpy wirkt so unbeholfen, daß sich da bei mir sofort ein Beschützerinstinkt rührt. Und wenn Tommy ihm die Freundschaft kündigt, um ihn vor seinen waffenschwingenden Verwandten zu retten, und den hilflos nach ihm greifenden Trumpy von sich schubst, tut mir der kleine Kerl ein bißchen leid. Da haben wir die blanke Wahrheit: Ich bin sogar beim sechsundzwanzigstschlechtesten Film der Welt emotional involviert. Na schön. Ich stehe dazu.

Schade natürlich, daß es nie Merchandising zu diesem Film gab. Wer noch auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk ist, kann mir ja vielleicht eine kleine Trumpy-Puppe basteln. Zuviel Aufwand? Nun – wie wäre es dann mit einem Paket mit allen Filmen von den Plätzen 1 bis 25?

Die außerirdischen Besucher (Frankreich/Spanien 1983)
Originaltitel: Los nuevos extraterrestres
Alternativtitel: Extra Terrestrial Visitors / The Pod People / Return of E.T.
Regie: „J. Piquer Simon“ (= Juan Piquer Simón)
Drehbuch: „Jack Gray“ (= Joaquín Grau), Juan Piquer Simón
Darsteller: Ian Sera, Nina Ferrer, „Susan Blake“ (= Susanna Bequer), Sara Palmer, Óscar Martín
FSK: 12

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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