Pieces – Stunden des Wahnsinns (1982)

Uncategorized / 30. Juni 2011

Kinder, heute schauen wir mal etwas ganz Originelles – einen Slasher aus den frühen Achtzigern. Oh ja! Es ist eine der beruhigenden Gewißheiten im Leben, daß es, egal wieviele Slasher man schon gesehen hat, immer noch Dutzende geben wird, die man noch nicht kennt. Dieser hier ist eine spanisch-puerto-ricanische Koproduktion aus dem Jahre 1982 und wurde von Juan Piquer Simón mit größtenteils englischsprachigen Schauspielern inszeniert – und auf dem Poster (große Kettensäge plus zusammengeflickte Frau) prangt der schöne Satz „It’s exactly what you think it is!“. Nun ja … braucht ihr mich dann eigentlich noch, um was drüber zu sagen? Nicht? Dann erzähle ich trotzdem ein wenig davon.

Der Terror fängt hier schon in der Kindheit an: Wir sehen einen kleinen Jungen, der eifrig ein Puzzle zusammensetzt. Die Mutter kommt ins Zimmer und sieht das Motiv des Puzzles: ein nacktes Pin-Up-Girl. Erbost über derartige Frivolität scheuert sie dem Jungen eine, nimmt ihm das Puzzle weg und macht sich schäumend daran, das Zimmer nach etwaiger Pornographie zu durchsuchen. Wir wissen zwar nicht, wer dem Kind das schöne Puzzle geschenkt hat, können aber trotzdem ganz im Sinne des aufklärerischen Schulmädchenreports konstatieren: Diese Mutter handelt falsch.

Das merkt Mama dann auch eine Minute später selbst, als der Junge mit einer Axt, die ungefähr so groß ist wie er selbst, hinter ihr steht und ihr damit den Schädel spaltet. Dann macht er sich gleich eifrig mit einer Säge an ihr zu schaffen. Als die Polizei eintrifft (weil eine Verwandte sich sorgte), finden sie die zersägte Mutti auf dem Boden, ihren Kopf im Schrank und den Jungen verstört in einem Versteck, woraufhin geschlußfolgert wird, daß sich ein wahnsinniger Mörder herumtreibt. Ich bin mir noch unschlüssig, ob ich den Film eher als Anschauungsmaterial für Vorlesungen über sexuelle Repressionen empfehlen sollte oder doch lieber als Lehrvideo für auszubildende Kriminalbeamte.

Circa vierzig Jahre später treibt sich der mittlerweile erwachsene Killer nun an einem College herum. Gleich zum Auftakt schnappt er sich eine Kettensäge und macht sich am hellichten Tag über ein auf dem Campusrasen liegendes Mädchen mit kurzem Rock her. Es spricht für die meditative Ausgeglichenheit der Bildungsanstalt, daß das weder jemandem während des Prozederes auffällt, noch daß das Mädchen ernsthafte Anstalten macht, davonzulaufen. Weil der Killer – dessen Gesicht wir nicht sehen – bei der Tat angeregt schnauft und sich nach verrichteter Arbeit sogleich daran macht, wieder mit seinem alten (mittlerweile blutbefleckten) Puzzle zu spielen, fragen wir uns, ob ihm den vergangenen vierzig Jahren keine Frauen über den Weg gelaufen sind. Aber vielleicht hat er sich auch nach einem abgebrochenen Psychologiestudium und vergeblichen Anläufen, in einer Brettspielfirma anzuheuern, jetzt dazu entschlossen, seinem Leben eine neue Richtung zu geben.

Immerhin findet die Polizei die zerstückelte Leiche und macht sich Sorgen, vor allem Chefinspektor Christopher George, den Horrorveterinäre, äh, -veteranen aus dem Fulci-Klassiker EIN ZOMBIE HING AM GLOCKENSEIL kennen, wo er dasselbe Gesicht trug. Ein paar Verdächtige werden verhört: Der Gärtner zum Beispiel, der vom fülligen und bärtigen Paul Smith gespielt wird (der in den Siebzigern mal vergblich als Bud-Spencer-Klon ins Rennen geschickt wurde – nennt man das dann Budsploitation?) und so angestrengt finster dreinblickt, daß er unmöglich der Täter sein kann. Ebenso gibt es einen Professor (Jack Taylor), der sich verdächtigerweise so gar nicht beeindruckt zeigt von diesem Mordfall. Während Christopher George also sein Gesicht am Campus spazierenträgt, fordert Dekan Edmund Purdom, daß etwas geschehen muß.

Tut es auch: Des Nachts wird ein nacktes Mädchen beim Swimming-Pool zersägt (anstatt ins Becken zu springen und zu hoffen, daß Kettensägen unter Wasser nicht funktionieren, kreischt sie lieber etwas). Kurz darauf trifft der Gärtner am Tatort ein, weil er eine verdächtige Gestalt herumschleichen sah, und prompt steht auch die Polizei auf der Matte, die ihn nun für den Täter hält. Er macht also das einzig Logische in der Situation: Er greift die Polizisten an und prügelt sich mit ihnen, bis sie ihn überwältigen können. Hernach betracht der Oberinspektor den Berg aus Leichenteilen und die danebenliegende blutverschmierte Kettensäge und sinniert darüber, ob es sich womöglich um die Mordwaffe handeln könnte. Professor Jack Taylor, zufällig auch anwesend, betrachtet nachdenklich ein abgetrenntes Bein und dann das in Frage kommende Instrument (er wird vom Inspektor noch gescholten, daß er es angefaßt und jetzt vielleicht wichtiges Beweismaterial vernichtet hat) und gibt dann zu Protokoll: Er ist zwar kein Pathologe, aber – freilich!

Da muß die Polizeikraft am Campus doch prompt verstärkt werden. Weil der einzige Helfer des Oberinspektors, ein älterer grauhaariger Herr, damit beschäftigt ist, die Akten im Archiv dahingehend zu durchwühlen, ob ihm irgendwo etwas Ungewöhnliches auffällt, heuert der Kriminalbeamte eine junge blonde Frau an, die zufällig Tennisstar ist und ergo undercover am College als Tennislehrerin arbeiten soll. Leider kommt der gute Inspektor Issel aber nicht auf die Idee, sie nachts als Lockvogel einzusetzen und das Gelände, in dem sie sich befindet, mit versteckten Polizisten zu besetzen, um dann den Mörder einkreisen zu können – aber das liegt vielleicht einfach daran, daß er ja außer dem Aktenwälzer gar keine Mitarbeiter zur Verfügung hat. Als Ausgleich kommt aber auch niemand auf den Gedanken, die Studenten zu warnen, daß sie nachts nicht alleine auf die Straße gehen sollen, oder gar gleich eine Ausgangssperre zu verhängen.

So muß Frau Tennisprofi also tagsüber den Schläger schwingen und nachts irgendwo herumstreunern, wo der Mörder gerade nicht aktiv ist – der ist nämlich derweil damit beschäftigt, einem Mädchen aus einer Aerobicklasse im Fahrstuhl den Arm abzusägen und eine andere Frau auf einem Wasserbett umzubringen. Nach jeder Tat puzzelt er wieder ein wenig und bastelt außerdem aus mitgenommenen Leichenteilen ein Abbild seiner Frau Mama – da freuen wir uns doch, daß er nach so vielen Jahren seine Mutti doch noch ins Herz geschlossen hat. Student Schwarz, ich erwarte die zehnseitige Proseminararbeit zum Thema „PIECES, Puzzles und Freud“ Montag früh auf meinem Schreibtisch.

Die Bemühungen vom Inspektor, seinem Assistenten und der Tennisdame bleiben derweil erfolglos, obwohl sich ein motivierter Aufreißerstudent mittlerweile der Polizei hilfreich angeschlossen hat und die Ermittlungen begleitet. Es ändert nichts daran, daß eine halbnackte Studentin in der Sportanlage die Bekanntschaft des sägeschwingenden Mörders machen muß, und wieder setzt Christopher George beim Fund der Leiche diesen Gesichtsausdruck auf, wo er kurz davor ist, die Lippen zusammenzupressen, die Faust zu ballen und diese ganz stille „Mist!“-Geste zu unterdrücken.

Die Undercover-Agentin wird übrigens des Nachts doch noch angegriffen: Von einem dahergelaufenen Asiaten, der sie mit ein paar Kung-Fu-Tritten und -Schlägen bedrängt und sich überrascht zeigt, daß sie sich wehrt. Glücklicherweise kommt in dem Moment der Aufreißerstudent vorbei, der den Asiaten erkennt und hilfreich erklärt, daß es sich um Professor Chow handelt, der am College Martial Arts unterrichtet. Chow erläutert, daß er wohl schlechtes Chop Suey gegessen hat und sich an nichts erinnern kann, und dann lachen alle und gehen ihrer Wege. Falls sich der Verdacht aufdrängt, daß die Sequenz überhaupt nichts mit der Handlung zu tun hat, so können wir den interessierten Zuseher darüber informieren, daß der Produzent des Films, Dick Randall, diverse Filme mit Bruce-Lee-Imitatoren betreute und es für eine gute Idee hielt, einen solchen auch hier auftreten zu lassen.

Wir stehen kurz vor dem Schluß, und ich überlege, ob ich nun tatsächlich verraten soll, wer der Täter ist. Sagen wir mal so: Wer ist denn da, der im richtigen Alter wäre und sich bislang absolut unverdächtig und ohne tatsächliche Handlungsfunktion gezeigt hat? Nein, der Chefinspektor zählt nicht. Jedenfalls steht also der Tennisstar bei ihm vor der Tür, er mixt ihr Drogen in den Tee, und kurz, bevor er ihr die Zehen absägen kann (Muttis Schuhe passen ihr nicht), stürmt die Polizei in die Wohnung – weil der Aufreißerstudent beim Aktenwälzen etwas Ungewöhnliches entdeckt hat. Zum Abschluß gibt’s noch zwei schöne Schockmomente – einen gelungenen und einen … nun ja.

„It’s exactly what you think it is!“ Nun ja, im Prinzip schon: Es ist halt ein 80’s-Slasher. Ein irrer Killer, viele recht anonyme Opfer, diverse blutrünstige Morde, und ein paar Schocks. Wobei PIECES zwar im Plot eher amüsant anmutet, aber dafür anderweitig punktet: Der Film ist drastischer und intensiver als viele vergleichbare Filme und schafft eine durchaus nervöse Stimmung. Und wenn man will, kann man einen gewissen Giallo-Einfluß feststellen: Im Auftreten des schattenhaften Killers, in der engen Verknüpfung von Sex und Tod und der dazugehörigen einfachen Symbolik (das blutbefleckte Puzzlespiel!), in gewissen Bildkompositionen und in der Musik (z.B. beim Vorspann). Und hey, einen Kung-Fu-Kämpfer gibt’s ohne Aufpreis dazu!

Pieces – Stunden des Wahnsinns (Spanien/Puerto Rico 1982)
Originaltitel: Mil gritos tiene la noche
Regie: Juan Piquer Simón
Drehbuch: Dick Randall & John Shadow
Kamera: „John Marine“ (= Juan Mariné)
Musik: Librado Pastor
Darsteller: Christopher George, Paul Smith, Edmund Purdom, Linda Day, Jack Taylor

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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