LAURA: Eine erotische Expedition von und mit der „echten“ Emmanuelle

Film / Wühlkiste / 4. Februar 2017
Annie Belle in LAURA

Als 1974 Just Jaeckins Verfilmung von Emmanuelle Arsans Skandalroman EMMANUELLE ODER DIE SCHULE DER LUST zum Millionenerfolg wurde, war die Nachfrage nach weiteren Emmanuelle-Filmen und Erotikgeschichten im selben Fahrwasser enorm: schwelgerische Bilder, geschmackvoll abgelichtete Körper, frei ausgelebte Sexualität, etwas Exotik und ein Schuß Philosophie. Einer der Epigonen war ein weiteres Arsan-Projekt: Die Verfilmung ihres Buchs LAURE, auf Deutsch LAURA, geschrieben und inszeniert von Emmanuelle Arsan höchstselbst.

Aber halt: Ganz so einfach ist die Frage nach der Autorenschaft von LAURA nicht geklärt – immerhin heißt es im Vorspann „Regia di Anonimo“. Auch die Erstauflage von EMMANUELLE war noch anonym publiziert, später wurde „Emmanuelle Arsan“ als Pseudonym verwendet. Dahinter verbarg sich, wie sich später herausstellte, die Diplomatenehefrau Marayat Rollet-Andriane. Eigentlich, behauptet LAURA-Produzent Ovidio G. Assonitis allerdings, soll tatsächlich ihr Mann Louis-Jacques Rollet-Andriane Autor der Bücher gewesen sein und auch LAURA zusammen mit Kameramann Roberto D’Ettorre Piazzoli inszeniert haben – das Arsan-Pseudonym diente dazu, seine Diplomatenkarriere nicht zu gefährden. Allerdings scheint Assonitis die Hauptquelle dieser Information zu sein – und nachdem er sich allem Anschein nach beim LAURA-Dreh mit Rollet-Andriane verkracht hat und auch sonst Konfrontationskurs mit seinen Mitarbeitern fährt (siehe James Camerons Arbeit an PIRANHA II), darf man zumindest hinterfragen, ob die Wahrheit nicht vielleicht doch komplexer ist als hier behauptet.

Annie Belle und Orso Maria Guerrini in LAURA
Laura (Annie Belle) betört nicht nur Prof. Morgan (Orso Maria Guerrini).

So oder so kann man sehen, daß LAURA (der später auch als EMMANUELLE FÜR IMMER bzw. im Englischen als FOREVER EMMANUELLE vermarktet wurde) aus derselben Feder stammt wie EMMANUELLE: Auch hier erforschen die Protagonisten vor fernöstlicher Kulisse das Konzept offener Beziehungen und freier Liebe, auch hier wird im philosophischen Tonfall über die Bedeutung von Sexualität gesprochen, und die Titelfigur ist jene moderne, ihren Sinnesfreuden aktiv nachgehende Frau, zu der auch Emmanuelle in ihrem ersten Film wurde.

Schauplatz ist diesmal die philippinische Hauptstadt Manila, in der die junge Predigertochter Laura (Annie Belle) den Dokumentarfilmer Nicolas (Al Cliver) kennenlernt und eine Liaison mit ihm eingeht. Nicolas sammelt Filmmaterial über die Liebe und hat dazu eine sehr offene Haltung: Weil er sich in Laura verliebt, ist es ihm auch recht, wenn sie sich mit anderen Männern und Frauen vergnügt – weil sie dadurch glücklich wird und er das damit auch spüren kann. Über Laura lernt Nicolas auch den Anthropologen Prof. Gaultier Jones Morgan (Orso Maria Guerrini), dessen Frau Natalie (Michele Starck) und deren Freundin Myrte (Emmanuelle Arsan selber) kennen. Morgan will die Mara erforschen, einen fast ausgestorbenen Stamm, der abgeschieden auf einer nahegelegenen Insel lebt und ein interessantes Ritual pflegt: Zu jeder Sommersonnenwende vergessen sie ihre alten Identitäten und beginnen somit ein neues Leben mit neuen Partnern und Interessen.

Emmanuelle Arsan und Michele Starck in LAURA
Die echte Emmanuelle verhält sich wie ihre Romanfigur: Myrte (Emmanuelle Arsan, links) und Natalie (Michele Starck).

Wie EMMANUELLE spielt auch LAURA in der Welt der Reichen und Schönen – was stets als Teil der verführerischen Phantasie funktioniert: Nicht nur, daß ihre Umgebung wie ein ästhetischer Einrichtungskatalog stetes Wohlbefinden suggeriert – die Protagonisten haben auch keinerlei Sorgen oder alltägliche Verpflichtungen, weshalb sie sich ganz den angenehmen Seiten des Lebens widmen können. Auch die exotische Kulisse dient als sinnlich-entrückte Erfahrung – wobei LAURA mit seiner Expedition in die Wildnis wie ein Brückenschlag beinahe verständlich macht, wieso das Fremde und Wilde im europäischen Film einerseits so oft mit der Sexualität gekoppelt, andererseits gern in Tabubrüche anderer Art geführt wurde. Auch wenn Lauras Erkundung des Dschungels keinerlei Gefahren außer dem möglichen Identitätsverlust zu Tage bringt: Von hier aus ist der Blick frei in Richtung der MONDO-CANE-Ableger oder einer Erotik-Horror-Kombination wie Aristide Massaccesis NACKT UNTER KANNIBALEN (der ja ohnehin im EMMANUELLE-Fahrwasser entstand).

Mehr noch als EMMANUELLE unterhalten sich Laura und ihre Bekannten gerne in philosophischen Aphorismen: „Ein Jahr ohne Angst kann wie ein ewiges Leben sein“, heißt es an einer Stelle, „Meine Liebe für die Schönheit und meine Liebe für dich sind ein und dasselbe“ an einer anderen. Die Dialoge zielen nicht auf Realismus ab, sondern lassen die Figuren eher wie Ideenträger funktionieren. „Pseudophilosophisches Gerede“ nennt das das Lexikon des Internationalen Films, weil es tatsächlich schwer fällt, aus den Sentenzen aussagekräftige Konzepte abzuleiten – aber wenn man LAURA wie EMMANUELLE als Phantasie versteht, in der sich wie im Traum lose Gedanken zu Themen zusammenfügen, passen die Ansätze perfekt: Es geht hier mehr um die Suche nach Identitäten, sexuellen und anderen, als um konkrete Antworten.

Perfekt arrangierte Bildkompositionen: Annie Belle, Al Cliver in LAURA
Perfekt arrangierte Bildkompositionen: Laura (Annie Belle) und Nicolas (Al Cliver).

Unabhängig vom Gehalt seiner Gespräche bietet LAURA jedenfalls einen betörenden erotischen Reigen. Wie im Vorbild wird jeder Moment wie eine verträumte Photostrecke eingefangen, jedes Bilddetail ist perfekt arrangiert, jede zweite Komposition ein Gedicht. Vor allem der Körper der bezaubernden Annie Belle wird mitunter wie ein Kunstwerk inszeniert – zum Beispiel, wenn sie sich im Wasser aus ihrem unschuldig weißen Kleid schält. Dafür mäandert die Erzählung aber auch noch gemächlicher als beim Vorbildfilm.

Zum Schluß nimmt Laura an dem Mara-Ritual teil, das sie der Legende nach von den Fesseln ihrer jetzigen Identität befreien wird. Vielleicht nennt sie sich danach „Emmanuelle Arsan“.

 

Laura (Italien/Frankreich 1976)
Originaltitel: Laure
Alternativtitel: Emmanuelle für immer / Forever Emmanuelle
Regie: „Anonimo“ (= Emmanuelle Arsan?)
Buch: Emmanuelle Arsan, Sonia Molteni
Kamera: Roberto D’Ettorre Piazzoli
Musik: Franco Micalizzi
Darsteller: Annie Belle, Emmanuelle Arsan, Al Cliver, Orso Maria Guerrini, Michele Starck

Die Screenshots stammen von der DVD (C) 2013 Neue Donau Film e.k.






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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