FilmRetrospektive

INSIDE DEEP THROAT: Die Geschichte einer Revolution

„There is nothing to be ashamed of“, sagt Regisseur Gerard Damiano an einer Stelle von INSIDE DEEP THROAT, der Dokumentation über seinen Pornoklassiker DEEP THROAT. Viele Menschen sahen das anders: Während der nur $25.000 teure Schmuddelstreifen angebliche $600 Millionen einspielte, den Porno-Chic der Siebziger auslöste und mithalf, Barrieren der Prüderie niederzureißen, standen die Sittenwächter Kopf und taten alles, um den, wie sie es sahen, Schmutz von den Leinwänden zu verbannen – und seine Macher gleich hinterher.

Damiano ist der erste, der hier freimütig gesteht, daß der Film nicht sehr gut sei. Einige Porno-Spielfilme wie Howard Ziehms MONA hatten die sexuelle Kinorevolution schon vorbereitet, aber DEEP THROAT war ihr Durchbruch: Mit einer hübsch absurden Geschichte über eine Frau, die feststellen muß, daß ihre Klitoris im Rachen sitzt und sie deshalb nur über Oralverkehr zum wahren Orgasmus kommen kann, bahnte sich der Film seinen Weg bis ins Feuilleton und sorgte dafür, daß zumindest für kurze Zeit explizite Ware schick war. Anstatt anonym ins Kino zu schleichen, interessierten sich da plötzlich Prominente wie Jack Nicholson oder Warren Beatty für diese aufregende Kinowelle.

DEEP-THROAT-Regisseur Gerard Damiano.

Das Regie-Paar Fenton Bailey und Randy Barbato zeichnet in INSIDE DEEP THROAT ein umfangreiches Porträt des Films, der gesellschaftlichen Umbrüche drumherum, der Aufregung und der Auswirkungen. Da kommt der Regisseur, der zuvor als Frisör zusammen mit seiner Frau einen Schönheitssalon betrieb, ebenso zu Wort wie Kollegen, Darsteller, Zeitzeugen und –genossen, Journalisten, Frauenrechtler und Staatsdiener. Unter den Interviewpartnern sind Autoren wie Norman Mailer, Filmschaffende wie Wes Craven und Persönlichkeiten wie Gore Vidal und Hugh Hefner.

An unglaublichen und wüsten Ereignissen ist die Geschichte von DEEP THROAT auch nicht gerade arm. Das Geld für den Film kam von zwielichtigen Geschäftsmännern, die vermutlich zur Mafia gehörten – und dem Regisseur offenbar unter Androhung von Gewalt seine Rechte am Film billig abkauften, als sich der Streifen als Hit entpuppte. Ein alter Vorführer redet im Interview darüber, wie die Gewinne damals von Drückern direkt in den Kinos abgeholt wurden, und wird von seiner im Hintergrund sitzenden Frau immer wieder zurechtgewiesen, er solle gefälligst vorsichtig sein mit dem, was er erzählt.

SCREAM-Regisseur Wes Craven erinnert sich an die frühe Pornoszene.

Die Obrigkeit unternahm derweil immense Anstrengungen, die Büchse der Pandora wieder zu schließen. An einer Stelle der Doku heißt es, daß der Staat gewissermaßen die PR des Films übernommen hat: Nachdem der Film erfolgreich aus den New Yorker Kinos verbannt wurde, fuhren die Leute eben in andere Städte, um die verbotenen Bilder sehen zu können. In einem alten Interview auf offener Straße erklärt eine ältere Dame, daß ihr der Film gefallen habe: „I wanted to see a dirty picture, and that’s what I saw. But I want the
right to see that picture. I don’t want somebody telling me that I can’t
see a dirty picture“.

Die sexuelle Revolution war zu diesem Zeitpunkt schon längst losgetreten, überall wurden Pornos gedreht, ob legal oder nicht – und somit war der Kampf der Behörden gegen die Sexfilme natürlich ein kompletter Kampf gegen die Windmühlen. Was sie freilich nicht davon abgehalten hat, es mit Vehemenz zu versuchen: Eine von der Regierung Ende der Sechziger in Auftrag gegebene Studie, die zeigte, daß keine negativen Auswirkungen von Pornographie auf Erwachsene feststellbar sei, wurde flugs unter den Teppich gekehrt, um von selbiger Stelle aus ein Kommittee zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Moral ins Leben zu rufen. So süffisant wie beiläufig merkt der Film an, daß Präsident Richard Nixon, der da so um die Moral besorgt war, aus – nunja – nicht ganz moralischen Gründen nicht Präsident blieb.

Hauptdarsteller Harry Reems: „Did I belong in jail for five years for acting in DEEP THROAT?“

Irgendwann wurde sogar Hauptdarsteller Harry Reems vor Gericht gezerrt: Für die Mitwirkung an DEEP THROAT drohten ihm bis zu fünf Jahren Gefängnis. Man wollte ein Exempel statuieren und hoffte wohl, daß ein scharfes Urteil dafür sorgen würde, daß sich keine Darsteller für die Filme mehr finden ließen. Der Staatsanwalt, der die Anklage leitete, ist jedenfalls heute noch von DEEP THROAT traumatisiert: Er hat da Bilder gesehen, erklärt er im Interview, die er nicht mehr loswird. Man kann sich ernsthaft fragen, ob der Mann sein Leben lang nur bei gelöschtem Licht Sex hatte.

Und dann ist da noch Linda Lovelace, die Hauptdarstellerin des Films, die irgendwann ihre Pornokarriere an den Nagel hängte und sich stattdessen mit der Initiative „Women Against Pornography“ zusammentat. Sie behauptete, ihr damaliger Ehemann Chuck Traynor habe sie zu allem gezwungen, und sie sei somit praktisch vor der Kamera vergewaltigt worden. Bailey und Barbato kehren Lovelace‘ Sicht der Dinge nicht unter den Teppich, aber scheinen auch – wie Damiano selber – der Ansicht zu sein, daß diese rückwirkende Ablehnung nicht mit dem zusammenpaßt, wie entspannt sie in alten Archivaufnahmen gezeigt wird, und auch nicht mit dem, was alle anderen über ihre begeisterte Teilnahme an dem Film erzählen. Immerhin machte sie einige Zeit später sogar wieder Nacktphotos, um mit ihrem berühmt gewordenen Namen Geld verdienen zu können.

Der einflußreiche New-York-Times-Artikel „Porno chic“ von Ralph Blumenthal.

All diese Umstände haben aus DEEP THROAT weitaus mehr gemacht, als er eigentlich ist: Der kleine, augenzwinkernde Sexfilm wurde zur Legende, zum Emblem eines Umbruchs. Er repräsentierte alles, was – ganz nach Standpunkt, liberal oder konservativ – seine Zeit so aufregend oder so entsetzlich machte. Er war gleichzeitig Produkt und wichtiger Träger einer Revolution.

INSIDE DEEP THROAT verschweigt auch nicht, daß diese Revolution zumindest filmisch ihr Versprechen nicht eingelöst hat: Eine kurze Zeitlang glaubte man, Porno würde sich zur neuen Kunstform etablieren, Mainstream und Sex würden zusammenwachsen, die filmischen Möglichkeiten würden mit Filmen wie DEEP THROAT erweitert werden. Stattdessen trat das Gegenteil ein: Sexfilme hörten auf, für Cineasten interessant zu sein, und wurden zur Fließband-Industrie. Hochprofessionell und einfallslos, von Revolution keine Spur mehr.

Die moralische Entrüstung hat in den vielen Jahren seit DEEP THROAT freilich kaum abgenommen. Das prüde Amerika steht immer noch Kopf, sobald ein Kleidungsmalheur dafür sorgt, daß für ein paar Sekunden eine Brust auf den Fernsehschirmen zu sehen ist – und bevor wir uns im deutschen Sprachraum für unsere progressive Aufgeklärtheit allzusehr auf die Schultern klopfen, darf man sich gerne an die verlogene Entrüstung erinnern, die von einer gewissen Boulevardzeitung lanciert wurde, als herauskam, daß Schauspielerin Sibel Kekilli vor ihrem Durchbruch in GEGEN DIE WAND in einigen Pornos mitgespielt hatte. Die wichtigste Lektion von DEEP THROAT und der sexuellen Revolution muß also nach wie vor gelernt werden: There is nothing to be ashamed of.

Inside Deep Throat (USA 2005)
Regie: Fenton Bailey & Randy Barbato
Buch: Fenton Bailey & Randy Barbato
Kamera: David Kempner & Teodoro Maniaci
Musik: David Benjamin Steinberg
Darsteller: Gerard Damiano, Harry Reems, Hugh Hefner, Bill Maher, Norman Mailer, Gore Vidal, Wes Craven, Annie Sprinkle, Andrea True, Peter Bart, Carl Bernstein, Georgina Spelvin, John Waters, Dennis Hopper (Erzähler)

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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