DREI MÄNNER IM SCHNEE: Erich Kästners wundervoller Urlaub vom Ich

Film / Retrospektive / 24. November 2014

Schönere Ferien vom Ich sind vielleicht nie inszeniert worden: In der Verfilmung von Erich Kästners Roman DREI MÄNNER IM SCHNEE tauschen Paul Dahlke, Claus Biederstaedt und Günther Lüders die sozialen Rollen – einer gezielt, der zweite unverhofft und der dritte gezwungenermaßen – und finden als Schelmentrio zu herzlichster Freundschaft. Initiator der Verwechslungsposse ist der Geheimrat Schlüter (Dahlke), ein reicher Großindustrieller, der zum Spaß unter dem Decknamen „Eduard Schulze“ an einem Wettbewerb teilnimmt und einen Aufenthalt im Luxushotel gewinnt – wo er als armer Schlucker hinzureisen gedenkt. Nur sein Butler Johann Kesselhut (Lüders) darf mit, muß aber den wohlhabenden Reedereibesitzer spielen, der Schlüter bzw. Schulze gar nicht kennt. Schlüters Tochter und seine Hausdame finden sein Vorhaben kindisch und warnen das Hotel telefonisch vor, daß der anreisende arme Mann in Wahrheit Millionär sei – weshalb die Hotelbelegschaft den anderen Gewinner des Wettbewerbs, den arbeitslosen Werbefachmann Fritz Hagedorn (Biederstädt), von hinten bis vorne verwöhnt, obwohl der tatsächlich ganz mittellos ist.

Die verkehrte Welt, die die Geschichte zeichnet, ist wundervoll vergnüglich: Der reiche Multimillionär wird vom Hotelpersonal als Schmarotzer wahrgenommen und entsprechend schlecht behandelt – ob er nun in der unbeheizten Dachkammer untergebracht wird („Die Zentralheizung geht nur bis zum fünften Stock, und für einen Ofen ist kein Platz“) oder als Hilfshelfer die Eisbahn fegen muß. Aber Schlüter hat seinen Spaß an der Rolle des gewöhnlichen Mannes und macht mit Freuden jede Schikane mit – ganz zum Unverständnis seines neuen Freundes Fritz, dem der ganze Trubel, den man um seine vermeintlich reiche Person macht, ganz unangenehm ist. Am liebsten würde er allen geschenkten Luxus des Hotels an Schlüter abtreten – aber der winkt natürlich lachend ab. Im Hotel spricht sich derweil herum, daß ein verkappter Millionär zu Gast ist – weshalb Fritz von einer Reihe von höchst aufdringlichen Damen belagert wird, die in ihren Absichten ungemein durchschaubar sind. Auch das bereitet vor allem Schlüter höchstes Vergnügen.

Schlüter inkognito als „Eduard Schulze“ (Paul Dahlke, links) freundet
sich mit dem Werbefachmann Fritz Hagedorn (Claus Biederstaedt) an.

 

Und dann ist da noch Herr Kesselhut, dem die Rolle des Dieners so sehr in der Natur liegt, daß er im Gespräch mit Schlüter schon mal die Bürste hervorholt und ihm das Jackett putzt. In Nullkommanichts sitzt Kesselhut mit den beiden anderen am Tisch und muß die Komödie mitspielen – vor allem, als Fritz ihn bittet, dem Besitzer der Schlüter-Werke wegen einer möglichen Anstellung einige Werbeentwürfe zukommen zu lassen. „Ist er sehr ekelhaft?“, will Fritz über den „ollen Schlüter“ wissen, ohne zu ahnen, daß der arme Mann neben ihm genau dieser „olle Schlüter“ ist. „Mir gefällt er“, kichert Kesselhut, „aber das ist natürlich Geschmackssache“.

Weil die Menschen sich unseren drei Männern im Schnee gegenüber immer so verhalten, wie sie sie hinsichtlich ihrer Wichtigkeit wahrnehmen, zeigt sich ihr wahrer Charakter: Der Mann ohne Geld ist nichts wert, der vermeintlich reiche wird in Hoffnung auf Geldsegen umsorgt. Gerade aufgrund dieser Komödie kann Schlüter sehen, daß Fritz ein junger Mann reinen Herzens ist: Nicht nur, daß Fritz ihm mit Aufrichtigkeit und Freundschaft begegnet – er kümmert sich auch immer wieder um den scheinbar armen Mann, will ihm seine Millionärssuite im Austausch gegen die Dachkammer anbieten, bittet Kesselhut, auch für seinen Freund ein gutes Wort bei den Schlüter-Werken einzulegen, und will von seinem ersten Gehalt auch gleich etwas abgeben.

Schlüter (Paul Dahlke) genießt den Urlaub ohne die üblichen Annehmlichkeiten.

 

Schelmische Freude macht dieses Verwechslungsspiel vor allem deshalb, weil auch Schlüter so ein gutmütiger Mensch ist. Sein Auftreten als armer Schlucker dient nicht dazu, andere boshaft in die Irre zu führen, und es dient keinem Endzweck – er hat einfach nur seine kindliche Freude daran, und er genießt den Rollenwechsel, weil ihm sowieso jedes Millionärsgehabe fremd ist: Er schätzt Nudeln mit Rindfleisch, schreckt nicht vor Handarbeit zurück und mag die Menschen, ob sie nun wohlhabend und wichtig sind oder nicht. Wir nehmen gerne an Schlüters Streich teil, weil er niemandem schadet – und vielleicht auch, weil wir selber genau so sein wollen würden, wenn wir plötzlich reich wären.

Letztlich ist Schlüters Urlaub vom eigenen Ich trotz seines fortgeschrittenen Alters ein ganz und gar jugendliches Vergnügen, an dem jeder teilhaben darf. Nicht umsonst wird er von der besorgten Hausdame schon zu Beginn als „ältestes Kind“ tituliert, das sie kennt, und nicht umsonst rutscht Schlüter irgendwann zur Belustigung einiger Kinder auf dem Eis herum: Er ist selber ein Kind, im besten Kästnerschen Sinne. „Nur wer erwachsen wird und Kind bleibt, ist ein Mensch“, sagte der Autor einmal, und Schlüter ist genau dieser Mensch, der mit offenem Herzen und Freude an der Welt lebendig bleibt.

Das erwachsene Kind im besten Kästnerschen Sinne: Der gutmütige Schelm, Geheimrat Schlüter (Paul Dahlke).

 

Natürlich ist so ein Multimillionär wie Schlüter eine Phantasie. Das läßt Kästner selber schon am Anfangs des Films als Erzähler anklingen: „Wenn es keine Millionäre gäbe, müßten sie erfunden werden. Die Menschheit braucht sie: als Steuerzahler, als Wirtschaftskapitäne, als Gesprächsstoff und als Lustspielfiguren“. Der wunderbare Kniff seiner sanften Satire ist es, daß hier nicht der Millionär vorgeführt wird – sondern unsere Einstellung zu ihm. Auch Fritz äußert an einer Stelle den Verdacht, daß es Schlüter, der keine Interviews gibt und seine „gesammelten Werke“, wie sie gennant werden, nur aus der Ferne steuert, vielleicht gar nicht gibt. Kästners wohlige Phantasie gibt uns aber das Gefühl, daß es schön wäre, wenn doch.

Daß der Film, der im Jahr 1955 erschien und somit immerhin schon 59 Jahre auf dem Buckel hat, mittlerweile charmant altmodisch erscheint, tut der Freude keinen Abbruch – ganz im Gegenteil: Das dezent Altmodische ist ein wesentlicher Bestandteil von Kästners Geschichten und war vielleicht schon zu ihrer Entstehungszeit spürbar, weil er nicht nur genau beobachtet, wie sich Menschen verhalten, sondern auch anklingen läßt, wie sie sich im besten Falle verhalten könnten. Seine Seitenhiebe haben nichts Gehässiges, sein Witz ist zutiefst menschlich: Das ist deswegen zeitlos, weil es nie Zeitgeist war.

Butler Johann Kesselhut (Günther Lüders) darf den Reedereibesitzer spielen – mit soo großen Schiffen.

 

Zum Abschluß muß aber das Loblied auf Kästner auch noch um eines auf die Besetzung des Films und auf Regisseur Kurt Hoffmann erweitert werden. Der damals 50jährige Paul Dahlke ist einer der sympathischsten Schelme der Filmgeschichte, der junge Claus Biederstaedt als naiver, aufrichtiger Fritz Hagedorn fungiert als schöner Gegenpol dazu. Günther Lüders als immens korrekter Diener, der sich so schwer tut, Spaß an seiner Freiheit zu empfinden, ist das komische Highlight des Films, der auch in den Nebenrollen mit Charakterköpfen wie Franz Muxeneder, Fritz Imhoff und Hans Olden glänzt. Regisseur Hoffmann, der unter anderem auch die Kästner-Verfilmung DAS FLIEGENDE KLASSENZIMMER und die Curt-Goetz-Version von HOKUSPOKUS inszenierte, gönnt seinem Ensemble alle Spielfreude, leitet es mit sicherer Hand durch die Handlung und läßt nebenbei die Kamera elegant und mit sicherem Rhythmusgespür durch die Szenerie gleiten. Zur Wertschätzung von Hoffmanns Regie sollte man einmal nur darauf achten, wie natürlich und vielfältig sich Kamera und Darsteller im Raum bewegen, ohne je darauf aufmerksam zu machen.

Ich kann es nur vom Anfang wiederholen: Schönere Ferien vom Ich sind vielleicht nie inszeniert worden.

 

Drei Männer im Schnee (Deutschland 1955)
Regie: Kurt Hoffmann
Buch: Erich Kästner
Kamera: Richard Angst
Musik: Franz Grothe
Darsteller: Paul Dahlke, Claus Biederstaedt, Günther Lüders, Margarethe Haagen, Nicole Heesters, Alma Seidler, Eva Maria Meinecke, Franz Muxeneder, Fritz Imhoff, Hans OldenDie Screenshots stammen von der BluRay (C)2010 MFA+ FilmDistribution e.K..





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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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