THE GRAND BUDAPEST HOTEL: Kauzigkeit als Fingerübung

Film / Neuer als alt / 18. Mai 2014

Es wird der Punkt kommen, an dem die Realfilme von Wes Anderson künstlicher wirken als sein Animationsfilm DER TALENTIERTE MR. FOX. Andersons Inszenierungen waren schon immer celluloidgewordener Spleen, das Artifizielle stets Quintessenz seiner Geschichten; unter der Verschrobenheit und der demonstrativen Naivität blickte er aber mit warmherziger Melancholie auf menschliche Beziehungen und eine schwer zu greifende Sehnsucht nach besseren Zeiten. Sein mittlerweile achter Spielfilm THE GRAND BUDAPEST HOTEL taucht in die Skurrilität ein, als wären die vorigen Werke nur Trockenübungen gewesen, aber leider findet sich diesmal nichts unter der Oberfläche.

Die ist dafür so sehr von Andersons Schrulligkeit geprägt, daß jeder Moment und jedes Bild als Demonstration verwendet werden kann, wenn man jemandem die stilistischen Eigenheiten dieses Regisseurs erläutern wollte. Die Bilder sind in peinlich genauer Geometrie auf horizontalen Linien komponiert und von Symmetrien durchzogen, Fahrten geschehen parallel entlang dieser Linien, Schwenks werden in rechten Winkeln vollzogen. Jede Einstellung ist wie ein Tableau – oder vielmehr wie ein Bild in einem Kinderbuch, zumal die Bewegungen von Autos, Zügen, Fahrstühlen, Seilbahnen und anderen Transportmitteln so wirken, als würde man in einem Popup-Buch mit den beweglichen Bildchen spielen. Die Bauten und die Ausstattung gehen mit diesem Look Hand in Hand: Nicht nur das namensgebende Hotel wirkt wie ein bonbonfarbenes Puppenhaus.

Auch das, was in diesen Bildern passiert, ist gewissermaßen Vorzeige-Anderson: Putzige Gestalten unterhalten sich in wunderlichen Dialogen, absurde Geschehnisse resultieren in Momenten, in denen die Figuren mit steinerner Miene ihre Gefühlsregungen deklarieren. Diesmal füllen Andersons Lieblingsschauspieler in derartiger Üppigkeit die Besetzungsliste, daß die Präsenz dieser Darsteller selber schon zum skurillen Spaß mutiert: Man wartet schon auf den Moment, an dem Bill Murray erscheint, kann Karl Markovics neben Harvey Keitel in einer Gefängniszelle erspähen und sich nebenbei fragen, ob da eben George Clooney den Kopf ins Bild gehalten hat. Weil es sich nicht gehört, in einem Wes-Anderson-Film das Gesicht zu bewegen, wirken die Stars dabei gleichsam wie niedliche Animationsversionen ihrer selbst.

Schade nur, daß es im GRAND BUDAPEST HOTEL abseits dieser vergnüglichen Spielereien um nicht wahnsinnig viel geht. Die Geschichte dreht sich um einen Concierge, der sich mit besonderer Hingabe um die alleinstehenden alten Damen unter den Hotelgästen kümmert und nebenher einem jungen Pagen korrekte Verhaltensweisen beibringt. Als eine verstorbene alte Frau diesem Concierge ein wertvolles Gemälde vermacht, ist die Familie der Frau aufgebracht und hetzt einen Killer auf ihn – und weil in diesem fiktiven Land die Grenzen gerade von Soldaten geschlossen wird, die den Nazis nicht unähnlich sind, entspinnt sich eine wilde Flucht- und Kriminalgeschichte, in die Anderson diesmal sogar ein paar überspitzte Gewaltmomente einbaut.

Trotz eines literarischen Überbaus – die Geschichte wird in mehrfacher Rückblende als Erinnerung eines Autors erzählt, die Erzählweise ist in Kapitel untergliedert – und eines Satzes gegen Schluß des Films, daß die Zeit dieses Concierges vorbei ist bzw. schon zu seinen Lebzeiten vorbei war, bleibt THE GRAND BUDAPEST HOTEL aber stets nur an seiner putzigen Oberfläche. Im Gegensatz zu THE ROYAL TENENBAUMS oder DIE TIEFSEETAUCHER, wo Anderson eben diese Themen auch in die Geschichte einweben konnte und sie in seiner Verschrobenenheit mit Resonanz füllte, ist THE GRAND BUDAPEST HOTEL wie eine stilistische Fingerübung in Schrulligkeit. Als solche ist sie unterhaltsam und mit viel Liebe zum Detail gestaltet – aber man wird das Gefühl nicht los, daß es hier zum ersten Mal mehr um das Kauzige an sich ging als darum, was man damit erzählen kann. Schade.

 

The Grand Budapest Hotel (USA 2014)
Regie: Wes Anderson
Buch: Wes Anderson, Hugo Guinness, nach Motiven von Stefan Zweig
Kamera: Robert Yeoman
Musik: Alexandre Desplat
Darsteller: Ralph Fiennes, F. Murray Abraham, Mathieu Amalric, Adrien Brody, Willem Dafoe, Jeff Goldblum, Harvey Keitel, Jude Law, Bill Murray, Edward Norton, Saoirse Ronan, Jason Schwartzman, Tilda Swinton, Tom Wilkinson, Owen Wilson, Tony Revolori, Florian Lukas, Karl Markovics, Bob Balaban, Fisher Stevens, Wally Wolodarsky






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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