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Gummibärchen küsst man nicht. (1989)

Man kann nicht behaupten, daß man nicht schon im Vorfeld ausreichend gewarnt wäre: Eine von der niveauschwachen Lisa-Film produzierte, hm, Komödie namens GUMMIBÄRCHEN KÜSST MAN NICHT findet sich auf einer Billigsdorfer-DVD aus der Reihe „Deutsche Kinoklassiker“ in einer Libro-Wühlkiste wieder, wo der Spaß nurmehr 50% des üblichen Verkaufspreises von 2 Euro kostet. Wie so oft wagt sich Genzel optimistisch an das Spektakel, damit es sich sonst keiner anschauen muß.

Also: In der 1989 veröffentlichten Lachgranate geht es um die beiden Zwillingsbrüder Thalberg, die für heillose Verwirrung sorgen. Der eine ist ein afrikanischer Abenteurer namens Elefanten-Joe, der andere Pfarrer in der kleinen Gemeinde von San Sebastian. Joe erreicht nun ein Brief von einem ausgewachsenen Sohnemann, von dem er bislang nichts wußte, und so reist er nach San Sebastian, um den Jüngling dort in die Arme schließen zu können, während Söhnlein – der nur ein Photo seines Erzeugers sein Eigen nennt – aufgrund eines hilfreichen Hinweises in die dortige Kirche zu Pfarrer Thalberg geschickt wird. Freilich glauben beide Brüder, daß der jeweils andere verstorben ist. Und schon wird ein verwechslungsreiches Feuerwerk an guter Laune abgefackelt!

Na schön, der letzte Satz war gelogen. Pausieren wir kurz, um über die fast pathologische Faszination mit Verwechslungsgeschichten zu reflektieren, die die deutsch-produzierte Komödie schon seit jeher auszeichnet. Läßt sich hier vielleicht das zutiefst ambivalente (und geschichtlich verwurzelte) Gefühl eines Volkes gegenüber seiner eigenen Identität ableiten? Zeigt sich anhand der Männer im Schnee, der Hotelmanager und Sekretäre, der tollen Tanten und heiteren Hochwürden vielleicht die hierzulande gewonnene Erkenntnis, wie zerbrechlich unsere Rollen im sozialen Gefüge sind, wie konjugierbar unsere Person in den gegebenen Umständen sein kann? Oder ist der Spaßgewinn an Verwechslungen quasi ein Ventil für den Zwang der deutschen Ordentlichkeit, das uns in der Fiktion einen harmlosen Gegenpol zu unserer Alltagsrealität bietet, in der Aufgaben und Handlungszuordnungen uns allzu rigide einschränken? Ich freue mich auf Thesen und Hinweise in der Kommentarsektion.

Mittlerweile ist Sohnemann Tony in San Sebastian angekommen, und zwar zusammen mit seinem flippigen Freund Peter, der aussieht wie Milli und Vanilli zusammen, sowie einer unterwegs aufgegabelten Anhalterin namens Angela, die gerne am Strand tanzt und die Funktion erfüllt, einen Keil zwischen die Freundschaft von Peter und Tony zu treiben, die beide schwer für die gute Frau entflammt sind. Peter macht sich vornehmlich tanzenderweise an Angela heran und trägt dabei gerne eine Art Funk-Walkman mit meterlanger Antenne. Irgendwann findet Angie Peters schmusige Annäherungsversuche aber gar nicht mehr charmant, woraufhin sich Peter trotz ihrer Proteste grob an sie wirft – zum Glück kommt gerade Tony vorbei, der sich schnell mit Peter prügelt, bis der dann sagt, daß er Angela wirklich liebt. Daraufhin läßt Tony locker und zeigt sich großmütig: „Gut, dann kannst du sie haben“. Ach ja, die jungen Leute.

Tony ist ja schließlich auch anderweitig beschäftigt mit der Suche nach seinem Vater, und er findet es überhaupt nicht knorke, daß Pfarrer Thalberg vehement bestreitet, einen Sohn zu haben. Weil anderswo Elefanten-Joe mit seinen beiden willigen Hoppelhäschen ausgelassen in der Disco schwoft, spricht sich bald herum, daß sich der Pfarrer nicht seinem Amt gemäß benimmt, woraufhin ein Bischof anreist, um Thalberg die Leviten zu lesen. Tony derweil freut sich, daß sich Joes Bettgenossinnen auch sehr rührend um ihn kümmern, nachdem er die beiden am Strand angequatscht hat. Und vergessen wir nicht die Agentengeschichte rund um eine Reihe wichtiger Dokumente, die dem ahnungslosen Elefanten-Joe zugespielt wurden und nun von Agent 712 wiederbeschafft werden müssen, dessen Auftraggeber flugs einen albernen Jungspacken anheuern, der sich als Joes Sohn ausgeben soll. Spätestens jetzt wird ein verwechslungsreiches Feuerwerk der guten L— jaja, es wäre schon wieder gelogen.

Von allen Stellen dieses Reviews ist diese hier wohl die geeignetste, um über die Besetzung zu sprechen. Sowohl Joe als auch der Pfarrer werden von Christopher Mitchum gespielt, dem Sohn von Robert Mitchum. Christophers Sohn Bentley wiederum spielt Tony, Elefanten-Joes Sprößling. Was für ein Coup! Eher überraschend ist die Mitwirkung von John Hillerman (der wohl dank des Erfolges von MAGNUM P.I. hier einen Kollegen des Pfarrers spielen darf) und Ernest Borgnine (dessen Mitwirkung in AIRWOLF, kombiniert mit seiner wahrscheinlich unendlichen Gutmütigkeit, sichergestellt hat, daß die Lisa-Film ihn nur kurze Zeit später als Papa von Uschi Glas in TIERÄRZTIN CHRISTINE, Teile 1 + 2, anheuerte). Den tolpatschigen Agenten 712, der gerne von Leitern fällt, seine Kleidung verliert und in eine Seilschlinge stolpert, spielt Art Metrano, der schon als Lt. Mauser in POLICE ACADEMY 2 & 3 viel Sportsgeist bewiesen hat und dementsprechend hier mit den Worten „Er hat mal eine Police Academy geleitet“ vorgestellt wird.

Weitere erwähnenswerte Gestalten in der Besetzungsliste sind Robby Rosa, Mitglied von Menudo und Songwriter für Ricky Martin, der als Peter die kreischenden Teenager aus dem Kino ins Kino zieht und auch gleich seine Frau Angela Alvarado mitgebracht hat, die originellerweise die Rolle der Angela übernimmt. Aber wie, eine deutsche Produktion nur mit ausländischer Besetzung? Aber nein! Zum Glück tauchen auch Käte Jaenicke, Jürgen-Drews-Ehefrau Corinna Drews, sowie – den hätten wir ja sonst vermißt – Otto W. Retzer auf. Letzterer spielt diesmal einen Mann mit Glatze.

Und was hat das Ganze jetzt eigentlich mit Gummibärchen zu tun? Na, ist doch klar. Die Operation zur Wiederbeschaffung der Geheimdokumente nennt sich „Operation Gummibärchen“. Da hättet ihr aber auch selber drauf kommen können.

Gummibärchen küsst man nicht. (Deutschland 1989)
Regie: Walter Bannert
Drehbuch: Florian Burg
Kamera: Hanus Polak
Darsteller: Christopher Mitchum, Bentley Mitchum, Ernest Borgnine, John Hillerman, Robby Rosa, Angela Alvarado, Käte Jaenicke, Art Metrano, Arthur Brauss, Julia Kent, Otto W. Retzer
FSK: 12

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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