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Pink Lemonade (2006)

Die Vorzeichen stehen nicht besonders gut: PINK LEMONADE ist ein amerikanischer Amateurfilm, den zwei Enthusiasten zusammen mit einer Truppe von motivierten und völlig unbekannten Schauspielern gedreht haben, von denen viele bislang nie vor der Kamera standen. Der Film fühlt sich stark von CLERKS und WAITING (zu deutsch ABSERVIERT) beeinflußt, wobei ja letzterer gleichsam ausgiebigst ersterem Vorbild huldigte – wo in CLERKS der Arbeitsalltag in einem kleinen Supermarkt und in einem Videoladen den Figuren fast handlungsfrei Raum für ausführliche Diskussionen, grobe Scherzchen und angesammelte Frustrationen gab, zeichnete WAITING ein ganz ähnliches Szenario in einem Restaurant. Auch PINK LEMONADE spielt in einem Restaurant, einem Fast-Food-Lokal namens Burger Shack, und der Film ist größtenteils eine Reihe von wenig ernsten Vignetten, die sich um Mitarbeiter und Gäste des Ladens drehen.

Klingt also wenig originell und ist es auch in Wahrheit nicht. Aber vergessen wir mal nicht, daß auch CLERKS prinzipiell ein Amateurfilm war, und daß es auch dort nicht die Handlung war, die uns am Ball gehalten hat: Es war der bissige Witz, den die Antihelden in ausufernden und nimmermüden Wortlawinen zur Schau stellten, und die Kühnheit eines Filmemachers, der auf alle Regeln pfeift und gleichsam völlig banalen Alltag und ironisch zugespitztes Verlierertum zelebrierte.

Ganz so gewitzt sind die beiden Macher von PINK LEMONADE natürlich nicht – schon allein deswegen, weil sie einer Blaupause folgen. Um die fehlende strukturelle Kante auszugleichen, wird stattdessen der Witz teils in die grenzwertigsten und, wie man so schön sagt, politisch inkorrektesten Gebiete getrieben: Die Dialoge und der Humor sind über weite Strecken derb, obszön, sexistisch, frauenfeindlich, homophob – you name it, they got it. Ob man den Film also witzig findet, hängt zum weiten Teil von der eigenen Toleranz gegenüber geschmacklosen Scherzen ab. Dialogbeispiel gefällig?

Chaz: I hate Ben Affleck.

Lewis: He is very popular.

Chaz: Yeah, well, so was Hitler, but you don’t find a lot of people defending him when push comes to shove.

Lewis: Hitler killed six million people.

Chaz: Ben Affleck isn’t finished yet!

Und nein, das ist nicht einer der derberen Scherze. Aber sagen wir es mal umgekehrt: Wer die Stand-up-Comedy von Lisa Lampanelli, Artie Lange oder Andrew „Dice“ Clay verachtenswert tief und gar nicht lustig findet, wird auch hier nicht glücklich werden. Wobei, von individuellen Sensibilitäten einmal abgesehen, auch nicht jeder Witz von gleicher Qualität ist: Das obige Beispiel ist in seinem absurden Vergleich und der daran geknüpften, unbestechlichen Logik ein geschliffener Moment, ebenso wie die eine oder andere quer gedachte Retorte („Have you ever heard of sexual harassment?“ – „No, I don’t listen to hip-hop“); andere Segmente, wie beispielsweise die Diskussion um Täterspuren bei Vergewaltigungen, verlassen sich zu sehr auf ihren reinen Schockwert und finden keinen richtigen Anhaltspunkt für ihren Humor (und spätestens seit Mel Brooks wissen wir, daß eigentlich alles komisch sein kann, egal wie geschmacklos – was nicht heißt, daß der Witz in der Geschmacklosigkeit selbst liegt, und somit auch nicht, daß der Witz nicht „erarbeitet“ werden muß).

Immerhin haben die beiden Regisseure und ihre Darsteller ein gutes Gespür für Timing, wodurch viele Pointen sitzen und fließen und der Film nie tot am Boden liegen bleibt. Freilich wird keiner der Darsteller nach dem Film mit Preisen überhäuft werden, und wie in den meisten Laientruppen gibt es bessere und schlechtere Mitstreiter. Ganz aus dem Rahmen fällt aber keiner, und beispielsweise Kurt Finney, der den Burger-Shack-Manager spielt, wüßte mit seinem perfektem Timing und kontrolliertem Spiel auch in einer professionelleren Produktion voll und ganz zu überzeugen. Was den Enthusiasmus dann wiederum bremst, ist die Tatsache, daß der Film sich dann manchmal doch in den Fäkalhumor stürzt, und wenn einer der Mitarbeiter in einer ausgedehnten Ekelsequenz die Toilette des Restaurants reinigt, merkt man schnell, daß zwischen einer erzählten Geschmacklosigkeit und einer gezeigten Derbheit doch noch Welten liegen – vor allem, wenn in der Derbheit gar kein Witz gefunden wird.

Sei’s drum: Die Verbalgefechte überwiegen, und sind, wenn man derben Humor mag, durchaus unterhaltsam. Auch CLERKS und WAITING waren ja in ihrem Witz keine Disney-Filme. Wenn die Jungs beim nächsten Film noch ein wenig an der Technik feilen und den Humor schleifen, dann freuen wir uns auf ihren nächsten Streifen.
 

Pink Lemonade (USA 2006)
Originaltitel: Any Night But Tonight
Regie: David Edmundson, Randy Van Dyke
Drehbuch: David Edmundson, Randy Van Dyke
Kamera: Christopher Wedding
Musik: Richard Andonian
Produktion: Produktion Random Reel Entertainment
Darsteller: Kurt Finney, Angela Trimbur, Brett Lawrence, Chris Teregis, Adam Young
Länge: 97 Minuten
FSK 16

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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