Das Bildnis der Doriana Gray (1976)

Uncategorized / 10. März 2008

Ja puh. „Strengstes Jugendverbot“ leuchtet einem da rot entgegen, wenn man die DVD einlegt, und der verwendete Superlativ läßt einen natürlich gleichzeitig zurückschrecken wie auch neugierig werden. Echt, allerstrengstens? Also, strenger als bei diesem einen Film mit dem Mann und den vielen Gedärmen? Darf ich mich nicht mal an die Katharinenstraße 11 wenden, um mehr Infos zu kriegen?

Na schön, dann machen wir halt die Verdunklung zu, damit die Nachbarn nichts mitkriegen. Auf der DVD-Box werden ja zu DAS BILDNIS DER DORIANA GRAY, der ursprünglich mal DIE MARQUISE DE SADE hieß, „besessene Orgien“ versprochen, und ein „männerfressender nymphomanischer Vampir“, alles in nur 69 Minuten und „erstmals legal auf DVD“. Die wissen, wie man Filme verkauft.

Aber, das kennen wir ja schon, der Texter der DVD-Hülle ist nicht zwangsläufig gleichzusetzen mit einer Person, die tatsächlich auch den dazugehörigen Film gesehen hat, und auch wenn er die Eckdaten begriffen hat (das ist nicht immer der Fall: Man lese mal die Box von SEX AND DEATH 101), dann wirkt er trotzdem immer so, als hätte er schon ein paar Tütchen durchgezogen und würde auch den Schimmel im Kühlschrank total bemerkenswert finden. Apropos Schimmel: Den könnte man sich auch 69 Minuten lang ansehen und sich dann trotzdem lautstark zum Film äußern.

Aber werden wir mal nicht voreilig. Wie der Titel ja schon andeutet, versteht sich DAS BILDNIS DER DORIANA GRAY in voller Linie von Oscar Wilde inspiriert, und wie der Name des Regisseurs ahnen läßt, wird der geschmäcklerische Frohsinn, zu dem Wildes Geschichte hier mutiert, leicht psychedelisch angehaucht mit vielen nackten Menschen, aber wenig Sinnhaftigkeit als wirrer Sexreigen inszeniert. Für die, räusper, Adaption ist nämlich Jess Franco verantwortlich, der trotz seiner Liebe zu Jazz, Kunst und Frauen (nicht unbedingt in dieser Reihenfolge) nicht immer preisverdächtiges (aber immer preiswertes!) Kino geschaffen hat.

In der Geschichte geht es also um die einsame Millionärin Doriana Gray, die auf ihrem Schloß haust und dort in sehr durchsichtigen Kleidern durch die Gegend trabt, und um ihre Zwillingsschwester, die in einer Irrenanstalt festgehalten wird. Dort liegt sie den ganzen Tag nackt auf dem Bett – naja, beinahe nackt: sie trägt Nylonstrümpfe – und räkelt sich, bis der Arzt kommt. Eigentlich kommt gleich zu Beginn eine Krankenschwester, die das Gesicht nicht bewegen kann, und die lustige Verrückte frohlockt: „Ich habe Brüste, auf denen man ein Ei aufklopfen kann.“ Nun gehöre ich ja zu den Menschen, die sich immer alles bildlich vorstellen, und deshalb nehme ich mir für die Zukunft vor, eben dieses einmal mit meiner Freundin auszuprobieren, sobald wir uns einigen können, wer hinterher die Sauerei wieder aufwischt.

Wo waren wir? Ah ja. Eine Reporterin besucht die gelangweilte Millionärin, um einen Artikel über sie zu schreiben. Warum? „Weil unsere Leserinnen wissen, daß Sie sich der lesbischen Liebe verschrieben haben und sich der Beeinflussung der Männer entzogen haben.“ Wenn die Leserinnen das schon wissen, worum wird es dann in dem Artikel gehen? Vielleicht um die darstellerischen Qualitäten von Lina Romay, die Doriana Gray und natürlich ebenso ihre Zwillingsschwester spielt und dabei zwei Gesichtsausdrücke an den Tag legt: mit Kleidung und ohne. Doriana erzählt also frohen Mutes von einer Begegnung mit einer dahergelaufenen Künstlerin, die ihr erklärt, sie sei eine „ehrgeizige Biene“, und darüber reflektiert, daß die Männer sie nur „bürsten“ wollen. Es sind mittlerweile so um die 20 Minuten Film vergangen, und ich denke darüber nach, was ich stattdessen mit meiner Zeit anstellen könnte. Eier kaufen zum Beispiel.

In den drauffolgenden 49 Minuten lernen wir dann, daß Doriana per Oralsex die Lebenskraft aus Menschen heraussaugen kann – aus Männern wie aus Frauen. Da versagt dann meine bildliche Vorstellungskraft. Sie macht das bei einer ganzen Reihe von Menschen, und jedesmal flippt ihre arme Zwillingsschwester dabei völlig aus. Zum Glück filmt Franco alles so, wie er es immer macht: Er spielt an der Schärfe, zoomt fröhlich auf Möbelstücke, schwenkt die Kamera irgendwohin und läßt dazu die Sitar erklingen. Nachdem dann Doriana der Reporterin das Licht ausgeknipst hat, zoomt Franco auf einen Hocker im Flur.

Und trotzdem ist der Film noch nicht aus. Erst muss Doriana ihre Zwillingsschwester besuchen, die übrigens – wir haben vergessen, das zu erwähnen – bei einem Dr. Orloff in Behandlung ist. Mal ehrlich: Zu einem „Dr. Orloff“ würde ich gar niemanden in Behandlung geben. Das ist so, wie wenn man im Flugzeug neben George Kennedy sitzt und trotzdem nicht aussteigt.

Das polternde Geräusch, das jetzt gerade zu hören ist, ist übrigens Oscar, der im Grabe rotiert.

Das Bildnis der Doriana Gray (Schweiz 1976)
Originaltitel: Die Marquise von Sade
Regie: Jess Franco
Drehbuch: Jess Franco
Kamera: „David Khune“ (= Jess Franco)
Darsteller: Lina Romay, Monica Swinn, Ramón Ardid, Peggy Markoff
Länge: 69 Minuten
FSK: keine Jugendfreigabe

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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