Frauen ohne Unschuld (1977)

Uncategorized / 30. Januar 2008

Das Lexikon des Internationalen Films tut sich da leicht: „Schundprodukt“ steht da. Punkt. Nur ein Wort. Also, natürlich lungern da noch zwei vornanstehende neutrale Sätze auf den Seiten herum, die die Handlung zusammenfassen. Aber danach dann ganz einfach: „Schundprodukt“. Nur wir müssen uns hier wieder wortreicher mit dem – wenn wir das Wort jetzt übernehmen, verraten wir dann schon, wie das Review ausgehen wird? – Schundprodukt auseinandersetzen. Dabei wär‘ es doch mal eine echte Herausforderung, Filmkritiken in ein einzelnes Wort zu packen. Man klickt FRAUEN OHNE UNSCHULD an, und dann steht da einfach „nein“, oder vielleicht „huch!“, oder ganz eloquent „nackter Blödsinn“ – aber halt, da haben wir uns ja unter Verwendung von 200% der gefragten Reviewlänge selber disqualifiziert.

Aber gut, wie sagt der freundliche Therapeut immer mit angespitztem Füllfederhalter? Reden wir doch mal drüber. FRAUEN OHNE UNSCHULD spielt in diesem einen Sanatorium, in dem exklusiv weibliche Patientinnen größtenteils unbekleidet den lieben langen Tag damit verbringen, von anderen Insassinnen (Gendering so früh am Morgen!) und dem gemischtgeschlechtlichen Personal samt Oberarzt ausführlichst untersucht zu werden. Ein kurzes Rückgespräch mit unserem Experten, em. Prof. Dr. Dr. hon. causa Schwarz von Sauerbruch, dem Zweiten, bestätigt mich in der Annahme, daß es sich hierbei um eine sehr progressive Form der Therapie handeln muß, die in konservativeren Anstalten durchaus kontrovers aufgefaßt wird.

Jetzt könnte man ja durchaus meinen, daß der Klappentext in seiner beinahe rührend besorgten Aufschrift „Warning! This film contains scenes of shocking horror“ ein wenig am Inhalt des Films vorbeischießt – und, verehrte Vreunde vantastischer Vilmspektakel, der Gedanke mag nicht abwegig erscheinen, aber wahr ist er doch. Trotzdem gibt es eine Art Krimihandlung: In einer Villa werden zwei (nackte) Leichen aufgefunden, angeblich ein (nacktes) Diamantenschmugglerpärchen, und nun muß eine (nackte) Überlebende in eine Nervenheilanstalt eingeliefert werden, weil sie nackt und verstört ist. Die zuständige (öfter mal nackte) Ärzteschaft dort ist allerdings weniger daran interessiert, der guten (nackten) Frau zu helfen – stattdessen wollen sie aus ihr herausbekommen, wo sich irgendwelche Diamanten befinden, die die (nackten) Schmuggler vor ihrem Ableben noch irgendwo versteckt haben. Der (nackte) Wahnsinn macht sich breit.

Ein zaghafter Blick auf die Credits verrät uns, daß der Film vom Vollzeit-Erotomanen Jess Franco inszeniert wurde, dessen hoher Anteil von indizierten Frauengefängnisfilmen in der Filmographie uns ahnen läßt, welchem Part der Handlung besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Nun haben wir ja prinzipiell einmal gar nichts gegen weich abgefilmtes Softsex-Gerangel, nur gegen fades weich abgefilmtes Softsex-Gerangel (die Frage, ob weich abgefilmtes Softsex-Gerangel eventuell immer fad ist, wird in einem gesonderten Essay unter dem Titel „Wie weich abgefilmtes Softsex-Gerangel die Umwelt retten kann“ näher erörtert). Ehrlich, die räkeln sich da den Wolf, und dauernd wird ein bißchen gestöht und ganz wenig geschwitzt, und die Kamera steht immer davor herum wie bestellt und nicht abgeholt. Manchmal kommt ein maskierter Mann herein, der dann jemanden umbringt, aber das hält die fröhliche Partie natürlich nie allzulange auf.

Wenn wenigstens nur jede Szene so unterhaltsam wäre wie die, die an dieser Stelle nun zitiert werden soll! Da redet der Chefarzt nämlich auf die Oberschwester ein, wie er die Traumatisierte, die immer nur „unnnngh“ sagt und geschreckt guckt, zu heilen gedenkt:

ARZT
Die Patientin befindet sich seit Tagen in einer akuten Phase ihrer Zwangsneurose. Wir wollen versuchen, sie ohne schädliche Medikamente über die Krise hinwegzubringen. Und Sie sollen uns dabei helfen. Sie mögen Gabi doch? Also wollen Sie ihr auch helfen.

SCHWESTER
Ja gern, aber sie hat eigentlich keinen Kontakt zu mir.

ARZT
Das ist ja eben ihre Krankheit. Sie hat ihre Ursache in einem ganz natürlichen Zärtlichkeitsbedürfnis, das nie durch andere erfüllt worden ist. Und wir wollen durch Ihre tätige Mithilfe …

SCHWESTER
Ach so. Ja, so ist das gemeint.

ARZT
Ja, wir möchten erreichen, daß sie durch Partnerschaft zur Erfüllung ihrer erotischen Wünsche kommt. Ich hoffe, sie verstehen mich.

Der Rest des Films bietet leider weniger psychologische Substanz, und dann taucht auch noch ein Inspektor auf, aber weil der nicht von Horst Tappert gespielt wird, kann das den Unfug auch nicht mehr retten. Ja nun, was soll man sagen? Schundprodukt. Ätsch.

Frauen ohne Unschuld (Schweiz 1977)
Alternativtitel: Wicked Women
Regie: Jess Franco
Drehbuch: Manfred Gregor (= Erwin C. Dietrich)
Musik: Walter Baumgartner
Produktion: Elite Film / Cinemec
Darsteller: Lina Romay, Monica Swinn, Nanda Van Bergen, Michael Maien
Länge: 77 Minuten
FSK: 18

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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