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CHEERBALLS: Fesche Menschen hüpfen durchs Leben

Irgendwann sollte mal jemand ein Buch über das Subgenre des Cheerleader-Films herausbringen. Vielleicht ich? In so einem Nachschlagewerk lernt man dann, alle GIRLS-UNITED-Teile an der Handlung auseinanderzuhalten, man spannt einen historischen Rahmen zu Siebziger-Billigkomödien wie REVENGE OF THE CHEERLEADERS, man gruppiert die netten leicht und noch leichter bekleideten Darstellerinnen wie im Highschool-Jahrbuch, und man redet über solche Cheerleader-Filme, von denen noch nie jemand etwas gehört hat – so wie der vorliegende CHEERBALLS aus dem Jahr 1984, der im Original ein enthusiastisches GIMME AN „F“ als Titel trägt. Sollte der mehr oder minder verschollene Streifen irgendwann mal auf DVD wiederveröffentlicht werden, wird er vielleicht als GIRLS UNITED 0 erscheinen, und dann kann man sich wieder mit der Handlung anstrengen. Vielleicht merkt man sich’s so leichter: CHEERBALLS ist der Cheerleader-Film, wo Männer mehr nackte Haut zeigen als die ganzen Mädels.

Wenn ich jetzt anfange mit dem Satz „Die Geschichte spielt …“, dann impliziert das irgendwie, daß es eine Geschichte gibt, so richtig mit allem Drum und Dran. Aber hey, ein bißchen Story wurde sogar spendiert, um die ganzen Choreographien miteinander verbinden zu können: Im Camp Beaver View – man ist sich nicht ganz sicher, ob das anzüglich gemeint ist, nachdem sich der Film eher brav verhält – treffen ein paar Cheerleadertruppen zum großen Wettstreit aufeinander. Der heiß umschwärmte Trainer Tommy Hamilton geht mit seinem eher verklemmten Chef Bucky Berkshire eine Wette ein: Er bringt innerhalb von drei Tagen die Schlaffi-Truppe Ducks zum Sieg gegen die favorisierten Falcons und kassiert $10.000 – andernfalls muß er fünf weitere Jahre unter Buckys Fuchtel bleiben, obwohl er doch eigentlich etwas Sinnvolleres mit seinem Leben anstellen will als Cheerleaden.

Tommy (Stephen Shellen) hat ein paar Mal zu oft FLASHDANCE gesehen.

Weil Tommy ein absolut großartiger Tänzer ist und der Spaß irgendwie auf Spielfilmlänge kommen muß, dürfen wir ihm gleich zweimal ausführlichst dabei zusehen, wie er durch die Gegend cheert. Einmal tut er dies am ersten Tag im Camp, wo er kreuz und quer durch die Halle hüpft und dabei die Herzen der jungen Mädels im Sturm erobert – vor allem das der braven Ducks-Anführerin Mary Ann, die ihn den Rest des Films anhimmeln wird. Beim zweiten Mal legt Tommy unter der Dusche eine Breakdance-Nummer hin, die sich – Achtung: Jetzt kommt ein toller Wortwitz! – gewaschen hat. Er rotiert auf dem Boden, springt durch den Saal, hangelt sich an der Bretterwand entlang, macht an einem Rohr ein paar Drehungen, dann noch ein paar in Zeitlupe, und zieht sich dabei nach und nach aus. Man kann ihm nur wünschen, daß er seine Körperpflege nie in der engen Duschkabine eines gewöhnlichen Apartments erledigen muß – aber vielleicht macht er ja auch hier nur so eine Show, weil er ahnt, daß von außen ein paar kichernde Mädels zusehen. Und Hollywood natürlich.

Die pompösen Tanznummern zeugen von aufmerksamem Kinobesuch des Kassenschlagers FLASHDANCE; das Drumherum scheint von den ebenfalls nicht ganz erfolglosen Komödien BABYSPECK UND FLEISCHKLÖSSCHEN sowie PORKY’S inspiriert zu sein – auf Altersfreigabe 12 heruntergeschraubt. Beim Campleben wird also ein wenig geblödelt und der Anarchie gefrönt, junge Menschen reißen ein paar Sprüche, und dem unsympathischen Campchef Bucky wird ein elaborierter und recht geschmackloser Streich gespielt. Der ist nicht lustig, aber wir gucken uns dreißig Jahre alte Cheerleaderkomödien ja auch nicht einfach so zum Spaß an.

Eileen (Sarah M. Miles), die Anführerin der Falcons.

Wo Tommy Minuten damit verbringt, sich auszuziehen oder sonstwie seinen Körper zur Schau zu stellen, wird den Damen vergleichweise gar nicht so viel filmische Aufmerksamkeit gewidmet. Immerhin erkennt man noch die Zugehörigkeit zum Cheerleader-Genre, wenn Regisseur Paul Justman den Tanztruppen hier und da Close-Ups auf die wackelnden Hinterteile gönnt – und gleich zweimal drohen für ein paar Sekunden nackte Oberweiten über den Bildschirm zu kullern! Somit ist CHEERBALLS geringfügig expliziter als die gesamte familientaugliche GIRLS-UNITED-Reihe, aber dafür schauen die Frauen hier nicht so sehr nach, räusper, Erwachsenenunterhaltung aus wie manche aus den späteren UNITED-Teilen.

Bei GIRLS UNITED waren ja die Wettkampf-Choreographien der antretenden Cheerleadergruppen ganz gewöhnliche Auftritte, die jedes Team im echten Leben auch hinkriegen würde – wenn es genug Budget für ein professionelles Choreographenteam und ebenso professionelle Tänzer hätte. Bei CHEERBALLS ist das ganz anders: Den Gewinner-Auftritt der Ducks – hoppla, jetzt habe ich das Ende verraten! – könnte ganz klar jede mittelklassige Losertruppe nach drei Tagen Übung hinkriegen – wenn sie das Budget eines Janet-Jackson-Musikvideos und den entsprechenden Regisseur dazu hätte. Und alle Mitglieder durch Berufstänzer austauschen würde.

In den drei Tagen ihres Trainings hatten die Ducks Zeit, sich auch um eine Kulisse und eine Lichtshow zu kümmern. Mann, sind die gut!

So, genug gesprochen. Was will man auch sonst so erzählen in einem Film, der dafür existiert, daß man feschen Menschen beim koordinierten Herumhüpfen zusieht? Welch Glück, daß ich so leicht zufriedenzustellen bin: Ein paar hübsche Mädels – allen voran die höchst vorzeigbare Sarah Miles, die niedliche Beth Miller und die sympathische und nicht minder augenfreundliche Daphne Ashbrook – dazu ausführliches Achtziger-Musikvideoflair, ein bißchen Geblödel, ein Score von Jan Hammer, und schon habe ich das Gefühl, meine Zeit absolut sinnvoll verbracht zu haben. Ich will aber nicht versprechen, daß es irgendjemand anderem auf der Welt bei CHEERBALLS auch so gehen würde.

Cheerballs (USA 1984)
Originaltitel: Gimme an „F“
Regie: Paul Justman
Buch: Jim Hart
Kamera: Mario Di Leo
Musik: Jan Hammer
Darsteller: Stephen Shellen, Mark Keyloun, Jennifer C. Cooke, Beth Miller, Daphne Ashbrook, Karen Kelly, Sarah M. Miles, Clyde Kusatsu, John Karlen

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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