BLUE ANGEL CAFE: Ein Song für alle Lebenslagen

Film / Wühlkiste / 30. Dezember 2014
 

Politiker und Nachtclubsängerin: Das wird nichts. Bitteschön, ich habe euch eben anderthalb Stunden Softsexdrama quasi ohne Auslassungen kompakt zusammengefaßt – ihr müßt also BLUE ANGEL CAFE nicht sehen und könnt euch anderen Softsexdramen zuwenden.

Oh, ihr seid noch hier. Vertiefen wir die Angelegenheit also etwas: BLUE ANGEL CAFE ist einer der vielen Erotikstreifen, die der Italo-Vielfilmer Aristide Massaccesi in den Achtzigern unter seinem Pseudonym „Joe D’Amato“ ablieferte – im Unterschied nämlich zu den vielen Erotikstreifen, die er in den Siebzigern und Neunzigern drehte. Der Film, der im Dezember 1989 in Deutschland sogar im Kino lief, wird vom Lexikon des Internationalen Films mit folgendem Résumée bedacht: „Mit Sex- und Nacktszenen garnierte Kolportage, die einmal mehr vom durchtriebenen Weib berichtet, das seinen Körper als Mittel zum Zweck einsetzt; fade Geschichte auf Illustrierten-Niveau, verlogen, voller Klischees und hölzerner Dialoge.“ Wollen die damit etwa zart andeuten, der Film habe ihnen nicht zugesagt?

„Als nächstes singe ich eine Eigenkomposition von Luigi Ceccarelli …“

BLUE ANGEL CAFE, der im englischen Sprachraum auch manchmal OBJECT OF DESIRE heißt, handelt von der Nachtclubsängerin Angie, die nur ein einziges Lied singen kann. Das tut sie dafür vier Mal im ganzen Film, stets mit den gleichen Bewegungen: Den Kopf emporgestreckt, düsterer Blick, und dann den Hut heruntergerissen und die blonde Mähne geschüttelt, wenn die Synthesizer zum Höhenflug ansetzen. Mit dem Song macht sie ordentlich Karriere, was bedeutet, daß dann zehn Statisten anstelle von drei im Publikum herumsitzen.

Zu ihrem groß angekündigten Debüt erscheint auch der Gouverneurskandidat Raymond Derek mit seiner Frau. Warum es Raymond für eine gute Wahlkampfstrategie hält, einen Nachtclub zu besuchen, in dem die Damen mehr oder weniger in Dessous auftreten, bleibt eher unklar, aber vielleicht wird ja hier die Vision eines progressiven, weniger prüden Amerikas gezeichnet. Jedenfalls lernt Angie Raymond nach ihrem Song kennen, guckt ihn düster an und schenkt ihm eine Rose. Das ist ihm ein wenig unangenehm, weil ja seine Frau Kate daneben sitzt.

Angie (Tara Buckman) plaudert mit Raymond Derek (Richard Brown)
über das Konstruktive Mißtrauensvotum.

So macht sich Angie also die nächsten Tage daran, Raymond von seiner unlockeren Ehefrau loszueisen. Zu ihrem subtilen Repertoire gehört beispielsweise eine Begegnung in einem Massagesalon, wo Raymond gerade auf Kate wartet und dann einen umfassenden Blick in einen Raum erhaschen darf, in dem sich Angie gerade mit düsterem Blick auszieht. Nur wenige Schnitte später ist Kate eifersüchtig, reist aber praktischerweise für ein paar Tage irgendwohin und steht dem Liebesglück zwischen Raymond und Angie somit erstmal nicht mehr im Wege.

Die intensivieren ihre Bekanntschaft gleich mal im Umkleideraum des Blue Angel Cafés. Danach gibt Raymond Angie etwas Geld mit der Anmerkung, daß er leider keine Zeit gehabt hat, ihr ein schönes Geschenk zu kaufen. Da macht sich doch etwas Mißstimmung bei Angie breit. Außerdem eröffnet Raymond Angie, daß sie sich besser nicht mehr wiedersehen. Vielleicht ist sein Terminkalender ja damit gefüllt, in anderen Nachtclubs auf Stimmenfang zu gehen.

Raymond (Richard Brown) setzt sich intensiv für
Angies (Tara Buckman) Stimme ein.

Angie macht also das, was jede Frau in so einer Lage tun würde: Sie erwartet Raymond am nächsten Abend in dessen Badewanne. Es spricht für die Gutherzigkeit von Raymonds Butler, daß er sie einfach in die Wohnung gelassen hat (mit dem Zusatz, daß sie auf der Veranda warten soll). Raymond gibt sich der treuherzigen Dame hin, und nur wenig später reden die beiden über ihre innige Liebe zueinander. Geldgeschenke nach Liebesaffären können also durchaus romantische Zweisamkeit einläuten.

Man glaubt ja noch eine Zeitlang, daß Angie vielleicht irgendeinen Rachegedanken hegt und deswegen den Jungpolitiker um den Finger wickelt. Aber ihre Liebe ist ganz aufrichtig, und weil Raymond ganz begeistert ist von dieser Singmaus, die mal von Gefühlen säuselt, dann herumheult, dann wütend wird und dann davon redet, wie schlimm es ist, arm zu sein, bevor sie wieder von der Liebe spricht, darf man ihm großherzig zugestehen, daß er die Frau voll und ganz verdient hat.

„Schatz, wieso hast du heute so viel an?“

Kate, Raymonds Frau, sieht das allerdings anders und reicht die Scheidung ein. Das trifft Raymond emotional nicht allzusehr – er äußert schon Heiratsabsichten gegenüber Angie – aber sein Bankkonto belastet es doch ziemlich. Weil seine Affäre obendrein in die Medien gelangt, muß er seine Kandidatur aufgeben und wird wenig später auch noch von seiner Partei geschasst. Da ist bald Sense mit dem mondänen großen Haus: Raymond und Angie müssen in ein kleines Apartment ziehen, was Angie überhaupt keinen Spaß macht. Sie guckt also wieder düster, und er gibt sich dem Suff hin.

Man kann Angie jedenfalls nicht vorwerfen, daß sie sich nicht für die Beziehung zu Raymond einsetzen würde: Sie spricht mit Steve, Raymonds früherem Assistenten, der jetzt in der Partei aufgestiegen ist, und bittet ihn um einen Job für Raymond. Im Austausch dafür erhält Steve sexuelle Gefälligkeiten von ihr – nur daß blöderweise Raymond danach immer noch arbeitslos bleibt. Ich fürchte, früher oder später muß man sich Sorgen um die Integrität dieser Partei machen.

„Was meinst du damit, du kriegst deine Legislaturperiode?“

Die traute Zweisamkeit zwischen Raymond und Angie leidet jedenfalls etwas unter all diesen Tiefschlägen. Er beschimpft sie regelmäßig als Hure, und wenn sie dann düster schaut, entschuldigt er sich wortreich. In ihrer Verzweiflung nimmt Angie wieder ihren Job als Nachtclubsängerin auf, wo sie wieder einmal ihren größten Hit schmettern darf. Dieses Comeback sorgt für so viel Aufsehen, daß die Hütte für die nächste Zeit ausgebucht ist und Angie sogar Angebote als Nacktphotomodell kriegt. Abgelichtet wird sie übrigens von „Black Emanuelle“ Laura Gemser höchstselbst!

Eine derart steile Karriere seiner Lebensgefährtin kann Raymond gar nicht schlucken – weshalb sich die beiden trennen. Sie geht eine Zeitlang mit anderen Männern aus dem Club aus, er sucht sich einen Job als Lektor. Plötzlich steht Kate bei ihm auf der Matte und will wieder mit ihm zusammensein – mit einer Liebeserklärung, der kaum ein Mann widerstehen könnte: „Ich dachte, ich liebte dich für das, was du repräsentierst, deine gesellschaftliche Stellung, wegen deines Erfolges – aber jetzt erst weiß ich, daß ich dich für das liebe, was du bist. Und so sollte es auch sein.“ Trifft sich ja irgendwie gut, daß Kate Raymond wiederhaben will und seine Untreue mit keiner Silbe mehr erwähnt – so kriegt er nicht nur die Frau mit dem weniger düsteren Blick, sondern auch sein ganzes Geld zurück. Entschuldigung, das war jetzt ein etwas unromantischer Kommentar meinerseits.

Angie (Tara Buckman) macht große Karriere!

Angie wird auch ein wenig traurig und besucht Raymond noch einmal, aber der steht schon ganz unter dem Schlapfen von Kate und schickt Angie wieder zurück in das Blue Angel Café, wo sie mit fünfzehn bis dreiunddreißig Tränen im Auge ihren Erfolgssong schmettern darf. Ja, so vergänglich sind die Freuden des Lebens, was man auch daran merkt, daß der Film jetzt aus ist.

Die Story basiert übrigens, falls der Titel nicht schon Hinweis genug war, auf dem Marlene-Dietrich-Klassiker DER BLAUE ENGEL. Ganz so ein Klassiker ist BLUE ANGEL CAFE, wenn ich sehr intensiv darüber nachdenke, aber doch nicht.

 

Blue Angel Cafe (Italien 1989)
Alternativtitel: Object of Desire
Regie: „Joe D’Amato“ (= Aristide Massaccesi)
Buch: Daniel Davis, Laurence Abby
Kamera: „Federiko Slonisko“ (= Aristide Massaccesi)
Musik: „Pahamian“ (= Luigi Ceccarelli)
Darsteller: Tara Buckman, Richard Brown, Rick Anthony Munroe, Jayne Gray, Ken Werbinski, Moses Gibson, Richard Frank Sume, Laura Gemser






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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