Schaum und Stereotypen: WIE WERDE ICH IHN LOS – IN 10 TAGEN

Film / Retrospektive / 31. Oktober 2015

Journalistin Andie Anderson schreibt für das Cosmopolitan-hafte Frauenmagazin Composure sensationell beliebte Ratgeber-Artikel: „Wie kriege ich einen schöneren Körper in 5 Tagen?“, „Wie richte ich mein Apartment nach Feng Shui aus?“ und „Wie schreibe ich eine völlig unglaubwürdige Romantic Comedy mit strunzdummen Figuren und plattem Plot?“ Ah, Moment – ich glaube, ich bilde mir nur ein, daß der letzte Artikel tatsächlich gezeigt wurde.

Dabei wäre Andie doch viel lieber eine ernsthafte Autorin! „Ich will über Themen schreiben, die wichtig sind: Politik und Umwelt und Außenpolitik“, protestiert sie. Vergeblich versucht sie, in ihre Kolumne einen Artikel über den zentralasiatischen Binnenstaat Tadschikistan zu schmuggeln – Titel: „How To: Bring Peace to Tajikistan“.

Kate Hudson und Matthew McConaughey – vielleicht bei der Premiere ihres eigenen Films.

Lesen wir doch mal kurz rein, was da auf ihrem Monitor zu sehen ist: „[…] Tajikistan needs further economic and political reforms, a strong sense of nationhood and a just human rights system. When these elements finally fall into place, only then will the people of Tajikistan know true and lasting peace.“ Meine Güte, diese brandheißen Reformdirektiven sollten unverzüglich der tadschikischen Regierung zugespielt werden! Fassen wir noch kurz zusammen, was Andie im Laufe der Geschichte über die wichtigen Themen Politik, Umwelt und Außenpolitik sagt und wie sie sich dahingehend engagiert:

Ach, so viel war es wohl doch nicht. Weil Composure keine derartigen heißen Eisen anfassen möchte, wird Andie also zu einer ihren üblichen Kolumnen verdonnert. Thema diesmal: „Wie werde ich ihn los – in 10 Tagen“. Eine Art umgekehrter Ratgeber, in dem die typischen Fehler der Frauen aufs Korn genommen werden, wenn es darum geht, einen frisch kennengelernten feschen Joshi nicht auch gleich wieder zu verschrecken.

Weil Composure seine Ratgeber-Kolumnen offenkundig sehr ernst nimmt, muß Andie dazu tatsächlich einen Mann aufreißen und dann innerhalb von zehn Tagen mit typisch weiblichem Fehlverhalten wieder verscheuchen. Ihr oder ihren Kolleginnen kommt zu keiner Sekunde der Gedanke, man könnte einen solchen Text auch einfach ohne tatsächliches Sozialexperiment schreiben – einfach mal so, aus dem Kopf heraus. Nachdem Recherchearbeit ja typischerweise von Redaktionen bezahlt werden muss, darf übrigens davon ausgegangen werden, daß sich Composure in der Auflagenhöhe eines Mount Everest verkauft.

Benjamin (Matthew McConaughey) und Andie (Kate Hudson).

Unser armes Opfer hat aber momentan allen Grund, an seiner Eroberung festzuhalten: Werbefachmann Benjamin Berry kämpft um den Auftrag für eine hochdotierte Diamantschmuck-Kampagne. Der Auftraggeber ist überzeugt, daß die Frauen von der Konkurrenz geeigneter für den Job wären, weil die Zielgruppe ja ebenso Frauen sind. Es ist feministisch gesehen höchst progressiv von ihm, anzunehmen, daß nicht etwa auch das eine oder andere Stück von einem Mann für seine Herzallerliebste gekauft werden könnte.

So muß sich Benjamin also auf eine Wette einlassen: Wenn er es innerhalb von 10 Tagen schafft, daß eine Frau sich ernsthaft in ihn verliebt, kriegt er den Auftrag. Wenn nicht, kriegen ihn die Mädels von der Konkurrenz (die im Gegenzug keine Leistung zum Ergattern des Auftrags bringen müssen). Weil die beiden Frauen Wind gekriegt haben von Andies nächster Kolumne, setzen sie ihn auf die Kolumnistin an. Voila, das Konzept hat sich zusammengefügt: Sie versucht ihn um jeden Preis loszuwerden, er versucht sie um jeden Preis zu halten, und beide verzweifeln am Verhalten des anderen.

Daraus könnte ein amüsantes Spiel mit Geschlechterklischees entstehen – und wahrscheinlich hatten die Macher auch exakt das im Kopf, wenn Andie ihren Benjamin zu einem Frauenfilm-Marathon schleppt, in ein Celine-Dion-Konzert zerrt, aus heiterem Himmel launisch und eifersüchtig wird und nur Tage nach dem Kennenlernen seine Wohnung umdekoriert und von Heirat und Kindern spricht. Tatsächlich ist es aber nur eine ermüdende Abfolge von Szenen, in denen sie sich immer unmöglicher aufführt und er das alles erdulden darf. Damit man auch mitkriegt, daß hier Klischees vorgeführt werden, muß Andie auch stets derart maßlos aufdrehen, Grimassen schneiden, in Babysprache reden und das Terrorweib geben, daß Daisy Duck dagegen wie eine glaubwürdige Frau wirkt.

Tröste dich, Benjamin: Es hätte auch ein Helene-Fischer-Konzert sein können.

Es gibt unzählige Varianten, wie diese Konstellation reizvoller ausgelotet hätte werden können: Wie wäre es beispielsweise, wenn Andie an einen Burschen geraten würde, der tatsächlich gerne auf ein Celine-Dion-Konzert geht und sich unbedingt SCHLAFLOS IN SEATTLE ansehen will? Der von sich aus schon von Familie redet, was ihr dann viel zu schnell wäre? Da würden wenigstens Stereotypen auch durchbrochen werden, es würde Reibung zwischen Klischees und Erwartungen geben, anstatt nur Allgemeinplätze wiederzukäuen. Und wenn es schon um Geschlechterverhalten geht, warum darf dann Benjamin nicht ebenso aufdrehen wie Andie? Warum beschränkt sich der einseitige Witz stets darauf, daß sie sich wie die Psychopathen-Freundin verhält und er das zähneknirschend aushalten muß?

Man muß es Kate Hudson und Matthew McConaughey lassen: Sie sind immens charmante Schauspieler, die es irgendwie schaffen, das Prozedere zu einem luftigen, ansehbaren Schaum zu machen, bei dem man nicht eine Sekunde lang darüber nachdenkt, daß man hier eigentlich zwei recht beschränkten Menschen dabei zusieht, wie sie sich für ihre Arbeit prostituieren. Vielleicht liegt das aber auch daran, daß sich hier ohnehin niemand glaubwürdig als Mensch verhält – weshalb auch zum Schluß beide empört und verletzt über ihre gegenseitigen Wetten sein dürfen und sich in ein hochdramatisches, uraufrichtiges Finale stürzen dürfen.

Am Ende wird freilich alles gut: Die beiden kriegen sich und blicken in eine gemeinsame hohle Zukunft. Er erhält den Werbeauftrag, sie kündigt bei Composure, um endlich über Politik, Umwelt und Außenpolitik schreiben zu können. Und wenn das nichts wird, kann sie ja vielleicht Filmkritiken verfassen. Mein Vorschlag wäre eine zu diesem hier: „Wie steh ich das durch – in zwei Stunden?“

 

Wie werde ich ihn los – in 10 Tagen (USA 2003)
Originaltitel: How to Lose a Guy in 10 Days
Regie: Donald Petrie
Buch: Kristen Buckley, Brian Regan, Burr Steers
Kamera: John Bailey
Musik: David Newman
Darsteller: Matthew McConaughey, Kate Hudson, Adam Goldberg, Thomas Lennon, Kathryn Hahn, Michael Michele, Shalom Harlow, Bebe Neuwirth, Marvin Hamlisch

Alle Screenshots wurden von der DVD (C) Paramount genommen.






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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