[TV] Die Hohlbeins – Eine total fantastische Familie (2013)

Film / TV / 20. Januar 2013

Es schwant einem ja schon Schreckliches, wenn die Schrifstellerfamilie Hohlbein in einem Fernsehbeitrag porträtiert werden soll und der dann als Dokusoap konzipiert ist und ausgerechnet von RTL2 ausgestrahlt wird. Mal sehen, was könnte an Phantastikautor Wolfgang Hohlbein, seiner oftmaligen Co-Autorin und Ehefrau Heike Hohlbein und der ebenso schreibwütigen Tochter Rebecca Hohlbein interessant sein? Redet man mit ihnen über ihre Arbeitsprozesse? Über Wolfgangs Anfänge? Über seine Interessen, Leidenschaften, Ängste? Redet man vielleicht über Konkurrenzdenken oder Zusammenarbeit innerhalb der Autorenfamilie? Spricht man über Wolfgangs gerne kritisierte Vielschreiberei? Oder diskutiert man wiederkehrende Themen in seinen vielen, vielen Romanen? Ach was! Filmen wir die Leute doch lieber beim Herumschlendern im Baumarkt, beim Organisieren einer Privatparty und beim Frühstücken!

Irgendwer bei RTL2 muß sich wohl sehr intensiv THE OSBOURNES angesehen haben und hat Familie Hohlbein, die sich aus einem nicht wirklich einleuchtenden Grund für diese Banalitätenparade zur Verfügung gestellt hat, als ebenso liebenswert-schräge und doch eigentlich schrecklich langweilige Truppe eingefangen – deren Alltag hier derart trivial dargestellt wird, daß man jeden Moment damit rechnet, endlich Wolfgang lachen zu hören: „Reingefallen! War nur ein Scherz!“ Aber nein, dieses peinliche Kabinett an Tristesse ist völlig ernstgemeint und soll dank sozusagen heraushängender Quoten auch noch in Serie gehen.

Das schlichte Reality-Konzept greift bei den Hohlbeins natürlich genauso wie bei allen anderen Künstlern und Familien, die in die Dokusoap-Falle geraten sind: Da wird vermeintlich Echtes gezeigt, das natürlich von vorne bis hinten gestellt und inszeniert ist – und alles wird so abgelichtet und kommentiert, daß man immer mal wieder mit dem Finger auf den Bildschirm zeigen kann und sich freuen darf, nicht so zu sein wie die da auf der Mattscheibe. Da steigen Wolfgang und Heike also in ihren knallgelben Lotus ein, um in den Baumarkt zu fahren, müssen aber aufgrund der versagenden Batterie auf das Zweitfahrzeug umsatteln – und freilich darf Tochter Rebecca dann auch zu Protokoll geben, daß es total bescheuert wäre, mit einem Lotus zu einem Baumarkt zu fahren. Später muß Rebecca Brötchen für die Party schmieren und versucht, den 13-jährigen jungen Bruder zur Mitarbeit zu motivieren. Er verlangt €1,50 pro Brötchen, sie droht ihm damit, den Eltern von seiner letzten Mathearbeit zu erzählen. Na sicher! Sagen wir mal so: Wenn es ein echtes Geheimnis gewesen sein sollte (zwinker, zwinker), dann bräuchte sich Bruderherz nun gar keine Gedanken mehr darüber machen, wie er es seinen Eltern beichtet – er bräuchte nur zu warten, bis sie sich die TV-Ausstrahlung ansehen.

Gar dramatisch wird es ab der Hälfte des Programms: Es sind noch viele Partyvorbereitungen zu machen, aber plötzlich taucht Hohlbeins Manager Dieter Winkler auf (der übrigens auch einige Bücher mit ihm verfaßt hat) und erzählt, daß er den Termin für eine Signierstunde falsch zugeordnet hat und sie jetzt sofort losfahren müssen. Tja, da müssen Heike und Rebecca grummelnd alleine die Party organisieren. Oh Gott! Oh nein! Wie spannend! Unterdessen glaubt man fünf Minuten lang, im ganz falschen Programm gelandet zu sein, weil Wolfgang beim Büchersignieren gezeigt wird – wo man doch die erste halbe Stunde annehmen durfte, sein Schriftstellerleben sei hier konsequent ausgeklammert worden!

Wie üblich begegnen die Macher des Programms ihren Protagonisten mit süffisanter Herablassung – auch wenn die hier milder ausfällt als in vergleichbaren Frauentausch- und Spackendating-Serien. Dennoch wird hier Hohlbeins 16.000 Figuren starke Zinnsoldatensammlung so ins Licht gerückt, daß der Mann damit auch richtig schön eigenbrödlerisch wirkt; ebenso stilisiert man die beiden Möpse (ich rede hier von Tieren, räusper) seiner Frau zu einem schrulligen Tick hoch. Später darf man darüber lachen, wie der stoffelige Wolfgang von seiner Frau zu einem Herrenausstatter geschleppt wird, damit er endlich mal einen Anzug trägt, und der sich dann gegen jede schicke Kleidung wehrt und gleich noch zu Protokoll gibt, seit 20 Jahren nicht mehr beim Frisör gewesen zu sein.

Ich weiß leider nicht, was die Hohlbeins geritten hat, sich für ein derartiges Banalitätenkabinett zur Verfügung zu stellen. Geld kann es kaum sein – mit über 40 Millionen verkauften Büchern dürfte Wolfgang mehrfach ausgesorgt haben. Vermutlich ist es ein Versuch, auch Nicht-Genre-Fans für die Hohlbeinschen Werke zu interessieren. Aber warum nur werden dann hier keine Bücher thematisiert? Und warum geht man bitteschön zu RTL2, wo das Fernsehprogramm alles sein mag, nur nicht literarisch orientiert? Ich glaube, ich warte doch noch auf den Moment, wo jemand zugibt, daß das alles nur ein Witz ist.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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