FilmNeuer als alt

Otto – Der Katastrofenfilm (2000)

Die ersten beiden Kinofilme waren brillant: Hemmungslos alberne Ansammlungen von unglaublichen Wortwitzen, kindischem Humor, Slapstick, Sprüchen, visuellen Gags, Absurditäten, Popkultur-Parodien, Klamauk – letztlich nicht viel mehr als mit rudimentärer Handlung zusammengeklammerte Nummernrevues eines genialen Komikers auf dem Höhepunkt seines Schaffens. OTTO – DER FILM und sein Nachfolger OTTO – DER NEUE FILM lockten Abermillionen von Menschen ins Kino, die es Otto Waalkes auch nicht übelnahmen, daß er immer wieder alte Witze neu aufwärmte, weil die Filme so vollgepropft waren mit aberwitzigen Einfällen, daß keine Sekunde davon langweilig wurde. Otto, das kleine Kind im Körper eines Erwachsenen, hatte schon immer einen Humor, der breitgefächert genug war, die Menschen generationenübergreifend anzusprechen: Die Kinder lieben die Albernheiten und die Energie, die Teenager die Respektlosigkeit und die popkulturellen Anspielungen, die Erwachsenen amüsiert die originelle Sezierung alltäglicher Absurditäten, und die Älteren fühlen sich beim Wortwitz an Waalkes‘ großes Vorbild Heinz Erhardt erinnert. Otto war so phänomenal erfolgreich, daß viele seiner Sprüche und Witze in den Alltagsgebrauch übergingen.

Auch Ende der Achtziger konnte Otto noch mit seinem dritten Kinofilm einen Kassenhit landen, obwohl OTTO – DER AUSSERFRIESISCHE schon Ermüdungserscheinungen aufwies und immer mehr Witze aus Ottos alter Fernsehshow und seinen Büchern wiederverwertete. In den Neunzigern dann schien seine Zeit abgelaufen zu sein: Der vierte Kinofilm OTTO – DER LIEBESFILM war amüsant, aber nicht mehr, und eine TV-Serie, in der er Edgar-Wallace-Filme im Stil von TOTE TRAGEN KEINE KAROS persiflierte, wirkte eher bemüht als witzig. Nach einigen Jahren Pause produzierte Horst Wendlandt, der neben Ottos Kinoausflügen auch Loriots meisterliche Leinwandparaden betreut hatte, einen fünften Kinofilm, der Otto pünktlich zu Beginn des neuen Jahrtausends wieder in die Herzen des Publikums bringen sollte. OTTO – DER KATASTROFENFILM wurde dabei ebenso herzlich aufgenommen wie die neue Rechtschreibung, derer er sich im Titel bediente: Der Film ging gnadenlos unter.

Otto spielt natürlich auch hier wieder Otto, der nach seiner Geburt ausgesetzt und dann von einem alten Seebären aufgezogen wird, der ihm auf dem Sterbebett offenbart, daß er in Wahrheit nie zur See gefahren ist, und Otto bittet, seinen Lebenstraum stellvertretend zu erfüllen. Weil Otto bei der Leichtmatrosenprüfung durchfällt, schmuggelt er sich als Mitglied einer Frauen-Popband an Bord der „Queen Henry“, wo er inmitten ominöser Agenten, einem terroristischen Attentäter, einem lüsternen Kapitän und einer in diese Geschichte verwickelten schönen Frau gerade noch genug Raum hat, sein eigenes Chaos anzurichten.

Die Handlung ist freilich das erste, wenn auch nicht das größte Problem, das den KATASTROFENFILM auszeichnet: Weite Strecken des Streifens werden mit einer Geschichte vergeudet, die uninteressanter nicht sein könnte. Es geht um einen Versicherungsbetrug, bei dem Geld damit kassiert werden soll, das Schiff untergehen zu lassen, was die an Bord befindlichen Agenten verhindern sollen – und so weiter und so fort. Nicht nur, daß die Handlung völlig unbrauchbar ist, weil sie gar nichts zur Sache tut: Sie vergißt auch größtenteils, komisch zu sein. Kostbare Minuten verbringen wir in einem Büro einer japanischen Firma, die involviert ist, und warten darauf, endlich wieder zu Otto zurückkehren zu können. Es wird schnell klar, daß die „rudimentäre Alibihandlung“, an der die ersten beiden Filme aufgezogen wurden, kein Kritikpunkt, sondern ein weiser Entschluß waren: Otto braucht Platz, seine Show abzuziehen, und keine müde Krimihandlung. Alles, was Waalkes in den Filmen Eins und Zwei macht, war nur daran angeknüpft, daß er 9876 Mark und 50 Pfennig auftreiben musste bzw. daß er seine schöne und unglaublich arrogante Nachbarin Gabi Drösel beeindrucken wollte – er agierte, während er hier stets darauf warten muß, selbst zum Zuge zu kommen.

Das zweite Problem ist die Größe des Unterfangens: DER KATASTROFENFILM ist ein teures Spektakel mit zig Spezialeffekten und riesigen Sets. Wieviele Big-Budget-Komödien gab es doch gleich wieder, die so richtig herzlich komisch sind? Genau. Der Humor wird unter den Effekten erschlagen, weil wir damit beschäftigt sind, großangelegten Sequenzen zuzusehen, die gerne großes Kino wären, aber natürlich in keiner Form involvieren, weil die Handlung ja ohnehin uninteressant und letzten Endes nie ernst gemeint ist. Das Finale ruft die epische TITANIC und den Schauwert-Schluß der Actionkomödie TRANSAMERIKA-EXPRESS ins Gedächtnis, aber eigentlich sehen wir den Film doch, weil wir Otto sehen möchten und lachen wollen. Bestenfalls beides.

Gleich zu Beginn zeigt eine Variation eines Witzes aus dem ersten Kinofilm, wie die Effekte den Humor ruinieren: Otto wird geboren, und sein Vater fragt: „Ist es ein Junge oder ein Mädchen?“ Der Doktor antwortet: „Sie müssen stark sein. Es ist ein Otto.“ Dann bewegt sich die Kamera über den Boden und zeigt ein kleines Baby, auf das per Visual FX der Kopf von Otto montiert wurde. Natürlich ist das erste, was wir wahrnehmen, der Effekt, eine Art Benjamin-Button-Bild, und eventuell staunen wir darüber, wie er gemacht ist, oder wir finden seine Widernatürlichkeit abstoßend, oder wir verstehen die Idee dahinter und finden die dann amüsant – so oder so stellt sich der Effekt zwischen uns und den Witz. Zum Vergleich: Im Erstling steht Ottos Mama an seiner Wiege und freut sich, wie schön seine Füße sind. Wir sehen seine Füße unter der Decke hervorschauen. Sein Papa grummelt: „Naja, verglichen mit seinem Gesicht“, schlägt die Decke an der anderen Seite zurück, und darunter ist der Kopf von Otto Waalkes mit Babyschleifchen drumherum. Der Lacher ist direkt: Nicht nur, daß die Eltern das Kind verkehrt herum in die Wiege legen, damit die Füße hervorschauen und nicht der Kopf – der Witz, daß dieser Kopf dann der eines Erwachsenen ist, zündet gerade, weil es keinen Effekt gibt, bei dem er auf einen Kinderkörper draufmontiert ist.

Als wäre das alles nicht schon genug Behinderung des Humors, vergißt das Drehbuch ständig auch noch, Pointen zu liefern, einen Witz jenseits des ursprünglichen Schmähs zu finden. Zum Beispiel, was die Frauen-Popband angeht: Ein zickiger, unattraktiver Haufen von Tussen, die sich die „Old Speis Girls“ nennen. Klar, der Name ist amüsant. Danach aber dürfen die Mädels noch lang über die Leinwand quäken, ohne daß dabei ein einziger weiterer Witz abfiele. Otto selbst wirft sich in Frauenkleider, um als Mitglied der Band an Bord des Schiffes zu kommen, und man ahnt, wie müde die Schreibarbeit am Drehbuch ablief, wenn Männer-in-Frauenkleider-Witze bemüht werden, die schon bei Peter Alexander und Gunther Philipp nicht sonderlich komisch waren.

Am besten ist der Film immer noch dann, wenn Otto einfach Otto sein kann und herumalbert. Wenn er zum Beispiel auf der Landkarte schaut, wo denn dieses New York liegt, in das er das Schiff steuern soll, und sich dann freut, daß es praktischerweise direkt am Meer liegt! Oder wenn er die Passagiere beruhigt, die durch eine Bombendrohung in Panik geraten: „Keine Panik, noch sind wir nicht verloren! Erst in drei Minuten.“ Ebenso, wenn er mit einem dicken Stoffpinguin durch das Schiff rennt, den er davor rettet, zu Pinguinsuppe verarbeitet zu werden – wobei auch da wieder die Effekte ins Spiel kommen, mit denen der Pinguin dann computeranimiert herumstapft – dabei funktioniert der Witz am besten, je offensichtlicher das Vieh eine Puppe ist (auch die eingefrorene Katze aus dem zweiten Film war nur komisch, weil sie so comichaft aussah, daß sie nicht wie eine echte Katze wirkte).

Irgendwann ist der Film dann aus, und dann versucht man zurückzudenken und sich an die guten Witze zu erinnern. Die, die einem einfallen, stammen dummerweise aus Ottos früheren Filmen. Zeit, sich die wieder anzusehen.

Als ich Otto im Jahre 2000 im Salzburger Festspielhaus (!) trotz sündhaft teurer Ticketpreise live gesehen habe, wetzte er alterslos über die Bühne und sprudelte genauso atemlos vor Witzen über, wie er das früher tat. Die Hälfte seines Programms bestand aus alten Sketchen – Witze also, von denen das Publikum schon die Pointen aus seinen Büchern, Filmen und TV-Shows kannte. Die Leute im Saal haben Tränen gelacht. Otto muß sich nicht neu erfinden oder dem Zeitgeist anpassen – er kann der Alte bleiben, und alles, was er braucht, um die Leute mitzureißen, ist eine Bühne, er selbst obendrauf, und anderthalb Stunden für ein Soloprogramm. Alles andere ist überflüssig. Das ist ein Geheimnis, das den Machern von OTTO – DER KATASTROFENFILM niemand verraten hat.

Otto – Der Katastrofenfilm (Deutschland 2000)
Regie: Edzard Onneken
Drehbuch: Michael Bergmann, Bernd Eilert, Otto Waalkes
Kamera: Hagen Bogdanski
Musik: Darius Zahir
Darsteller: Otto Waalkes, Eva Haßmann, Reiner Schöne, Ben Becker
Kamera Hagen Bogdanski
FSK: 6

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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