THOMMY’S POP-SHOW EXTRA: Eine Reise ins Popjahr 1983

Film / TV / 14. Mai 2015

Wer die Achtziger Jahre erlebt hat, erinnert sich vielleicht noch: Von 1982 bis 1984 moderierte Thomas Gottschalk im ZDF eine Musiksendung namens THOMMY’S POP-SHOW, in der er aktuelle Hits vorstellte. Ende 1983 gab’s dann erstmals ein Endjahreskonzert in der Dortmunder Westfalenhalle, zu dem die Stars im Rabattpaket eingekauft wurden, um ihre Chartstürmer live darzubieten. Und glücklicherweise befindet sich im schier unerschöpflichen Archiv von Wilsons Dachboden ein VHS-Mitschnitt dieser Show, die am 17. Dezember 1983 ausgestrahlt wurde und wie eine Zeitreise in eine längst vergangene Ära funktioniert.

Ganze drei Stunden lang treten hier die Acts auf, jeder mit zwei bis drei Songs – da kommt an einem einzigen Abend ganz schön was zusammen. Dazwischen hält uns Gottschalk bei Laune – genauso gut gelaunt und flapsig, wie man ihn kennt, und optisch komplett identisch zum Jahr 2015. Thommys Ansagen sind allerdings so ziemlich das Einzige, was hier live zu hören ist – abgesehen von ein paar ganz wenigen Gesangsspuren kommen die meisten Musiker mit Vollplayback daher. Es hat damals niemanden gekratzt.

Die Italiener Righeira dürfen alle ihre Erfolge vortragen.

Am schönsten sind in so einer Show natürlich jene Songs, die vor 32 Jahren sämtliche Radiowellen verstopften und heute nur das große Grübeln hervorrufen, von wem sie denn stammen könnten. Nebeneffekt: Nach den ersten paar Klängen hat man die Stücke dann dafür wieder tagelang im Ohr. Da kommen zum Beispiel Righeira mit ihrem Partykracher „Vamos a la playa“ – zwei Italiener mit Sonnenbrillen und Anzügen, die hochmotiviert über die Bühne hüpfen und von den Veranstaltern fast völlig eingenebelt werden. Danach springen sie zu „No tengo dinero“ – ja, nach nur zwei Sekunden erinnert man sich, daß die Burschen tatsächlich zwei Hits hatten. Ein kurzer Blick auf Wikipedia verrät uns, daß die Jungs sogar heute noch herumhüpfen: Erst 2007 erschien ein viertes Album von Righeira.

Noch mehr Party: „Sunshine Reggae“ von den Dänen Laid Back, von denen einer aussieht wie der Brillenträger von den Amigos. „High Society Girl“ war dann kein Hit, aber dennoch gibt’s die Jungs noch. Ob auch immer noch während der Darbietung ein dritter Kerl auf der Bühne auftaucht und mit aufgeschnallter Gummipuppe herumkasperlt? Und hier gleich der nächste aus der Abteilung „Wer war das doch gleich?“: Gazebo, der beim ersten Song noch eine Horrormaske trägt und sich dann zu seinem Megahit „I Like Chopin“ als glattgebügelter Schönling entpuppt. Da werden Regionen im Gedächtnis aktiviert, von denen man nicht mal wußte, daß da Lücken sind.

Nena singt „Baustelle“ … ach nein, „Leuchtturm“.

Freilich kommen auch die ganz großen Durchstarter des Jahres 1983: Nena atmet sich lautstark durch drei Stücke und wünscht allen Anwesenden ein Frohes Neues, und weil sie sich mit ihren Songs in dem Jahr als absoluter Megastar etablieren konnte, kriegt sie von den Veranstaltern auch so ein Baustellen-Licht als Deko spendiert. Gespart wurde dagegen bei Elton John, laut Hörzu-Info „auch mal ohne Scheibenwischer an der Brille“, aber dafür mit scheußlichem Strohhut und schrecklicher Lederhose – der hat nur ein Piano auf der Bühne stehen und haut ohne Band im Hintergrund in die Tasten, auch wenn in seinem Song „Kiss the Bride“ überhaupt kein Klavier zu hören ist.

Überhaupt müssen manche Musiker mit der leeren Bühne auskommen. Robin Gibb wurde wahrscheinlich am Vortag angerufen, weil irgendwer anderes abgesagt hat, und steht im rot-schwarzen Motorradfahreroutfit mit großem „V“ herum, wackelt ein bißchen nach links, nach rechts, die eine Hand in der Tasche, und bewegt die Lippen zu „Juliet“ und einem anderen Song, der kein Hit war.

Professional Youth Gottschalk stellt Musical Youth vor.

Nicht so recht hineinpassen wollen da Barclay James Harvest, eine britische Prog-Rock-Band, aber die hatten nun mal mit „Life Is for Living“ einen Hit und dürfen deswegen gleich drei verträumte Songs spielen, während ein progressiver ZDF-Techniker bunt flimmernde Effekte über den Bildschirm zieht. Aber egal, wer da paßt oder nicht paßt, wer da langweilt oder begeistert: Die Show geht ja eh gleich mit den nächsten Helden weiter. Spandau Ballet, Kim Wilde, Paul Young, Chris de Burgh und die Spider Murphy Gang. Schon nach den ersten Songs erklärt Gottschalk dem begeisterten Publikum, daß Zugaben aus Zeitgründen einfach nicht drin sind – sonst würde Nena vielleicht noch heute spielen.

Noch ein Kandidat aus der One-Hit-Wonder-Ecke: Musical Youth, diese mit Kindern und Jugendlichen besetzte Reggaeband, die mit „Pass the Dutchie“ einen Welthit hatten und danach verschwanden. Wikipedia zufolge arbeiten ja zwei dieser Jungs heute an neuen Aufnahmen, aber ich finde, sie sollten noch 32 Jahre warten, damit der Bandname „Musical Youth“ dann als Ironie verkauft werden kann. Und noch einer: F.R. David, dessen Name wohl die wenigsten noch parat haben, auch wenn er der Mann war, der „Words“ gesungen hat (genau: „Words don’t come easy …“).

Sieh mal, ohne Limahl? Bei Kajagoogoo singt schon Nick Beggs.
Manche meiner Familienmitglieder arbeiten diese Enttäuschung noch heute auf.

Der Mann von Geier Sturzflug singt sogar live, was man daran merkt, daß der Text vom „Bruttosozialprodukt“ gegenüber der Radio-Version verschärft wird – „Am Mittwoch kommt die Müllabfuhr und holt sich einen runter“, heißt es da statt „holt den ganzen Plunder“. Und das im Öffentlich-Rechtlichen!

Und sonst? Shakin‘ Stevens demonstriert sein Faible für Elvis, DÖF singen „Taxi“ und „Codo“ (ohne die Humpe), Kajagoogoo treten ohne Limahl auf (stattdessen übernahm Bassist Nick Beggs den Gesang), und Ricchi e Poveri erinnern dran, daß in den Achtzigern Italo-Pop allgegenwärtig war. Und dann sind da noch Trio mit „Herz ist Trumpf“ und „Turalu“. Bei letzterem darf sogar Gottschalk mitsingen („Peinlich!“ kommentiert Stephan Remmler die zarten Versuche), bevor dann alle anwesenden Stars vereint auf die Bühne klettern und sich zu einem von Remmlers schönsten Texten wiegen: „Turaluraluralu, ich mach‘ Bubu, was machst du?“

Ganz einfach, Stephan: Ich mach‘ nostalgiegeschüttelt den Fernseher aus, als Sendeschluß-Zeichen und Testbild auf der VHS-Aufzeichnung auftauchen, und freue mich, daß Modern Talking erst 1984 angefangen haben.

 

Oh ja, liebe Kinder: Früher war bei den Fernsehsendern irgendwann Schicht im Schacht.

 Alle Screenshots von mir selbst gemacht, (C) 1983 ZDF.






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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