Ein ERDBEBEN erschüttert Los Angeles, aber nicht Charlton Heston

Film / Retrospektive / 22. August 2014

Die Siebziger waren eine gefährliche Zeit im Kino. Flugzeuge drohten abzustürzen, U-Boote gingen unter, Wolkenkratzer brannten nieder, Achterbahnen brachen zusammen, Kreuzfahrtschiffe kippten um, am Strand wurde man von Haien weggeknuspert. Manchmal war Charlton Heston dabei, gerne auch George Kennedy – wenn letzterer neben einem im Flugzeug saß, war es sicherlich angeraten, auf dem Boden zu bleiben. Nur daß einen dort flugs ein gewaltiges Erdbeben erwischen konnte, vor dem einen nicht einmal Heston und der Katastrophen-Kennedy zusammen sicher beschützen konnten.

ERDBEBEN erschien 1974, zur schönsten Katastrophenfilmzeit, und er zieht seinen Zusammenbruch von Maschinerie und alltäglichen Vorgängen wie so ziemlich jeder andere solche Genrestreifen auf: Durch das Spektakel führt eine ganze Fußballmannschaft an Stars, mit denen zunächst dramatische Einzelschicksale erzählt werden, bevor das Großereignis dann das eine oder andere Problem in Perspektive rückt. Ein Erdbeben mit 9,9 auf der Richterskala wiegt eben schwerer als ein paar läppische Eheprobleme – auch wenn die betrogene, entfremdete Frau das den gesamten Film über anders zu sehen scheint.

Wo Charlton Heston ist, bleibt die Katastrophe nicht fern.

Über 50 Minuten dauert es, bis der Film in Los Angeles die Wände wackeln läßt – auch wenn vorher schon dräuliche Vorzeichen gesetzt werden. Ein Techniker auf dem Mulholland-Damm fährt mit dem Fahrstuhl in die Tiefe, ein Kollege holt den Fahrstuhl wieder nach oben und wird dann stutzig, daß der mit Wasser und dem ertrunkenen Kollegen gefüllt ist (aber hoffentlich freut er sich, daß die Elektrik trotzdem noch funktioniert). Da werden dann schon mal zwei, drei Spezialisten herangekarrt, die ein bißchen grübeln und zunächst mal festhalten, daß ihnen nichts wirklich Ungewöhnliches am Damm auffällt.

Ein paar Vorbeben gibt es auch, aber die irritieren ebenso kaum jemanden. Wie denn auch, wenn privat alles drunter und drüber geht: Der Ingeniör Stuart Graff (Charlton Heston) – der beste in Amerika, heißt es ein einer Stelle, was auch sonst! – versteht sich nicht mehr mit seiner psychisch labilen Ehefrau Remy (Ava Gardner) und trifft sich stattdessen lieber mit der feschen Schauspielerin Denise (Geneviève Bujold). Allerdings bietet ihm sein Stiefvater Sam (Lorne Greene), der nichts von Stuarts Affäre weiß, eine Beförderung an, und da weiß selbst Charlton Heston einmal drei Minuten lang nicht, was er tun soll. Währenddessen lernen wir auch den Polizisten Lou (George Kennedy) kennen, der gerade suspendiert wurde, weil er auf Verbrecherjagd von nervigen Streifenpolizisten aufgehalten wurde und dem Herrn Kollegen einen Kinnhaken verpaßt hat. Wir wissen natürlich, daß Lou völlig recht hatte und der gesamte Polizeiapparat lernen muß, nicht immer so unlocker zu sein.

Bauingeniör Charlton Heston erklärt seinen Mitarbeitern,
was ein Erdbeben ist.

Diverse Nebenfiguren werden auch noch eingeführt, die so ihr Leben leben, aber dann rummst es gewaltig, und das fast 10 Minuten lang. Zum Kinostart 1974 war die Zerstörungsorgie noch höchst beeindruckend, heute muß sie eher mit zugekniffenem Hühnerauge genossen werden – aber unter Berücksichtigung der damaligen technischen Möglichkeiten ist es schon beeindruckend, wie ausführlich und clever getrickst hier die Stadt dem Erdboden gleichgemacht wird.

Mittendrin sitzt dabei als Gag Knautschgesicht Walter Matthau, der als völlig betrunkener Barbesucher zuvor noch den schwarzen Richard Roundtree mit seinem flammenden Motorradfahreroutfit als „Peter Fonda“ angesprochen hat und jetzt lallend die ganze schöne Katastrophe verpaßt. Im Abspann läßt sich Matthau „Walter Matuschanskayasky“ nennen, wie als Fortführung des Witzes, und lange Zeit grassierte das Gerücht, daß es sich dabei um den Geburtsnamen des Schauspielers handelt.

Wo Fahrstühle versagen, improvisieren Charlton Heston (Mitte links)
und Lorne Greene (Mitte rechts) flugs einen Sessellift.

Mehr wird aber nicht gewitzelt: Immerhin zittern hier Boden und Kamera, und da braucht es gleich mehrere harte Kerle, die die Nerven bewahren und als Alphatiere den hysterischen Statisten und Frauen erklären, was als nächstes zu tun ist. Hestons stoisches Selbstverständnis ist ebenso wie sein Steingesicht so hart, daß man es schon als Ausgleich für den langsam dahinbröselnden Damm betrachten kann. Kennedy tut, was Mann eben tun muß, und hilft den Verwundeten, bevor er sich mit Heston zusammenschließt und wagemutig Verschüttete aus einem unterirdischen Parkgeschoß befreit (zu denen praktischerweise sowohl Stuarts Frau wie auch dessen Geliebte gehören). Oben im Hochhaus sitzt derweil Lorne Greene, ernst und pragmatisch wie auf der Ponderosa, und seilt die viel jüngeren, aber orientierungslosen Kollegen mit einer Konstruktion aus Feuerwehrschlauch und Strumpfhose über die zerstörten Treppenhäuser ab.

Während Moses, Joe Patroni und Commander Adama da also Ordnung ins Chaos bringen, spielen sich auch im Nebencast dramatische Szenen ab. Die junge Rosa (Victoria Principal, mit einem gewaltigen Afro) wird von der Nationalgarde als Plünderin gefangengenommen, weil sie sich einen Doughnut gemopst hat. Sie trifft auf Jody (Marjoe Gordner), den sie als Kassierer aus dem Supermarkt kennt. Jody ist aber Reservist und nun Oberbefehlshaber der Truppen. „Can I go home now?“, fragt Rosa ihn – sicherlich eine der entzückendsten Dialogzeilen im gesamten Film. Jody ist aber psychisch nicht hundertprozentig ausgeglichen: Er erschießt seine drei WG-Mitbewohner, die ihn zuhause immer als Schwulen gehänselt haben (weil er Bilder von Bodybuildern an der Wand hängen hat), und macht sich lüstern an Rosa heran, der er erklärt, daß er sie mag, weil sie sich im Supermakt nicht immer so beschwert hat wie all die anderen Weiber. Da Rosa eher auf Distanz geht, werde ich den Spruch nicht in mein Repertoire aufnehmen. Sie wird dann von George Kennedy gerettet, und weil sie weint, schenkt er ihr einen kleinen Hund. Alles wird gut.

George Kennedy rettet die hübsche Victoria Principal und ihre Frisur.

Es soll nicht verschwiegen bleiben, daß ERDBEBEN zu den großen Klassikern meiner Kindheit gehört. Ich war wohl noch nicht einmal 10, als ich den Film zum ersten Mal sah, und ich habe ihn mir als Videoaufzeichnung noch diverse Male angeschaut – und dann erst jetzt wieder, fast 30 Jahre später. Damals haben mich die dunklen Vorboten noch recht aufgeregt, das Spektakel war dann beeindruckend, das Privatdrama eher vernachlässigbar. Daß Sam, also Lorne Greene, im Laufe der Handlung einen Herzinfarkt kriegt, fand ich sehr traurig – wahrscheinlich, weil mir meine Eltern erklärten, daß das Lorne Greene ist, und ich ihn ja höchstselbst schon aus KAMPFSTERN GALACTICA kannte. Am nervenaufreibendsten fand ich eine Szene, in der viele Menschen während des Erdbebens in einen Fahrstuhl drängen, der dann mit ihnen in den Tod stürzt – und das, obwohl mir schon seinerzeit auffiel, daß das Blut einfach nur ins Bild hineingepinselt wurde. Matthau war auch damals schon lustig; gemerkt habe ich mir hauptsächlich noch das Ende, wegen dem ich schon seinerzeit mit den Augen gerollt habe – Vorsicht Heckspoiler: Charlton Heston springt seiner entfremdeten Frau in die Fluten hinterher und beide gehen unter. Die nette Geliebte guckt von oben zu. Und George Kennedy schaut nachdenklich.

Und heute? Im Großen und Ganzen stimmen die Beobachtungen noch mit denen von früher überein: Das Drama ist eher hölzern und plump, aber das Spektakel ist sehenswert. Mehr als damals sehe ich, wie der Film noch mit ganz traditionellen Heldenfiguren agiert: Da kann noch so viel Unheil passieren, ein Kerl wie Heston reißt sich zusammen und fungiert als Orientierungsperson (im Vergleich sei Spielbergs KRIEG DER WELTEN empfohlen, wo Strahlemann Tom Cruise der Katastrophe einfach nie gewachsen ist). Und auch wenn das Ende immer noch zum Stirnklatschen anregt, kann ich den Versuch respektieren, einen Katastrophenfilm nicht mit dem obligatorischen Happy-End zu versehen – das ja immer ein wenig problematisch ist: Tausende tot, aber der Held lebt!

Wie Tick, Trick und Track schwimmen auch Charlton Heston
und George Kennedy aus Idealismus.

Gealtert sind dafür die Spezialeffekte: Die Miniaturen sehen doch mitunter, hm, recht historisch aus. So schlage ich ERDBEBEN als einen der wenigen Filme vor, bei denen ein Remake durchaus Sinn machen würde: Mit der Tricktechnik von heute wäre ein packendes Update möglich – bei dem dann auch gleich die Geschichten drumherum etwas interessanter gestaltet werden können. Wobei eher zu befürchten wäre, daß das Erdbeben zwei Minuten nach Start losgeht und man dann erst im Abspann sieht, welche Darsteller vielleicht zu erspähen gewesen wären. Aber falls die Kamera zu wacklig wird und man nicht ganz sicher ist, wann grad Erdbeben ist und wann nicht, bleibt uns ja noch die charmante Version von 1974.

 

Erdbeben (USA 1974)
Originaltitel: Earthquake
Regie: Mark Robson
Buch: George Fox, Mario Puzo
Kamera: Philip Lathrop
Musik: John Williams
Darsteller: Charlton Heston, Ava Gardner, George Kennedy, Lorne Greene, Geneviève Bujold, Richard Roundtree, Marjoe Gortner, Barry Sullivan, Lloyd Nolan, Victoria Principal, „Walter Matuschanskayasky“ (= Walter Matthau), Donald Moffat

Das Poster wurde von der Seite impawards.com gemopst, die Bilder von cinema.de.






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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