OHNE KRIMI GEHT DIE MIMI NIE INS BETT: Von Beziehungsbrüchen und Ersatzbefriedigungen

Film / Retrospektive / 25. April 2014

Es ist eines der einprägsamsten und gleichzeitig ernüchterndsten Beziehungsbilder des klassischen deutschen Schlagers: Die lesebesessene Ehefrau geht jeden Abend pünktlich um halb zehn ins Bett, um sich ihren geliebten Krimis zu widmen, und dem vernachlässigten Ehemann bleibt nur der Suff. „Mimi hat den Krimi und die Interpol, und ich den Alkohol“, konstatierte der Amerikaner Bill Ramsey in seinem mit hübsch gerolltem „r“ vorgetragenen Song, und mittendrin ist noch der vielleicht viel größere Vorwurf, daß Mimis Lektüre nicht nur wegen brennender Nachttischlampe den Schlaf stört, sondern auch statt der Bildung die pure Ersatzlust zum Ziel hat: „Keinen Goethe, keinen Schiller holt sie aus dem Schrank heraus / Nein, einen superharten Thriller sucht sich Mimi aus“. Da soll noch einer behaupten, im Schlager würden keine Tragödien behandelt werden.

Was hat dieses heiter besungene Ehedrama nun mit dem gleichnamigen Film von Österreichs vielleicht fleißigstem Unterhaltungsfilmer Franz Antel zu tun? Ganz einfach: In der – seien wir großzügig: – Rahmenhandlung klagt Ramsey als frustrierter Ehemann im Playback sein Leid, während Ehefrau Edith Hancke es sich im Bett mit ihrem neuen Buch bequem macht. Die eigentliche Handlung des Films ist gewissermaßen die Bebilderung ihrer Lektüre, und es ist wohl kaum zuviel verraten, daß es sich bei OHNE KRIMI GEHT DIE MIMI NIE INS BETT keinesfalls um einen „superharten Thriller“ handelt, sondern um ein kleines Schlagerlustspiel. Der Verdacht liegt nahe, daß die Geschichte – ein Remake des 1936 entstandenen Films DIE LEUTE MIT DEM SONNENSTICH – zunächst ohne die erzählerische Klammer entstand und dann angesichts des Erfolges von Ramseys einige Monate zuvor erschienenen Single flugs erweitert wurde.

In gewissem Sinne paßt das Liedchen um die Ersatzbefriedigung aber zum Prozedere der tatsächlichen Story, in der viele Menschen ganz im Sinne des Wirtschaftswunders in Italien Urlaub machen und sich dabei im Frust der unerfüllten Wünsche verheddern – allen voran die fesche Stewardess Barbara Holstein (Karin Dor), die mit ihrem Liebhaber, dem Ingenieur Michael Lutz (Peter Vogel), alleine auf die kleine Isola Piccola gefahren ist. Sie möchte gerne von ihm einen Heiratsantrag bekommen, er dagegen interessiert sich primär für’s Angeln: Da muß man kein Experte darin sein, wie der kreuzbrave deutsche Unterhaltungsfilm Themen der Sexualität codiert, um zu verstehen, wo bei den beiden das Problem liegt. „Vielleicht, wenn du mal einen oder zwei Tage nicht angeln würdest …“, setzt sie an. Er versteht nicht: „Nicht angeln? Deswegen sind wir doch gekommen!“ – „Natürlich, aber vielleicht würdest du dann bemerken, daß du nicht nur mit einer Hausfrau hier bist, sondern auch mit einer Frau.“ Es hilft nichts: Er gibt ihr einen Schmatzer und wirft dann wieder die Angelrute aus. Ja, Bill Ramsey könnte ein Lied singen über soviel Frust – und hat es ja schon zu Filmbeginn gemacht.

Ebensowenig glücklich ist der Nudelfabrikant Keyser (Heinz Erhardt), der mit seiner erwachsenen Tochter Marion (Ann Smyrner) in derselben Region Urlaub macht. Eigentlich wollte Keyser ja ins Luxushotel und dort die üppige Küche genießen, aber das Töchterlein zerrt ihn auf die Isola Piccola zum Zelten. So sehnsüchtig, wie Keyser die ganze Zeit vom Essen schwärmt, gönnt man es ihm von Herzen, daß er irgendwann einen vom Dauerangler Lutz gefangenen und von Hausfrau Holstein zubereiteten Branzino genießen darf. Aber dann wird den Campern die gesamte Ausrüstung geklaut und das Boot untüchtig gemacht, und Keyser muß von leckeren Frühstücksbrötchen träumen.

Ebenfalls Teil von Keysers kleiner Urlaubsgruppe ist Keysers Angestellter Dr. Steffen (Harald Juhnke), den Keyser bislang erfolglos mit seiner Tochter zu verkuppeln versucht hat. Da helfen alle Behauptungen von Naturliebhaberei und Angelerfolgen nichts: Marion ist höchst unbeeindruckt und interessiert sich vielmehr für den schroffen Lutz, der sich eben mit seiner angelunfreudigen Liebsten überworfen hat. Trotz der schäbigen Behandlung kämpft diese aber weiterhin darum, endlich Frau Lutz zu werden – was den Verdacht nur erhärtet, daß da womöglich nicht das gemeint ist, was man glauben könnte.

Weil Lutz aber eher seine Ruhe haben will, heuert er am Festland einen befreundeten Schlagersänger und dessen Band an, daß sie einen Überfall auf die Campinggemeinde vortäuschen, um diese von der Insel zu vertreiben. Dieser Entertainer wird von Gus Backus gespielt, wie Ramsey eigentlich Amerikaner, und schon zu Beginn gibt er dem Duktus des Films entsprechende Begattungslyrik zum Besten: „Mit dir, mit dir möcht‘ ich am Sonntag angeln gehen“, trällert er und flirtet mit einer blonden Zuhörerin, der er wonnige Wohlgefühle in Aussicht stellt – „Und scheint nachher der Mond / Da merkst du, daß sich’s lohnt“. Da haben wir es wieder, das leitmotivische Angelerlebnis.

Der Spaßüberfall läuft allerdings schief, weil im Ort eine Gaunerbande ihr Unwesen treibt, die sich vornehmlich im Eigentumstransfer betätigt. Angeführt wird die Gang von der Frau des Polizeipräsidenten (Vollblutitaliener: Trude Herr und Raoul Retzer), die ihrer Diebesclique (angeführt vom ebenso authentischen Alexander Grill) die entsprechenden Hinweise gibt, wo es etwas zu holen gibt. Für ihre Jungs singt sie schwungvoll den „Tango D’Amore“, und schon wieder geht es um die Ersatzleidenschaft: Bei der besungenen Liebe handelt es sich ums Klauen. „Wenn ich was zum Stehlen sehe, dann erwacht mein Blut, kribbelt’s in den Fingerspitzen mich / Sizilianisch-kleptomanisch wird mir gleich zumut‘, und dann singe ich“, schmettert sie, aber das Vergnügen ist eher kurzer Natur: „Beim Tango D’Amore, das muß man verstehen / Beim Tango D’Amore ist so manches schon geschehen“. Vielleicht muß sie stehlen, weil ihr Mann sich dem Alkohol hingibt und als Polizist nichts taugt – aber eventuell besteht die Kausalität ganz im Sinne des Ramsey-Liedes ja auch genau andersherum. So oder so arrangiert die gute Frau, daß die Musiker für ihren vermeintlichen Überfall auf eine ganz andere Insel gefahren werden (wo sie von wehrhaften Touristen verprügelt werden), während ihre Räuber auf die Isola Piccola fahren, wo sie Keyser und seine kleine Campinggruppe ausrauben.

Das liest sich komplexer, als es in Wahrheit ist: Das bißchen Verwechslungsstory ist ja gewissermaßen in der DNA der deutschsprachigen Komödie zu finden, und die Konstellationen, in denen die erholungswilligen Menschen – ob Angelfreunde oder nicht – agieren, wechseln in höchst gemütlichem Tempo. Hier herrscht eben Urlaub und kein Alltagsdruck: Die Sonne strahlt, das Meer ist blau, Heinz Erhardt witzelt, Karin Dor und Ann Smyrner stehen im Bikini umher, manchmal wird geangelt, dann wieder gesungen. Ganz zum Schluß gehen alle Wünsche in Erfüllung: Lutz heiratet endlich seine Barbara (die zuletzt so strahlt, daß man davon ausgehen kann, daß auch ihr jetzt der Mond aufgegangen ist), Marion kann sich für Dr. Steffen erwärmen (der ihr angesichts ihrer schlechten Manieren mit dem Rohrstock gedroht hat, was in ihr offenbar bislang unterdrückte Wohlfühlphantasien ausgelöst hat), und Herr Keyser darf mit Schreibtisch am Strand endlich wieder seinen Geschäften nachgehen (neben ihm eine junge, leichtbekleidete Sekretärin, die ihn sicherlich auch kulinarisch versorgt). Selbst Mimi steckt ihre Enttäuschung darüber, daß es gar kein Krimi war, bestens weg: „Aber trotzdem schön“.

Natürlich muß Bill Ramsey in der Schlußreprise seines Hits dann doch wieder zum Alkohol greifen. Er ahnt wohl, daß das Beziehungsglück zwischen einem, der gerne angelt, und einer, die gar keinen Fisch mag, endlicher Natur sein kann.

 

Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett (Österreich 1962)
Regie: Franz Antel
Buch: Johannes Kai, Hugo Wiener
Kamera: Hanns Matula
Darsteller: Heinz Erhardt, Karin Dor, Harald Juhnke, Ann Smyrner, Peter Vogel, Trude Herr, Gus Backus, Raoul Retzer, Alexander Grill, Hannelore Auer, Elisabeth Stiepl, Edith Hancke, Bill Ramsay






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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