Expect No Mercy (1995)

Uncategorized / 20. April 2012

Ich gebe es zu: Ich mag Filme, in denen sich harte Kerle den Schädel weichkloppen. Nun sind die schönen Filme der Herren Norris, Dudikoff, Lundgren & Co. ja nur das kleine Einmaleins der toughen Actiongrütze – der wahre Freund muskelbepackter Stoiker und neonfarbener Ballereien pflügt in der Videothek freilich etwas tiefer und fördert unbekanntere Helden zutage. Wie wäre es zum Beispiel mit David Bradley, Olivier Gruner oder Don „The Dragon“ Wilson? Oder, wie im vorliegenden Fall, mit Billy Blanks, dem großen schwarzen Mann, der das Tae-Bo-Training erfunden und in KARATE TIGER 5 als böser Khan eindrucksvoll mit den Zähnen geknirscht hat?

EXPECT NO MERCY heißt der vorliegende Streifen, und abgesehen von Gnade gibt es vielleicht noch ein paar andere Sachen, die man eher nicht erwarten sollte – darunter eine komplexe Handlung, schauspielerische Leistungen, Produktionsaufwand oder große Sinnhaftigkeit. Aber ich verstehe das schon: EXPECT NO GOOD MOVIE würde sich als Verkaufstitel wahrscheinlich nicht so gut machen.

Dabei ist der Streifen sogar ein recht kurzweiliges Vergnügen – wenn man sich für große Jungs begeistern kann, die sich gegenseitig eins auf die Omme hauen. Und zwischendurch auch mal ein wenig schießen und Auto fahren. Worum geht’s nun eigentlich? Ah ja: Der sinistre Herr Warbeck leitet mitsamt seiner Fönmatte ein Trainingsstudio namens „Virtual Arts Academy“, wo Kampfsport nicht nur am lebenden Objekt, sondern auch in einer Virtual-Reality-Umgebung gelehrt wird. Heimlich allerdings läßt er sich und seine Jungs aber auch für Attentate anheuern, und weil er das mit viel Hingabe macht, drängt sich mir der Verdacht auf, daß Mord lukrativer ist als flimmerndes Cybertraining in knallbunten Farben. Jedenfalls wird FBI-Agent Billy Blanks undercover in die Einrichtung geschickt, um sich dort mit einem weiteren Undercover-Agenten zu verbünden und den ganzen Spaß zu stoppen.

Gut, dann reden wir doch mal über den ganzen Computerkram, während die da beschäftigt sind, sich und das Trainingscenter zu demolieren. Weil in den Neunzigern ja „Virtual Reality“ und „Cyberspace“ als große Schlagworte durch die Medien geisterten, griffen natürlich auch motivierte Filmemacher den Gedanken auf und gaben uns Cyberwelten vom RASENMÄHER-MANN hin zu JOHNNY MNEMONIC. Die Virtual-Reality-Sequenzen in EXPECT NO MERCY zeigen Kämpfe vor schlichten Computergrafiken – man stelle sich mal die Hintergründe von Spielen wie WAY OF THE EXPLODING FIST oder INTERNATIONAL KARATE vor, nur nicht so schön, und lasse die in augenfressenden Farben vor sich hinflimmern – und legen, weil es sich ja um futuristischen Kram und so handelt, noch viel Leuchteffekt über die Darsteller. Fast noch schöner ist die einleitende Lektion der beiden Trainer, die als schwebende Köpfe vor einer mit sanftem Welleneffekt präsentierter Berglandschaft salbungsvolle Worte sprechen. Und vergessen wir mal nicht die Computergrafiken von Warbecks Satellitenüberwachung während der Anschläge, wo die Kamera durch blockige 3D-Modelle fliegt, die schon 10 Jahre vorher gar nicht so aufregend gewesen wären!

Macht natürlich gar nichts, weil Billy ja zum Kämpfen gekommen ist und nicht zum Spielen. Vor Ankunft im Trainingscenter macht er aus einem unerfindlichen Grund den Reißverschluß seiner Jacke so weit auf, daß sein blanker Oberkörper darunter schon fast herausfällt, und setzt sich in einem Anfall weiterer Coolness noch das Baseballkäppi verkehrtherum auf. Derart getarnt hält ihn natürlich niemand für einen FBI-Agenten, selbst wenn er unter seinem richtigen Namen eincheckt – zumindest solange, bis er dann halt zusammen mit dem anderen Undercovermann und der Ausbilderin Vicki Warbecks Computerfiles durchsucht und da alle Hinweise auf das große Attentatsbusiness findet. Und neben dem Kampf gegen Warbecks wallendes Wunderhaar und die ganzen Knallchargen muß auch noch ein FBI-Kronzeuge vor den sinistren Burschen beschützt werden.

Vicki zeigt sich dabei natürlich als hochgradig störend – sie mag vielleicht eine Ausbilderin sein, aber versteckt sich beim großen Kampf trotzdem unter dem Wagen und wird dann von Warbecks Henchmen gefangengenommen und außen am Trainingscenter als Köder hingehängt, ohne auch nur einen einzigen bösen Buben erledigen zu können. Billy Blanks ist da schon effektiver und tritt und schlägt und kickboxt und schießt sich seinen Weg durch ein paar Dutzend Untereumel hindurch – darunter auch ein brutaler Böser, der von Billys echtem Bruder Michael Blanks gespielt wird – bis er dann Warbeck höchstselbst von der Verwerflichkeit seines Tuns überzeugen darf. Der andere Undercovermann wird von Jalal Merhi gespielt, der auch produziert hat und deswegen hier nicht minder viele ihn belästigende Burschen beseitigen darf. Merhi kann nicht so gut schauspielern wie Billy Blanks (räusper), aber dafür verkündet er in seiner eigens erstellten IMDB-Biographie, daß er „recognized worldwide as a premiere action-film producer“ sei. Wer möchte, darf per Kommentarfunktion widersprechen – aber fairerweise natürlich erst, nachdem er alle Merhi-Weltklasse-Produktionen hinreichend rezipiert hat.

Am vergnüglichsten an der ganzen Sause ist aber natürlich der Deutsche Wolf Larsen, der als Endboss Warbeck hier die Augen aufreißt, dramatisch herumfuchtelt, und jede seiner Zeilen mit soviel Wucht und Lautstärke betont, als würde er sich bei Shakespeare im Park wähnen. Naja – im Virtual-Reality-Park halt, mit der kompletten Ersatzbank in allen Rollen. Hey, das wäre doch vielleicht ein schöner Alternativtitel: EXPECT NO SHAKESPEARE IN THE PARK?

  
Expect No Mercy (USA 1995)
Alternativtitel: Expect No Mercy – Gnadenlos
Regie: Zale Dalen
Drehbuch: J. Stephen Maunder
Musik: Varouje
Darsteller: Billy Blanks, Jalal Merhi, Wolf Larson, Laurie Holden, Anthony De Longis, Michael Blanks

Hinweis: Die ungeschnittene DVD-Fassung hat keine FSK-Freigabe und ist in Deutschland indiziert. Sie kann über den obigen OFDB-Link bezogen werden.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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