[Film] The Ward (2010)

Uncategorized / 8. Januar 2012

Nach Jahren der Ruhepause erscheint ein neuer Film von Horrorlegende John Carpenter auf der Kinoleinwand: THE WARD. In der in den Sechzigern angesiedelten Spukgeschichte wird eine Brandstifterin in eine Nervenheilanstalt eingeliefert, wo sie von einem umhergehenden Geist heimgesucht wird. Auch die anderen Insasinnen haben offenbar schon Begegnungen mit der Erscheinung gehabt, aber das Personal will davon natürlich nichts wissen … Nach der Sichtung des Films diskutieren Genzels zwei Persönlichkeiten – der Filmliebhaber (Genzel privat) und der Kritiker (Genzel kritisch) – über den Streifen, bevor sie vom Personal wieder aufs Zimmer gebracht werden.

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Genzel (privat): Ein neuer Film von John Carpenter! Ich bin immer noch ganz aufgekratzt!

Genzel (kritisch): Ich auch. Carpenter ist ja nun wirklich ein Regisseur, auf den wir uns beide einigen können. Er bedeutet dir und mir etwas.

Genzel (privat): Aber hallo. Carpenter war der erste Regisseur, den ich bewußt als Regisseur wahrgenommen habe. Natürlich war schon vorher schon klar, daß da jemand den Film leitet: Spielberg, Hitchcock, natürlich. Aber als ich damals – ca. 1994 muß das gewesen sein – diese Reihe mit HALLOWEEN, ASSAULT ON PRECINCT 13, THE FOG und DIE KLAPPERSCHLANGE gesehen habe, hab‘ ich zum ersten Mal verstanden, was für eine starke Handschrift ein Filmemacher haben kann. Die Tatsache, daß er neben Regie und Buch auch noch komponiert hat, hat ihn natürlich nur noch interessanter gemacht. Und nach all diesen vier dichten, spannenden, aufregenden Meisterwerken habe ich mich dann daran gemacht, all seine anderen Filme aufzuspüren und anzusehen. Letzteres immer und immer wieder.

Genzel (kritisch): Das hat ja dann letztlich dazu geführt, daß ich meine Diplomarbeit über das Gesamtwerk von Carpenter geschrieben habe. „The Films of John Carpenter“. Eine umfassende Analyse seiner Filme auf glorreichen 144 Seiten.

Genzel (privat): Anstoß dazu war ja auch dieser alte Artikel in irgendeiner Cinema-Ausgabe, wo Carpenter als ausgebrannt und gescheitert beschimpft wurde …

Genzel (kritisch): … und fast all seine Filme nach der KLAPPERSCHLANGE heruntergemacht wurden. Stimmt. Dabei haben auch viele seiner späteren Filme so viel zu bieten. Und selbst seine nicht gar so gelungenen bieten immer noch viele interessante Aspekte, starke Ideen, gutes Handwerk – und sie passen viel mehr in sein Gesamtwerk, als ihnen zugestanden wird, stilistisch wie thematisch.

Genzel (privat): Die sind alle super. Sogar GHOSTS OF MARS.

Genzel (kritisch): Ah, das sag mal lieber nicht zu laut. Du findest den wirklich gut, oder?

Genzel (privat): Ich finde ihn unterhaltsam.

Genzel (kritisch): Aber du fandest ja auch alle POLICE-ACADEMY-Sequels toll.

Genzel (privat): Jaja, jetzt lenk mal nicht ab. Hier geht’s um Carpenters neuen Film, THE WARD. Immerhin sein erster Kinofilm seit fast 10 Jahren! Abgesehen von den beiden Fernsehepisoden CIGARETTE BURNS und PRO-LIFE war er ja mehr oder weniger im Ruhestand – und nach eigenen Aussagen schwer ausgebrannt.

Genzel (kritisch): Was man den letzten Werken ja auch ein wenig angesehen hat. CIGARETTE BURNS war ein cleveres kleines Horrorspiel, das thematisch perfekt zu seinem immer noch unterschätzten Spätwerk DIE MÄCHTE DES WAHNSINNS paßt (wann kommt da eigentlich endlich eine BluRay?). Aber GHOSTS OF MARS und PRO-LIFE waren doch nur aufgewärmte Genrefilme, eine Neuauflage von allem, was wir schon oft genug von Carpenter gesehen haben. Nur, um es mit Professor Bömmel zu sagen, nicht so schön.

Genzel (privat): Ja nun, sie funktionieren als Genrefilme. Der eine ein augenzwinkernder Science-Fiction-B-Western, der andere ein Horrorspuk im Stil von DIE FÜRSTEN DER DUNKELHEIT. Handwerklich völlig in Ordnung, und mehr wollen die Dinger ja gar nicht sein. Ist ja auch nicht das erste Mal in seinem Leben – denk an seinen TV-Thriller DAS UNSICHTBARE AUGE.

Genzel (kritisch): Der immerhin eine reizvolle Umkehrung von DAS FENSTER ZUM HOF darstellt und nicht Themen durchkaut, die er schon oft genug zuvor behandelt hat.

Genzel (privat): Und wieder weicht unsere Diskussion nach und nach von dem Film ab, über den wir eigentlich reden wollten. THE WARD. War das für dich nicht genauso aufregend, Carpenters Namen wieder einmal im Vorspann eines neuen Films zu lesen? Meine Güte, was hab‘ ich dem Film entgegengefiebert.

Genzel (kritisch): Ja, ich war auch aufgeregt. Aber ich hab‘ versucht, mich da etwas zurückzuhalten. Selbst Carpenter bezeichnet seinen neuen Film erstmal einfach als Fingerübung, mit der er wieder Blut lecken wollte, sozusagen. Er wollte schauen, ob er noch Spaß dran hat, Filme zu machen.

Genzel (privat): Das stimmt und ich glaube ihm das auch. Andererseits paßt die Tiefstapelei aber auch zu einem Mann, der von seinen eigenen Fähigkeiten als Komponist einfach nur sagt, daß er der Billigste sei, den er kriegen könnte. Will sagen: Er würde sich sich eh nie hinstellen und sagen, wie toll der neue Film ist.

Genzel (kritisch): Jedenfalls kann man definitiv sagen, daß der Film zu Carpenter paßt. Es ist ein Carpenter-Film, auch wenn Buch und Musik von anderen stammen. Eine Frau in der Nervenheilanstalt wird von einem Geist heimgesucht: Das ist exakt die Art von isoliertem Setting, in dem er seine Figuren immer wieder gerne aufeinanderprallen läßt. Auch der Einbruch des Übernatürlichen, des „Außer-Gewöhnlichen“ in den Alltag sehen wir hier. Und das Personal der Anstalt, das unsere Heldin unnachgiebig mit Tabletten abfüttert und ihr kaum zuhört: Da steckt wieder dieses tiefe Mißtrauen gegen Autorität drin, das sich durch alle Carpenter-Filme zieht – selbst die untypischen wie STARMAN und JAGD AUF EINEN UNSICHTBAREN.

Genzel (privat): Richtig, richtig. Und weil er das Setting kennt, weiß er auch genau, wie er darin eine spannende Geschichte erzählt. Er läßt die Kamera dezent durch die Gänge kriechen, er baut die Spannungskurve so auf, daß du immer neugierig bist – und gleichzeitig verwendet er in der ersten Filmhälfte recht viel Zeit darauf, unsere Verbindung zur Hauptfigur zu stärken, indem wir ihren Alltag durchleiden müssen. Er setzt ein paar schöne Schockmomente ein und hat den ihm so typischen Rhythmus des Films souverän im Griff.

Genzel (kritisch): Ja, da stimme ich dir in allen Punkten zu …

Genzel (privat): Aber?

Genzel (kritisch): Aber: Wie du schon sagst, kennt er das Setting. Und wir kennen es auch. Die kleine isolierte Gruppe im eingeschlossenen Raum, das hat er doch schon so oft erzählt.

Genzel (privat): Aber noch nicht in einer Nervenheilanstalt, wo einem selbstverständlich niemand glaubt, daß man einen Geist gesehen hat oder daß etwas Merkwürdiges vor sich geht.

Genzel (kritisch): Zugegeben. Unsere Heldin wird damit mehr zur Einzelkämpferin als die Gruppe in Carpenters DIE FÜRSTEN DER DUNKELHEIT, wo ja auch übernatürliche Vorgänge erforscht wurden. Und doch versucht sie dann die anderen Insasinnen zum Team zusammenzuschweißen, um aus der Anstalt zu entfliehen.

Genzel (privat): Das ist wieder das Howard-Hawks-Motiv, von dem du immer redest, oder?

Genzel (kritisch): Jup. Also schön: Das Setting ist nicht wahnwitzig originell, aber hat durchaus einen gewissen Reiz.

Genzel (privat): Und jetzt höre ich wieder ein neues Aber kommen.

Genzel (kritisch): Aber: Trotzdem sticht hier nichts wirklich heraus. Klar ist alles solide gemacht – aber mehr eigentlich auch nicht.

Genzel (privat): Ich gebe ja auch zu, daß ich mir etwas mehr Pfiff erwartet hätte, etwas, das mehr überrascht, begeistert. Aber die Sache nun einfach als „solide“ abzutun, klammert ja die Tatsache aus, daß der Film spannend ist. Er funktioniert.

Genzel (kritisch): Und das, hm – sagen wir mal: – etwas billige Aussehen des Geistes hat dich nicht gestört?

Genzel (privat): Naja. Billiges Make-up hat doch den wunderbaren DIE FÜRSTEN DER DUNKELHEIT für dich auch nicht ruiniert, oder?

Genzel (kritisch): Mmmmmmmmmmmmmmmhhhhhhhhhhhhhrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrnein. Nicht wirklich. Aber schöner wär’s trotzdem ohne diese Pizzamasken.

Genzel (privat): Reden wir doch mal über das, was am auffälligsten enttäuscht. Der Schluß.

Genzel (kritisch): Ja, aber den können wir ja nun nicht verraten.

Genzel (privat): Dann sagen wir doch einfach mal: Wir haben ihn schon einmal gesehen. In einem schönen Genrefilm aus den 2000er-Jahren.

Genzel (kritisch): Natürlich. Aber ziehen wir die Frage mal so auf: Wäre der Schluß besser, wenn du besagten Genrefilm nicht schon kennen würdest?

Genzel (privat): Puh. Gute Frage. Dort habe ich die Auflösung immerhin als ganz clever empfunden, auch wenn sie gleichzeitig ein gewisser „letdown“ war.

Genzel (kritisch): Sind das nicht 95% aller Twists bei Tageslicht betrachtet?

Genzel (privat): Vor allem, wenn sie dir … hm, wie sage ich das jetzt, ohne den Schluß zu verraten? Vor allem, wenn sie dir verklickern, daß du dich gar nicht um das Schicksal gewisser Figuren hättest kümmern müssen.

Genzel (kritisch): Also wäre hier die Auflösung ebenso eine gewisse Enttäuschung, wenn du sie nicht schon woanders zuerst gesehen hättest. Die Frage ist: Wäre eine „gerade“ Auflösung ohne Twist besser? Held lebt, das Böse ist besiegt, alles wird gut – bis auf den obligatorischen Hinweis zum Schluß, daß das Böse irgendwann zurückkehren wird?

Genzel (privat): Schöner wäre doch gewesen, wenn die Grenzen zwischen Realität und Wahrnehmung so weit verschwommen wären, daß du auch als Zuseher nicht mehr sicher weißt, wo du stehst. Wie es DIE MÄCHTE DES WAHNSINNS ja auch schon gemacht hat, und wie es sich bei dem Setting mit der Nervenheilanstalt ja auch angeboten hätte.

Genzel (kritisch): Mensch! Aus dir wird ja noch mal ein richtiger Kritiker!

Genzel (privat): Deswegen weise ich auch gleich nochmal ganz unkritisch darauf hin, daß ich meinen Spaß hatte. Amber Heard spielt prima, Jared Harris als Arzt ist super – will der ihr helfen oder hat er etwas zu verbergen? Mit dieser Frage bietet der Film ja überhaupt einen schönen Überraschungsmoment.

Genzel (kritisch): Stimmt natürlich. Und überall sind Kleinigkeiten drin, die fein gemacht sind. Sieh dir ganz am Anfang die Einstellung an, wo Amber Heard ein Streichholz anzündet, und du glaubst, daß sie im Wald steht – und dann geht die Kamera zurück und wir sehen, daß sie am Fenster eines Hauses steht, das sie gerade in Brand steckt. Das ist schön und ganz schnörkellos erzählt.

Genzel (privat): Tja. Bei aller Kritik bleibt Carpenter unser Held. Oder?

Genzel (kritisch): Immer. Aber wir sind halt auch im Prinzip genau die Falschen, die sich über den Film unterhalten. Wir lieben Carpenter einfach viel zu sehr.

Genzel (privat): Oder wir sind genau die Richtigen, weil wir uns so intensiv mit ihm beschäftigt haben und es auch immer noch tun.

Genzel (kritisch): Mh-mh. Möglich.

Genzel (privat): Und schauen wir uns den Film nochmal an?

Genzel (kritisch): Wir schauen uns alle Filme nochmal an.

Genzel (privat): Aber die von Carpenter am allerliebsten.

The Ward (USA 2010)
Regie: John Carpenter
Buch: Michael Rasmussen, Shawn Rasmussen
Kamera: Yaron Orbach
Musik: Mark Kilian
Darsteller: Amber Heard, Mamie Gummer, Danielle Panabaker, Laura-Leigh, Lyndsy Fonseca, Jared Harris, Mika Boorem

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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