FilmRetrospektive

GIB GAS – ICH WILL SPASS: Mit Nena und Markus durch das bayrische Hinterland

Allein das Plakat ist brillant: Da wird die laut lachende Nena vom bekleidet in der Badewanne liegenden Neue-Deutsche-Welle-Posterboy Markus naßgespritzt, und der Schuß Erotik, der durch das nasse Shirt entsteht, ist in seinem Ausmaß den winzigst klein gedruckten Songtiteln ebenbürtig, die unter den majestätisch thronenden Namen der Stars die letzten zwei unwissenden Kinogänger darüber aufklären sollen, woher man diese beiden quietschfidelen Nachnamenlosen eigentlich kennen könnte. Und dann natürlich der Filmtitel: Ebenso sinnfrei wie das Motiv selbst, aber nicht nur dank der Verwendung des Titels von Markus‘ größtem Hit „Ich will Spaß“ eine perfekte Evozierung des Geists der Neuen Deutschen Welle, wo Reim und Laune ja gerne vor Inhalt und Grüblerei gewichtet waren. Höchste Zeit, diesem deutschen Kinoknüller hier die Ehre zu erweisen.

Spannender als die Story von GIB GAS – ICH WILL SPASS ist zunächst einmal die Entstehungsgeschichte des Films. Das Projekt wurde initiiert von Regisseur Wolfgang Büld (der zuvor diverse Filme rund um das englische Punk-Phänomen gedreht hat, darunter die Doku PUNK IN LONDON und den Spielfilm BRENNENDE LANGEWEILE) und seinem Geschäftspartner Georg Seitz, die sich beide für die Anfang der 80’er aufkeimende neue deutsche Musikszene interessierten und den Entschluß faßten, mit einigen Protagonisten der Neuen Deutschen Welle eine Art Neuen Deutschen Schlagerfilm zu inszenieren – ganz im Stil des altdeutschen Kinos, wo Peter und Conny ja mehr durch die ständigen Musikeinlagen als durch eine komplexe Handlung zusammengehalten wurden. Auch bei Elvis hat das Rezept ja so funktioniert.

Büld und Seitz hatten also ein Auge auf Stephan Remmlers Formation Trio geworden und für Nebenrollen Extrabreit, Markus und Nena vorgesehen – wobei letztere noch ganz am Anfang ihrer Karriere stand, im Büro von Jim Rakete jobbte und für Spliff die Fanpost beantwortete. Sie schrieben eine ironische Verwechslungskomödie namens DA, DA, DA, DIE SCHULE BRENNT, in der Trio in einer Doppelrolle auftauchen sollten: Als Lehrer und als Insassen einer Irrenanstalt, die dann verwechselt werden. Das als augenzwinkernde Parodie auf die deutschen Musikfilme angelegte Projekt mußte dann aber kurz vor Start abgeblasen werden, als Trio sich auf ihre Albumaufnahmen konzentrieren wollten und ausstiegen. Büld und Seitz mußten also ihr Skript verwerfen und von vorne anfangen. (Das Skript wurde dann von Atze Brauner aufgekauft und war die Grundlage für den 1983 erschienenen Film PLEM, PLEM – DIE SCHULE BRENNT von Sigi Rothemund; Trio spielten 1985 doch noch die Hauptrolle in einem Film namens DREI GEGEN DREI, der von Dominik Graf inszeniert wurde.)

So strickten die beiden Autoren also eine komplett neue Geschichte rund um Nena und Markus – eine kleine Liebesgeschichte, aufgezogen quasi als deutsches Roadmovie, wo es statt der eindrucksvollen Weiten des amerikanischen Westens eben eine Reise mit Moped, Bus und Zug durch die Jahrmärkte, Hotels und Waldhütten des bayrischen Hinterlandes gab, die dann auch ganz im Stil der früheren deutschen Singspiele im schönen, romantischen Venedig endete. Neben einem Gastauftritt für die Gruppe Extrabreit sollte es auch noch eine Rolle für Falco geben, der mit der Single „Der Kommissar“ schon höchst erfolgreich war. Der Wiener Exzentriker sagte auch zunächst zu – bis er dann im ZDF einen Auftritt von Nena sah und mit dem Hinweis aus dem Projekt ausstieg, daß ihm die da herumhüpfende junge Frau zu peinlich war, um mit ihr in einem Film aufzutreten.

Aufgrund des Zeitdrucks – Drehstart war im Oktober 1982, die Veröffentlichung war vom Verleiher Constantin aber schon für Februar 1983 angesetzt! – gestalteten sich die Dreharbeiten auch entsprechend chaotisch: Es existierte kein fertiges Skript; stattdessen hangelten sich Büld und Seitz an einem besseren Treatment entlang und schrieben den Film während des Drehs weiter. Dazu kam, daß Nena plötzlich mit ihrer Single „Nur geträumt“ durchstartete und während der kurzen Drehzeit auch noch Zeit im Studio verbringen mußte, um ihr erstes Album fertigzustellen – dessen Songs sie dem Drehteam nach und nach zeigte, damit die dann auch in den Film eingebaut werden konnten. Am Ende der Drehzeit, erklärt Büld in einem Interview, war Nena so populär geworden, daß die Leute sich nicht mehr fragten, wer denn das Mädchen neben Markus war, sondern sich eher wunderten, wer der Junge neben Nena sei.

Mit all diesem Hintergrundwissen bewaffnet können wir uns also nun endlich in das Zeitgeist-Spektakel stürzen, das auch gleich damit losgeht, daß Markus auf einem Motorroller zu den Klängen seiner Hitsingle „Ich will Spaß“ durch München braust, am Odeonsplatz vorbei, durch die U-Bahn-Station Münchner Freiheit und über den Viktualienmarkt, wo er einen kleinen Herrn mit Brille in einen Eierstand schubst (der ortskundige Münchner darf gerne versuchen, seine Route in exakter Reihenfolge nachzufahren). Markus‘ Outfit – Fliegerkappe, rotgetönte Schutzbrille, weißes Hemd, graukariertes Sakko und kurze Hose – ist dabei nur marginal lustiger als folgende Textzeile: „Und kost’s Benzin auch 3 Mark 10 – scheißegal, es wird schon gehen“. Umgerechnet wären das € 1,585, was heutzutage wohl fast als Billigtanken gewertet werden darf.

Nach flottem Schnitt lernen wir im Gymnasium Nena als Schülerin Tina kennen, die ihrer Freundin Conny (Cornelia Kraus, die damalige Freundin von Co-Autor Georg Seitz) gerade von einem duften Typ erzählt, den sie auf dem Rummelplatz erspäht hat. Dann kommt Markus ins Klassenzimmer – es stellt sich heraus, daß er unter der Fliegerkappe auch noch rotgefärbte Haare hat und Robby heißt – und Tina zerkugelt sich über sein Aussehen. Eine durchaus verständliche Reaktion, obwohl sie selbst hier nicht minder Opfer der Achtziger ist: Zur Jeansjacke (mit am Revers angebrachtem Silberstern) und Strubbelfrisur gibt’s einen türkisen und einen pinkfarbenen Schal. Später trägt sie weitere Wonnestücke der Dekade: Einen roten Strickpulli im XXL-Design, türkisfarbene Strumpfhosen, rote Miniröcke, oder auch mal ein ärmelloses weißes Plüschtop mit Rolling-Stones-Zunge darauf.

Noch wunderbarer sieht eigentlich nur Mitschüler Andy aus, mit dem sich Robby sogleich anfreundet: grüngefärbte Haare, mit Buttons behangene braune Lederkutte, Nietengürtel, und eine rot-schwarz gestreifte Hose. Andy – der vom Münchner DJ Peter Lengauer gespielt und von Martin Semmelrogge synchronisiert wird – findet alles „block“, was – wie ich meine jüngeren Leser aufklären möchte – das exakte Gegenteil von „knorke“ ist.

Robby und auch Andy finden Nena, bzw. Tina, natürlich sehr süß, aber die ist ja an Tino vom Rummelplatz interessiert. Auf der Straße schwärmt sie Conny von Tinos Qualitäten vor: „Das is‘ nich‘ so’n Pipijunge, der nur seine Mofas und Klassenarbeiten im Kopf hat“. Prompt kommt Tino auch mit dem Cabrio angefahren: Es ist Enny Gerber von der Gruppe Morgenrot, der mit Travolta-Grinsen, Fönfrisur, Nackenmatte und roter Zuhälterjacke Tina in Entzücken versetzt. Tino ist so cool, daß sein Auto sogar ein Frankfurter Kennzeichen trägt.

Mit so viel Exposition im Rücken ist es ja nun allerhöchste Zeit, daß endlich einmal gesungen wird. Das passiert auch gleich, nachdem Robby Tina am Rummelplatz keck angesprochen hat („Zwei Currywürste mit Pommes, bitte“ bestellt er feixend bei der Tombolalose verkaufenden Tina, die sich sehr amüsiert zeigt ob des pffifigen Schmähs) und trotz Teddybärenhauptgewinn ganz block bei ihr abblitzt. Den Frust kanalisiert Robby also in die Darbietung der Nummer „Ich bin heut‘ böse“, in der er polternd über den Kirmes läuft und intoniert: „Ich bin heut‘ böse, ich haß die ganze Welt / bin ziemlich sauer, was habt ihr angestellt?“ Schönster Moment der Sequenz ist ein junges Mädchen in einem Karussell, das Markus‘ emotionalen Ausbruch mit einem Gesichtsausdruck verfolgt, der zwischen perplexem Staunen und erstarrter Angst pendelt.

Zum Glück gibt es sogleich besänftigendere Klänge, als Tina am nächsten Tag wieder zu ihrem Tino radelt: Da singt sie nämlich den Song „Nur geträumt“. Tino wartet am Rummelplatz auch schon auf sie, und singt dann für sie „Wenn du willst“ im Autoskooter. Wem diese Szenen zu banal gestaltet sind, darf sich in Erinnerung rufen, daß im Entstehungsjahr des Films MTV gerade mal ein Jahr alt war – und es noch 5 Jahre dauern sollte, bis dessen Programm auch über Europa hereinbrach. So war es 1982 also durchaus aufregend, Nena einen Song lang beim Radfahren entlang der Isar zuzusehen, oder sie und Enny Gerber lachend auf dem Rummel zu beobachten. Stars zum Anfassen! Bewegte Bilder! Nur im Kino!

Tinos Nummer wird aber prompt ein jähes Ende bereitet, weil seine Chefin offenbar keine Freundin der Neuen Deutschen Welle ist: Nach nur 58 Sekunden Song pfeift sie den jungen Mann zusammen und feuert ihn. Tino beschließt daraufhin, die Stadt zu verlassen und zu einem anderen Rummel zu fahren. Weil Tina ihn so richtig lieb hat, ist sie nach kürzester Zeit bereit, die Schule zu schmeißen und ihm zu folgen. Nachdem sie aber nach Hause gefahren ist, um ihre Sachen und ihren Hund zu holen, und zum Kirmes zurückkehrt, ist Tino weg: Schuld daran war ein an ihr Fahrrad angekettetes anderes Fahrrad sowie zwei Polizisten, die ihren Versuch, das Schloß aufzubrechen, als Fahrraddiebstahl mißverstanden haben (als Tinas Vierbeiner die beiden Beamten protestierend ankläfft, weist der ältere der beiden seinen jüngeren Kollegen an: „So nehmen Sie doch den Hund fest!“).

Zum Glück ist aber Robby auf dem Rummelplatz – mittlerweile mit gelbem Hemd. Tina säuselt ihn also sogleich an, daß sie mit ihm abhauen möchte, wo er doch so ein schmuckes Mofa hat, und ist prompt beleidigt, als Robby Bedenken wegen der Schule äußert. Aber wer kann schon Nena schmollen sehen? Robby läßt sich also breitschlagen, Tina drückt dem zufällig vorbeilaufenden Andy flugs Fahrrad und Hund in die Hand, und dann – wie der Amerikaner sagen würde – schlagen die beiden die Straße. Tina gibt den Kurs vor, und Robby weiß natürlich gar nichts von Tino, weswegen er frohen Mutes die Single „Dampfer dampfen auf See“ in die Landschaft schmettert. Mitsingen! „Dampfer dampfen auf See / Flieger fliegen hoch im Himmel / Wir woll’n mit, wollen mit / Heimat, du mußt auf uns warten“. Wobei der Beginn der zweiten Strophe eigentlich fast noch schöner ist: „Wir seh’n die Russen / Dort sind Japaner / Winke, winke / Hey, ihr Schweden“. Wahrlich, wahrlich: Völkervereinigung ohne Vorbehalte.

Nach dem Gesang wird es dann auch schon dunkel, und Robby müht sich vergeblich ab, ein kleines Zelt auf der Wiese aufzubauen. Tina zeigt sich dabei höchst hilfreich: Sie nörgelt, lacht ihn aus, und fährt dann mit seinem Mofa zu einem nahegelegenen Rummelplatz, den sie plötzlich erspäht. Dort findet sie Tinos Wagen, aber keinen Tino – dafür wird sie von einer finsteren Rockerbande angemacht, die schnell zudringlich werden. Glücklicherweise kommt just in diesem Moment der Hubschrauber der Gruppe Extrabreit vorbeigeflogen – bzw. der Superheldenvereinigung „Die Phantastischen Fünf“, die die Situation schnell erkennen, auf dem Rummel landen (die Rocker sind vor Angst wie erstarrt und warten ab) und sich zu den Klängen der Single „Superhelden“ vor den Rabauken aufbauen. „Okay, Gesichterassis. Jetzt trollt euch. Fahrt noch’n bißchen Geisterbahn“, empfiehlt der Anführer der Phantastischen Fünf den Rockern, die sich sogleich schlotternd vom Acker machen.

Vergessen wir aber bei all dieser Aufregung Robby nicht, der mittlerweile schon auf dem Rummelplatz nach Tina sucht und dabei Tino trifft, der mit neuer Frau im Arm liebe Grüße ausrichtet und bestellen läßt, daß er als nächstes nach Füssen fahren wird. Nachdem Tino weggebraust ist, findet Robby Tina und flüchtet mit ihr vor den vermeintlich zurückkehrenden Rockern – die sich aber nur als Hare-Krishna-Anhänger herausstellen. Zuflucht finden die Beiden in einem parkenden Lieferwagen, dessen Fahrer von Karl Dall gespielt wird. Der lehnt das Buch ab, das ihm die Krishnas schenken möchten („Ein Buch? Ich hab‘ doch schon ein Buch! Da brauch‘ ich ja bald ein Regal!“), fährt dann mit unseren frierenden Singstars im Frachtraum fort und empfiehlt beim nächsten Halt Robby und Tina das nette Hotel, vor dem er parkt („Die haben sehr schöne Zimmer, da kann man sogar das Fenster zumachen: Sturmfreie Bude!“). Ich räume an dieser Stelle ein, daß ich vielleicht der Einzige bin, der sich bei so schönen Achtziger-Kalauern regelmäßig und begeistert vornimmt, sie in den alltäglichen Sprachgebrauch einzupflegen.

Leider ist in dem schönen Hotel aber nur noch ein Zimmer mit Einzelbett frei, weswegen sich Tobby und Tina eng aneinanderkuscheln müssen. Die zaghaften Flirtversuche des schüchternen Robby ignoriert Tina dabei weitestgehend (z.B. die Hand, die er ihr unter das Oberteil zu schieben versucht) und verkündet lauthals gähnend, daß sie jetzt total müde sei. Nach nur wenigen Sekunden Schlaf wirft sie sich dann laut stöhnend durchs Bett, woraufhin Robby von der Matratze fliegt. Er sucht also Zuflucht im Bad, wo er sich in die Wanne legt. Als ihn Tina morgens so vorfindet und auslacht, findet exakt die Situation statt, die wir schon auf dem Filmplakat sehen konnten. Man möchte gar nicht wissen, wieviele arme pubertierende Jugendliche nach übermäßigem Konsum dieses Films verzweifelt versucht haben, ihre Angebeteten durch Naßspritzen zum Lachen zu bringen.

Beim Frühstück erfährt Tina endlich von Robby, daß Tino Richtung Füssen unterwegs ist, und möchte ebenfalls dorthin. Robby dagegen erklärt, daß sie, wenn sie sich beeilen, noch rechtzeitig zur vierten Stunde zurück in der Schule sein könnten. Das paßt natürlich nicht in Tinas Pläne, und nachdem sie sich erfolglos an einen Fernfahrer herangeschmissen hat, versucht sie, Robbys Mofa zu klauen, während der mit Bezahlen beschäftigt ist. Robby rennt ihr aber hinterher und schubst sie vom fahrenden Mofa, das dann knirschend unter die Räder eines eintrudelnden Reisebusses gerät – dessen Fahrer ebenso von Karl Dall gespielt wird. Robby schmollt kurz, wird dann aber von Tina dahingehend überzeugt, daß er ja eigentlich selber schuld ist an dem ganzen Schlamassel. Der Verdacht drängt sich auf, daß es eventuell sehr anstrengend sein könnte, eine Beziehung mit Tina zu führen.

So reisen die beiden also per Bus weiter. Der ist bestückt mit vielen alten Damen, die sich gerne von Robby mit seiner Single „Schön sind wir sowieso“ unterhalten lassen und dabei auch motiviert mitschunkeln. Und natürlich denkt dabei wieder keiner an den armen Busfahrer, der sich tagein, tagaus jeden Lärm von den Fahrgästen gefallen lassen muß! Aber Karl Dall sorgt flugs für Programmänderung: Er parkt den Bus und startet ein kleines Quiz. „Wo befinden wir uns hier?“ „Na, im Bus!“, ruft Robby nach vorne. Karl Dall nickt und verkündet den Preis: „Sie dürfen die nächsten dreißig Kilometer dieses Fahrzeug lenken“. Was Robby dann auch brav macht.

Die Zeit nutzt der gute Busfahrer, um ein wenig zum kommerziellen Teil der Kaffeefahrt zu kommen: Er preist eine Heizdecke an, die er auch sogleich einem älteren Herrn in der ersten Reihe zu Testzwecken über den Schoß legt. Leider hat die Decke einen Kurzschluß, und Dall nimmt dem regungslosen Herrn 250 Mark aus der Brieftasche.

Unterdessen erspäht Tina am Straßenrand Tinos geparkten Wagen, in dem ein knutschendes Pärchen sitzt! Sie schafft Robby an, den Bus anzuhalten, und rennt zu Tinos Cabrio – in dem aber ein ganz anderer Kerl sitzt, der wohl nur zufällig beim selben Ausstatter wie Tino einkauft. Zum Glück kennt der Unbekannte aber Tino und erklärt, daß es sich eigentlich um sein Fahrzeug handelt, das er Tino jetzt abgekauft hat. Tino dagegen wird von einem 60km entfernten kleinen Flugplatz in der Nähe von Birnau Richtung Italien starten. Da besteht natürlich Handlungsbedarf! Tina klaut einem geschleckten Surfer (Co-Autor Georg Seitz!) an einer Tankstelle kurzerhand den Jeep und braust los. Dabei sammelt sie noch den am Straßenrand stehenden Robby ein (der wohl seine dreißig Kilometer Busfahrt jetzt fertig absolviert hat), der sie nach dem Losfahren fragt: „Sag mal, kannst du überhaupt Auto fahren?“ – woraufhin sie antwortet: „Ne, du?“ Ich hege langsam den Verdacht, daß Tina nicht die Allerhellste ist.

Robby und sie brausen also Richtung Flughafen, und Robby singt dabei noch einmal „Ich will Spaß“ – weil es so schön paßt. Als sie am Flugplatz ankommen, ist Tino leider schon in der Luft – aber Tina kann über den Tower Funkkontakt mit ihm aufnehmen und verabredet sich mit ihm für den nächsten Tag: Venedig, Markusplatz, 11 Uhr. Das hebt Tinas Stimmung wieder: Sie tanzt über den ganzen Flugplatz und singt Robby, der von der Tino-Verfolgung immer noch nichts mitgekriegt hat, das schöne Lied „Ganz oben“ vor – ihm und ein paar herumstehenden Mechanikern, deren Gesichtsausdruck offen läßt, ob sie die gute Frau ohne den Gesang vielleicht noch viel netter fänden. Während sie – um es mal neudeutsch zu sagen – performt, taucht übrigens Karl Dall als betrunkener Pilot auf, der das Flugzeug startet, auf dessen Tragfläche Tina gerade sitzt. Dabei wird ihr Rock in der Krügerklappe (ja, da staunt ihr!) eingeklemmt, während Karl Dall jammert: „Ich krieg‘ mein Ding nicht hoch!“ Zum Glück kann Robby sie retten, und dann sitzen beide einträchtig auf der Startbahn und rauchen auf den Schreck erstmal eine.

Weil Tina ja nun nach Venedig muß, traben die beiden also als nächstes im Wald an den Schienen entlang (wollen sie einen Zug anhalten oder doch zu Fuß über die Alpen?). Weil es schlimm regnet, suchen sie in einer Jägerhütte Zuflucht, wo sie ihre nassen Sachen ausziehen und sich dann endlich mal küssen. Nach drei- bis fünfmaligem Küssen unter fortwährender Demolierung der Hütte (weil die beiden dauernd versehentlich Regale umwerfen und Gegenstände vom Tisch fegen) liegen sie übereinander, und dann geht Tina vor die Tür und sieht sich die Sterne an, bevor sie wieder reingeht und mit Robby zusammen das Duett „Kleine Taschenlampe, brenn“ singt: „Kleine Taschenlampe, brenn / Schreib ‚Ich lieb dich‘ in den Himmel / Oh, dann weiß ich es genau / Keine Macht kann uns mehr trennen“. Ehrlich: Fast so schön wie Sex.

Aber, auweh, nach der trauten Zweisamkeit bahnt sich die Enttäuschung an, obwohl Tina Robby zunächst noch sehr poetisch erklärt, warum sie sich in ihn verliebt hat: „Mich hat alles angekotzt. Mir ging’s ganz schön doof, ne. Und dann warst du auf einmal da“. Aber dann verkündet Tina, daß sie ja jetzt gar nicht mehr Tino hinterherzureisen braucht, woraufhin Robby erst versteht, was denn eigentlich Sinn der ganzen Aufregung war. Er kommt sich also ein wenig ausgenutzt vor, und freilich fühlen wir mit ihm. Er rennt also aus der Hütte und läßt Tina zurück, die nach kürzester Zeit Besuch von einem eher lüstern anmutenden Förster bekommt, der vom Regisseur höchstselbst gespielt wird. Der gute Mann will es sich auch gleich mit ihr gemütlich machen, aber Tina rennt Robby zum nächsten Bahnhof hinterher, und dann sehen wir sie, wie sie einen Zug nach Robby durchsucht. Dabei singt sie „Leuchtturm“ – mein liebster Nena-Song, obwohl ich mir nie so ganz sicher bin, ob das so ist, weil das Lied so eine mitreißende Popnummer ist, oder einfach nur, weil da am Anfang dieses schöne Synth-Blubb-Geräusch und der Sonar-Sound kommt. Aber konsequenterweise singt sie ja auch von einem U-Boot.

Endlich findet sie Robby in einem sonst leeren Abteil und kann sich an ihn schmiegen, während der Zug in die Nacht fährt. Am nächsten Morgen werden sie von einem Schaffner geweckt, und wer erraten kann, wer den spielt, darf die nächsten dreißig Kilometer den Zug lenken. Robby ist schwer überrascht, daß sie sich im Bahnhof von Venedig befinden, und wirft Tina sogleich vor, etwas damit zu tun zu haben, um sich doch noch mit Tino treffen zu können. Schade eigentlich, daß er zu aufgebracht ist, um uns seine Theorie darüber zu erläutern, wie Tina das hingekriegt haben könnte, den Zug umzulenken.

Aber wo wir schon mal in Venedig sind, können wir auch ein wenig durch die Stadt flanieren und das Happy End suchen, das sich ja hier zwischen den romantischen Kanälen verstecken muß. Vorher wird Robby aber noch von einer Horde wilder Weiber mit einem Boot entführt, und Tina rennt ihm über diverse Brücken hinterher, während dazu „Tanz auf dem Vulkan“ gespielt wird – ein Song, dessen Zeile „Hexen sind nicht aus Asbest“ ich immer sehr schön fand. Irgendwann schafft sie einem Gondoliere an, dem Motorboot mit den verrückten Frauen hinterherzusagen (mit den Worten: „Schneller! Tempo, tempo! Brumm, brumm!“), aber dann jagt plötzlich Tino mit eigenem Boot ums Eck und singt dabei „Feuer 112“: „Ich komme schnell / Wie der Blitz / Rund um die Uhr / Und mit Tatü und Tata / Es brennt, es brennt / Alarm, alarm / Ich komm‘ mit Blaulicht um die Ecke gefahr’n“. Schön, wenn die Leute immer das passende Lied auf den Lippen haben.

Durch unglückliche Umstände landen sowohl Robby als auch Tino aber nun im Wasser, obwohl sie beide nicht schwimmen können. Tino wird von den aufgedrehten Mädels herausgefischt, denen Robby vielleicht zu langweilig erschien, weil er nicht gesungen hat. Zum Glück kann Tina Robby mit einem Rettungsring helfen, den sie von einem Bootsbesitzer bekommt, der – ganz klar – wieder von Karl Dall gespielt wird. „Iiih, der ist ja ganz naß“, sagt er, als er den Schwimmreifen zurückbekommt. Und dann können sich Robby und Tina endlich wieder küssen, und nach einem kurzen Wiedersehen mit Andy (der von Tinas Hund quer über den Brenner geschleift wurde) wird alles gut und die Liebe hat gesiegt. Beim Abspann hören wir noch einmal „Kleine Taschenlampe, brenn“ und fragen uns, wie lang da wohl die Batterien halten.

Das waren sie, die 85 Minuten Zeitkapsel, die seinerzeit 1,5 Millionen Menschen ins Kino gelockt haben und heute wie ein archäologischer Fund anmuten. Natürlich ist es leicht, den Film als seichten Käse abzutun und mit harscher Kritik zu bedecken – was auch ausgiebigst getan wurde und wird – aber als Artefakt einer gerade den Durchbruch schaffenden Musikrichtung ist GIB GAS – ICH WILL SPASS ebenso spannend wie charmant.

Die einfache Story spiegelt die betonte Einfachheit der Neuen Deutschen Welle wieder – die naiven Texte, die unbekümmerte Unbefangenheit – und obwohl die Ironie der Musik hier fehlt (wo ja gerne mit betont simplen Wort- und Satzhülsen ebenso wie mit Minimalmelodien kokettiert wurde), kann der Film im Retrospektiven eben jenen Blickwinkel dazugewinnen, der es einem erlaubt, das Spektakel ebenso ernsthaft wie ironisch zu betrachten: als Versuch, eine aufblühende Jugendkultur einzufangen; als behäbig-deutsches Roadmovie; als Singspiel mit Laiendarstellern, unter denen ausgerechnet Karl Dall der professionellste Schauspieler ist; als Erinnerung an eine Zeit, wo man noch nicht so medial überfüttert war mit „seinen“ Stars und extra ins Kino lief, um sie sehen zu können; und natürlich auch als wonnig-beknackte Komödie, die nie vorgibt, realistischer oder tiefschürfender zu sein als eine Bravo-Fotolovestory.

In diesem Sinne noch ein Wort zu unseren Darstellern: Nein, man kann nicht behaupten, daß Nena und Markus sich hier als zukunftsträchtige Schauspieltalente entpuppen. Markus trägt zumeist einen eher demonstrativen Gesichtsausdruck – erfreut, beleidigt, nachdenklich – und Nena spricht genau so, wie sie singt, weshalb sie permanent nölig und zickig wirkt. Aber man darf ihnen zugestehen, daß sie als Typen funktionieren: Sie wirken beide nicht unnatürlich und punkten mit einem unbekümmerten Charme.

So gesehen ist es natürlich schade, daß es bei diesem Kinoausflug blieb – aber wahrscheinlich hätte ein gezielter kommerziell ausgerichtetes Nachfolgeprodukt nicht mehr die Unbefangenheit dieses Films ausgestrahlt, der eben für seine Naivität und für seine Zeitgeist-Ästhetik so sehr belächelt werden kann und gerade dafür auch stets brav den „Flop des Tages“ in einschlägigen Programmzeitschriften kassiert. Wolfgang Büld und Georg Seitz wollten noch ein weiteres Projekt starten, das sich dann aber zerschlug. Büld drehte später unter anderem den FORMEL EINS FILM, die Fortsetzung zu GO TRABI GO und den Kinoausflug von Dieter Thomas Kuhn, DER TRIP – DIE NACKTE GITARRE 0,5, bevor er dann eine Reihe von kleinen Exploitation-Streifen drehte. Seitz wandte sich wieder dem Journalismus zu, und Markus fuhr irgendwann auf der NDW-Retrowelle, bevor er sich mit Schlagerplatten zurückmeldete. Und Nena … ja, was ist eigentlich aus der geworden?

 

Gib Gas – Ich will Spaß (Deutschland 1982)
Regie: Wolfgang Büld
Buch: Wolfgang Büld, Georg Seitz
Darsteller: Nena, Markus, Enny Gerber, Karl Dall, Extrabreit, Peter Lengauer, Cornelia Kraus, Gernot Duda, Wolfgang Büld, Martin Semmelrogge (Stimme)

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    5 Comments

    1. Klingt nach einem Höhepunkt in Karl Dalls Schaffen und Werk. Und als Österreicher ist es Balsam zu wissen, dass Falco nicht nur an verschobener Realitätswahrnehmung litt, sondern durchaus auch gewisse Prinzipien hatte.
      Mal wieder will ich den Film jetzt sehen. Aber muss man sich eigentlich sehr konzentrieren, wenn man statt Nena immer Tina schreiben muss?

    2. Ach, nach den ersten 30 Mal gewöhnt man sich daran. Ich habe einfach an einen anderen tollen Hit der Neuen Deutschen Welle gedacht – nämlich an "Sommersprossen" von UKW, die da singen: "Tina! / Ist das nicht prima? / Was für ein Klima / Haben wir hier schlechtes Klima / Fahren wir sofort nach Lima".

    3. Ein schlechter Spielfilm mit dummer Handlung und nicht besonders lustig, aber gleichzeitig interessant und niedlich, vor allem wegen all den Songs und der hübschen Nena. Ich habe sogar die DVD erworben … Ich bin auch Jahrgang 1978 – die 80er Jahre waren toll und etwas Nostalgie muß sein.

      Aber was sollte die Szene mit den italienischen Weibern in Venedig, die den Robby entführen? (Zwei von denen sehen übrigens gar nicht mal so schlecht aus …, sind aber leider nicht im Filmabspann erwähnt, so ein M*st!)

      Grüße aus Spanien!

    4. Es würde zur recht improvisierten Entstehungsgeschichte des Films passen, wenn diese Italienerinnen gar keine Schauspielerinnen waren, sondern einfach flugs angeheuerte Passantinnen. Vermutlich sind sie deshalb nicht im Abspann gelistet.

    5. Ruhe in Frieden Karl Dall, ist ja leider heute verstorben am 23.11.2020

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