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Teaser zu Jud Süss – Film ohne Gewissen

Auch ein Film, auf den ich sehr neugierig bin: JUD SÜSS – FILM OHNE GEWISSEN von Oskar Roehler, rund um die Entstehung von Veit Harlans Propagandafilm JUD SÜSS (1940), der bis heute in Deutschland unter Verschluß steht und nur in einem „betreuten“ Rahmen vorgeführt werden darf, und für den sich Harlan und Hauptdarsteller Ferdinand Marian nach dem Krieg vor Gericht verantworten mußten, unter anterem für Beihilfe an Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Harlan wurde freigesprochen, aber Marian erhielt Berufsverbot und starb 1946 bei einem Autounfall, der mitunter als Suizid interpretiert wird).

2003 gab es ein Fernsehdrama über den Prozeß rund um JUD SÜSS mit Axel Milberg (JUD SÜSS – EIN FILM ALS VERBRECHEN?); Roehler beschäftigt sich mit der Entstehung des Films. Bei der Premiere bei der Berlinale erntete der Film Buhrufe aus dem Publikum und teils vernichtende Kritik – zum Beispiel für die Tatsache, daß Roehler bei der Zeichnung von Marian einige historische Tatsachen außer Acht läßt, und für Moritz Bleibtreu, der Propagandaminister Joseph Goebbels offenbar sehr grell spielt.

In der aktuellen Ausgabe der Celluloid finden sich ein Text über den Film sowie Interviews mit Roehler, Moretti und Bleibtreu. Ich habe den Film ja noch nicht gesehen, aber dennoch fallen in den Aussagen zum Film schon Diskrepanzen auf:

Celluloid: Wie begegnen Sie den Vorwürfen […] die Geschichte des Marian so abzuändern, dass er plötzlich eine jüdische Frau hat und einem Juden Versteck gewährt, was nicht den Tatsachen entspricht? […]

Roehler: […] Bei der Ehegeschichte mit dem Marian hatten wir die Wahl, entweder, so wie im Buch [die Biographie ICH WAR JUD SÜSS von Friedrich Knilli], einen intellektuellen Blaustrumpf zu haben, also eine unsympathische Frauenrolle, die einfach eine Deutsche ist und ständig ihren Mann kritisiert und dem Publikum damit auf die Nerven geht. Oder man macht eine Halbjüdin daraus, was zugegebenermaßen ein Klischee ist, bei dem die Amerikaner wahrscheinlich auch gleich zugegriffen hätten. Aber ich finde das völlig legitim, weil das die Marian-Figur noch zwiespältiger macht und sie auf eine andere Ebene hebt. Außerdem ist es so, das muss ich zu meiner Rechtfertigung auch noch sagen, dass es gerade in Künstlerkreisen zu 90 Prozent solche Ehen gab, weil einfach wahnsinnig viele Kulturschaffende damals Juden waren. Das ist also eine exemplarische Situation jener Zeit.

Schön und gut und absolut legitim, weil Film ja keine Verpflichtung gegenüber historischen Tatsachen haben muß und immer Kunstgriffe verwenden kann, um eine tieferliegende Wahrheit zu erzählen. Nur sagt Roehler später im Interview:

Ich habe ganz klar versucht, mich beim historisch belegbaren und weit vom Trash entfernten Film zu bewegen.

Nun also doch historisch orientiert? Ebenso nachdenklich stimmt folgende Aussage:

Wir wollten […] einen spannenden Film fürs Publikum machen und handelten nach dramaturgischen Gesichtspunkten, immer mit dem Ziel der größtmöglichen Wirkung. Trotzdem sind wir auf die Ereignisse absolut eingegangen. Nur kann man sie trocken und spröde darstellen, oder eben spannend.

Natürlich kann man das, aber ob es im Umgang mit einem Film, der ebenso mit dem „Ziel der größtmöglichen Wirkung“ Hetzjagd betreibt („Es war ein unglaublich gut gemachter Film, das war ja das Fatale“, sagt Moretti über JUD SÜSS), der beste Ansatz ist, immer auf „Wirkung“ zu inszenieren? Der Trailer jedenfalls wirkt wie ein Sequel zu OPERATION WALKÜRE, der nicht minder „effektiv“ eine Geschichte erzählt hat und damit die wirklich interessanten Fragen und Probleme begrub.

Noch eine mögliche Bruchstelle zeigt sich im Interview mit Hauptdarsteller Tobias Moretti:

Celluloid: Roehler hat selbst gesagt, dass Marian am Ende als Opfer dasteht.

Moretti: Das ist völliger Quatsch! Das habe ich nicht gespielt, diese Rolle habe ich nicht gespielt!

Man sieht: Viel Angriffsfläche, viel Diskussionsmöglichkeit. Aber warten wir doch erstmal den fertigen Film ab und sehen dann weiter …

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    2 Comments

    1. puh..der trailer is ja furchtbar…noch dicker kann man ja net auftragen…damits auch ja jeder kapiert.

    2. Auf jeden Fall ist es wichtig, dass solche Filme gemacht werden. Die deutsche Filmindustrie assoziiere ich immer noch mit viel Klamauk und wenig Substanz, aber in den letzten Jahren gibt es wenigstens einige Versuche sich filmisch mit interessanten Themen der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Dass man dann für ein Massenpublkum gewisse Abstriche machen muss, ist völlig klar und die widersprüchlichen Aussagen kommen vermutlich daher, dass Kompromisse meist nicht beiden Ansprüchen gerecht werden, sondern keinem so recht.

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