Frozen Scream (1975)

Uncategorized / 3. Mai 2010

Wow. Was für ein ab-so-lut un-glaub-li-cher Film. Mir fehlen die Worte.

Na gut, Letzteres ist natürlich gelogen. Was nichts daran ändert, daß man angesichts FROZEN SCREAM einfach nur baff ist. Baff beim Anschauen, baff nach dem Anschauen. Ein solch hoffnungslos inkompetentes Kuddelmuddel habe ich schon lang nicht mehr gesehen.

Man ist ja schon gewarnt, wenn Laser Paradise einen Streifen als „Bonusfilm“ zu einer ihrer Red-Edition- und Blood-Edition-Schmumpfveröffentlichungen dazupacken und das dann nur mit einem kleinen Textkasten hinten auf dem Cover bewerben – ganz offenkundig ist man sich sicher, das Filmchen alleinstehend nicht verkaufen zu können, und natürlich ist Laser Paradise ja nun einmal ein Label, das wirklich jeden Unfug verkauft. FROZEN SCREAM war also als Bonusfilm bei THE RED MONKS enthalten, dem „Meisterwerk von Lucio Fulci“, wie uns das Cover verrät – was natürlich gelogen ist, weil Fulci nur produziert hat und der Film eigentlich das Meisterwerk von jemand ganz anderem ist. Na schön, auch das ist gelogen, aber warum THE RED MONKS nun ein ganz und gar dummer und einschläfernder Streifen ist, der nicht einen Hauch von Sinn ergibt, soll hier nicht weiter vertieft werden – es dient nur dazu, FROZEN SCREAM richtig zu verorten: Eine gut versteckte Dreingabe zu einem unbekannten Trashfilm.

Und was für eine Dreingabe, werter Kapellmeister! FROZEN SCREAM, eine US-Produktion aus dem Jahre 1975, ist eine halluzinatorische Seherfahrung wie im Delirium – eine fiebrigre Filmmasse, die so weit entfernt von üblichen Film- und Qualitätsmustern ist, daß der Streifen wie eine außerirdische Nachahmung wirkt, die irgendwie zu uns gebeamt wurde (eine These, die durch das beständige Weltraum-Summen auf dem Soundtrack verstärkt wird). Unnötig zu erwähnen, daß das Durchstehen der 75 Minuten Film gleichzeitig ein faszinierendes, überwältigendes Erlebnis wie auch ein schmerzvoller, unendlich lang scheinender Prozeß ist.

Die Handlung ist relativ flott erläutert: Der Wissenschaftler Dr. Sven Johnsson und seine Geliebte Lil Stanhope arbeiten in ihrem Universitätslabor heimlich daran, Menschen unsterblich zu machen. Dazu benötigen sie mehr oder weniger freiwillige Testpersonen, die in einen todesähnlichen Zustand versetzt werden und dann quasi kryogenisch für potentiell unbegrenzte Zeit am Leben erhalten werden (das stelle man sich ein wenig als Mischung aus Gehirnwäsche und Zombifizierung vor). Ann, die mitansehen mußte, wie ihr Ehemann Tom von zwei kuttentragenden Rabauken umgebracht wurde, kommt dem Wissenschaftlerteam auf die Schliche und muß feststellen, daß die „Unsterblichen“, inklusive ihrem Mann, immer wieder losgeschickt werden, um entweder neue Testpersonen zu fangen oder unliebsame Menschen zu beseitigen, die zuviel über die Experimente wissen.

Na schön. Wo fangen wir an? Im Film ist die Handlung bei weitem nicht so klar wie hier niedergeschrieben. In der ersten Filmhälfte werden wahllos Szenen aneinandergereiht, aus denen man sich mühsam die relevanten herauspicken und dann in eine kohärente und auch chronologisch sinnvolle Reihenfolge zusammenpuzzeln muß. Ein Mann in der Kutte bringt einen Mann und eine Frau am Pool um, während er Glubschaugen macht wie sonst nur Marty Feldman? Nein, das war keine wichtige Info. Lil Stanhope, die über Bilder vom Ozean bedeutungsschwangere Worte über Liebe und Unsterblichkeit spricht? Naja, das hat zumindest etwas mit dem Thema des Films zu tun. Der ermordete Ehemann Tom, der am Strand sitzt und einem Priester etwas beichten mag? Aller Logik nach müßte es sich wohl um eine Rückblende handeln, auch wenn gleichzeitig der Verdachtsmoment aufgesetzt wird, daß Tom gar nicht tot ist. Eine Frau, die eine Axt in den Schädel kriegt? Da kann ich jetzt nicht so hundertprozentig sagen, inwieweit die relevant war. An einem Punkt wird Ann von einem bösen Zombie überrascht, schreit, dann folgt der Schnitt auf die Außenansicht des Hauses, wo sie seelenruhig herausspaziert. Kurze Zeit darauf geht sie wieder hinein und wird wieder angegriffen.

Weil der Film also narrativ sehr holprig geriet und nicht immer völlig klar ist, wer gerade was warum macht (und, oh ja, Figuren in manchen Szenen nur als Stimme aus dem Off präsent sind), wurde zum guten alten Voice-Over gegriffen. Das Voice-Over taucht allerdings erst nach einigen Minuten auf, und zwar von einer Figur gesprochen, die wir noch gar nicht gesehen haben – über den Dialog geplappert, der gerade in der Szene abgehalten wird! Da reden also Lil und Ann im Krankenhaus miteinander, und ganz plötzlich spricht ein Mann darüber, der wie von der BBC klingt und Klärung verschaffen soll, aber freilich nur noch mehr verwirrt, weil man weder weiß, wer er überhaupt ist, noch, wem man jetzt eigentlich zuhören soll. Kurze Zeit später steht der Herr dann im Krankenhaus, mit Rücken zur Kamera – kein Stilmittel, nur unüberlegt inszeniert! – und obwohl seine Stimme jetzt ganz anders klingt, kann man nach einigen Momenten doch ableiten, daß er Kriminalinspektor ist und sich um den Fall kümmert (da niemand Ann glaubt, daß Tom ermordet wurde, sondern immer behauptet wird, er sei an einem Herzanfall gestorben, stellt sich freilich die Frage, wieso da überhaupt ein Inspektor angetanzt kommt). Ach ja, und das sollten wir vielleicht auch noch erwähnen: Der Inspektor war offenkundig einst mit Ann liiert und redet im Voice-Over daher sehr viel über ihre Beziehung und über Tom, was natürlich die Verwirrung kaum lindert.

Ein solcher Film wäre natürlich kein wahrer Trashfilm, wenn nicht die ganze Chose beim Preis einen kleinen Lutschers budgetiert wäre. Das Labor besteht aus einer Bahre und einigen Destillierapparaten und Reagenzgläsern, die im Hintergrund aufdringlich blubbern. Der geheime Raum, in dem die „Unsterblichen“ aufbewahrt werden, ist eine hell ausgeleuchtete Besenkammer, in der die zombifizierten Menschen herumstehen. Die Vorlesung des Doktors wird von ca. zehn Studenten besucht, die in einem schnörkellosen Raum an einer langen Holzbank sitzen (schon gut, zumindest dieser Punkt ist absolut realistisch). Und Effekte funktionieren grundsätzlich so, daß man die Bilder irgendwie addieren muß: Man sieht ein Auto fahren, man sieht einen Mann auf der Straße, man hört Reifen quietschen, man sieht den Mann schreien, und dann sieht man den Mann am Boden liegen. Die Operation, um Menschen unsterblich zu machen, besteht daraus, ihnen eine Art Knopf an den Hals zu kleben.

Und vergessen wir mal nicht die Musik! Wie eingangs schon angedeutet, durchzieht ein beständiges kosmisches Wabern den Soundtrack, es sirrt und pfeift, als wollten UFOs landen, manchmal hupt es auch und fiept wie bei einem Telespiel. Mitunter sind die Geräusche so laut, daß man sich ernsthaft fragt, ob gerade Außerirdische anrücken, wo doch das Weltraumbrummen teils die Dialoge in den Szenen übertönt! An anderen Stellen ist avantgardistisches Gehämmer auf einem E-Piano zu hören, und Schockmomente werden mit einer Art Synth-Brüllen verstärkt, das mit „Waargh“ vielleicht am ehesten eingefangen ist und auch nach dem zwanzigsten Mal immer noch fürchterlich an den Nerven zerrt.

Aber, liebe Freunde, das alles wäre ja halb so bizarr, wenn da nicht die Schauspieler wären. Oh nein, die Darsteller spielen absolut nicht schlecht. Sie spielen einfach gar nicht. Jeder der Mitwirkenden steht stocksteif da und redet jeden beliebigen Text derart starr und unbewegt, daß man sich wie in einem dieser Filme vorkommt, wo Aliens menschliches Verhalten nachahmen wollen und doch nur wie die Roboter agieren. Es ist nicht ein Darsteller im Ensemble, der nicht mit unnachgiebig starrem Blick und völlig bewegungslos seinen Text aufsagt, egal ob er gerade von jemandem angegriffen wird oder eine Liebeserklärung spricht. Renee Harmon, die Lil Stanhope spielt (und nebenher den Film produziert hat und ebenso wie Regisseur Frank Roach Schauspiellehrer an einem Community College war!), spricht mit einem unglaublich dicken deutschen Akzent – was dazu führt, daß sie nicht nur wie alle anderen wie eingefroren spielt, sondern auch noch übel nuschelt. Weil sie sich aber als Produzentin für den Star des Films hält, darf sie viele Reden über die Unsterblichkeit schwingen, auf die die anderen Darsteller stets mit völlig leerem Gesichtsausdruck reagieren. Das Ganze mutet wahrlich nicht an, als wäre es auf dem Planeten Erde entstanden.

Manchmal sind Filme einfach schlecht. Sie sind langweilig, dumm, reizlos inszeniert, oder absolut unglaubwürdig gespielt. Sie schaffen es nicht, daß wir uns in ihre fiktive Welt hineinversetzen. Das ist manchmal witzig, wenn der Erzähler sich so hilflos mit seiner Geschichte abstrampelt, und viel öfter sterbenslangweilig, wie die pointenlosen Geschichten eines Arbeitskollegen, der einem stundenlang das Ohr abknabbert. Aber FROZEN SCREAM ist eine ganz eigene Liga: Er ist in seiner bizarren Inkompetenz derart seltsam, daß es schon fast etwas Unschuldiges an sich hat. Das mag ein merkwürdiges Wort sein zu einem Film, in dem zombifizierte Unsterbliche zu quälendem Synthlärm Leuten Äxte in den Kopf hämmern, aber es ist auch die einzige Erklärung, warum der Film so unglaublich anmutet. Er ist völlig naiv.

Und ja, natürlich ist er auch sterbenslangweilig.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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