Was? (1972)

Uncategorized / 28. Juni 2009

Der Titel rührt angeblich von der Reaktion Carlo Pontis, des Produzenten, her, dem bei Sichtung des fertigen Films nur eine Frage blieb: „Was?“ Angesichts der $1,2 Mio., die er in Polanskis abstrusen Sexreigen gesteckt hat, ist es natürlich vorstellbar, daß die Äußerung blumiger formuliert war. Dennoch bleibt der Titel die adäquateste Reaktion auf sämtliche Vorgänge auf der Leinwand, und alle weiterführenden Fragen leiten sich geradewegs daraus ab: Was zur Hölle hat sich Polanski dabei gedacht? Hat sich Polanski überhaupt etwas gedacht? Und wenn ja … was?

In WAS? geht es um eine junge Frau, Nancy (Sydne Rome), die per Anhalter durch Italien reist und gleich zu Beginn von drei notgeilen Burschen beinahe vergewaltigt wird. Sie flüchtet sich in ein nahegelegenes Hotel, wo sie den Rest des Films damit verbringt, die merkwürdigen Bewohner kennenzulernen und ziellos herumzuirren. Das tut sie übrigens meist in gar nicht oder nur spärlich bekleidetem Zustand, und ab einem gewissen Zeitpunkt dann auch mit blauangestrichenem Bein.

Einer der Bewohner ist Marcello Mastroianni, der einen gelangweilten Playboy gibt, der Sätze sagt wie „Es wäre schön, wenn wir uns einmal zum Tee treffen könnten, so gegen fünf“ oder „Sie sind schön, ihre Titten“. Der gute Herr war offenbar einmal Zuhälter und liegt zumeist regungslos auf der Veranda, wo er dann wortlos die Hand ausstreckt, um sich von Nancy eine Tasse Kaffee bringen zu lassen, und wo er regelmäßig kleine Pingpongbälle zertritt, die einer Gruppe von Herren, die ständig Tischtennis spielen, öfter mal über den Balkon fallen. Ach nein: Wirklich ständig spielen sie nicht Pingpong – einmal essen sie auch etwas, und einer von ihnen hat dauernd Sex und kündigt den unbeeindruckt durchs Zimmer laufenden Kollegen beständig neue Rekorde an. (Einer aus der Gruppe wird übrigens von Polanski selbst gespielt – aus unerfindlichen Gründen mit blauem Auge.)

Nancy trifft sich nun also mit Marcello zum Tee, aber zum Trinken kommen sie gar nicht, weil Marcello sich ein Tigerfell anzieht, am Boden herumkriecht und Nancy fordert, ihn auszupeitschen. Später wird Nancy dann einem der Pingpongherren erzählen, daß Marcello sie mißbraucht habe, und viel später trifft sie sich dann mit Marcello am Strand, wo dieser eine Kiste ausgräbt, in der sich eine Gendarmuniform befindet. Nachdem er diese Uniform angezogen hat, schlägt er Nancy mehrfach und legt ihr Handschellen an, weil sie keinen Ausweis vorzeigen kann.

Schon verwirrt? Nach über einer Stunde taucht dann auch ein alter Herr auf (Hugh Griffith, der Mann mit den dramatischen Augenbrauen!), der sich ganz am Rande des Exitus bewegt, und auf dessen Ableben offenbar die gesamte Bewohnerschaft wartet. Der alte Mann bittet Nancy dann auf sein Zimmer, wo er sich von ihr wünscht, daß sie ihm ihre Brüste zeigt, was sie dann auch tut. Dann wünscht er sich, daß sie ihm ihre Vagina zeigt, was sie ebenso tut. Dann stirbt der alte Mann glücklich.

Es laufen noch andere Gestalten durch das Hotel, zum Beispiel ein amerikanisches Ehepaar, das plötzlich in Nancys Zimmer einzieht. Nancy wacht dann mit dem Kopf des Herren zwischen ihren Beinen auf, aber nachdem sie sich ein wenig entrüstet hat, spielen sie dann zusammen Mozart auf dem Klavier. Es gibt auch einen Maler, der eine Wand gelb streicht und keinen von Nancys Sätzen versteht, sondern sich immer nur rechtfertigt, daß er ja auch hätte blau streichen können, wenn es ihm nur jemand vorher gesagt hätte. Besagter Maler ist es denn auch, der Nancys Bein blau anstreicht, aber der Grund dafür leuchtet nicht so ganz ein.

Während der ganzen Zeit, wir erwähnten es ja schon, läuft Nancy (halb-)nackt herum. Nachdem sie im Hotel angekommen ist, werden ihr ihre Klamotten gestohlen, weswegen sie also erst einmal völlig unbekleidet herumlaufen muß (was denn auch Marcello zu seiner Bemerkung hinreißen läßt, die nichts mit Tee zu tun hat). Dann bindet sie sich eine Serviette um, die sie am Frühstückstisch findet, und noch etwas später findet sie dann das Oberteil eines Pyjamas. „Es ist sehr mutig von Ihnen, daß sie meinen Pyjama anziehen“, lobt sie irgendwann der alte Herr. Zum Schluß des Films flüchtet sie dann konsequenterweise auch wieder völlig nackt aus dem Hotel und springt auf einen vorbeifahrenden Lastwagen auf.

Weil der Film von Roman Polanski inszeniert wurde, der ihn zusammen mit seinem Mitstreiter Gérard Brach geschrieben hat, neigt man dazu, hinter den abstrusen Geschehnissen einen Punkt, eine Aussage, eine Methode im Wahnsinn anzunehmen. Ein dermaßen talentierter und brillanter Kopf kann doch nicht einfach ein zusammenhangloses, sinn- und witzfreies Filmchen zusammenstricken, das sich in der Erzählung vielleicht noch amüsant albern anhört, in der gefilmten Version aber nurmehr eine peinliche Aneinanderreihung von zähflüssig dahinkriechenden Merkwürdigkeiten darstellt – dachte sich wohl beispielsweise auch die Filmbewertungsstelle Wiesbaden, die WAS? prompt ein „besonders wertvoll“ verlieh. (Laut deren Statuten wird das Prädikat danach verliehen, wie gut ein Film das sich selbst gesteckte Ziel erreicht. Vielleicht sind die Herren der Filmbewertungsstelle von dem Ziel ausgegangen, Sinn, Verstand und dem Zuseher gleichermaßen den Mittelfinger zu zeigen – in diesem Falle wage ich allerdings zu argumentieren, daß das gesteckte Ziel entweder mit schnellerem Tempo oder mit weniger spekulativem „Kostümdesign“ der Hauptdarstellerin besser hätte erreicht werden können.)

In einigen Szenen tauchen auch Momente auf, in denen man plötzlich eine Ahnung kriegt, daß Polanski etwas sagen möchte: Da schaffen ein paar Arbeiter ein riesiges Gemälde heran, das von Nancy als „schön“ gelobt wird, aber das dann der Repräsentant des alten Mannes nicht kaufen will: „Herr Noblart hat sich sein Leben lang für die Kunst interessiert, jetzt interessiert ihn das richtige Leben“. Geht es vielleicht um die Diskrepanz zwischen Realität und Fiktion? In einem anderen Segment passieren Ereignisse nochmal, die schon am Vortag passiert sind, und Dialogzeilen werden wieder ausgesprochen. Ob die Zeit an Bedeutungslosigkeit verloren hat, will Nancy wissen, aber der klavierspielende Mann erklärt ihr: „Man kann nie zweimal in denselben Fluß springen. Nicht nur der Fluß ist später ein anderer, man selbst ist es auch“. Geht es vielleicht um Vergänglichkeit oder um Stillstand?

Gelegentlich hat man auch das Gefühl, daß WAS? eventuell die Inszenierung eines Traumas ist: Immerhin wird Nancy zu Beginn fast vergewaltigt, und da sie meist unbekleidet herumläuft, stellen die Episoden vielleicht ihre Schutzlosigkeit dar – in vielen von Polanskis Filmen wird ja das Schicksal eines Opfers gegenüber einer größeren Macht thematisiert: Eine Figur verliert sich als Opfer in der sie dominierenden Welt. In diesen Gedankengang würde eventuell auch die sadomasochistische Beziehung mit Mastroianni passen.

Leider zieht sich keiner dieser Ansätze durch den gesamten Film – Ideen werden ins Prozedere geworfen und nie wieder aufgegriffen; vermeintliche Symbolik wird auf die Leinwand geklatscht, aber heraus kommt nur prätentiöser Quark. Der Großteil des Films ist offenbar lustig gemeint, aber es ist eigentlich nicht mal lustig, sich vorzustellen, daß jemand über eine Million für einen Film zahlt und dann dieses Werk hier vorgesetzt kriegt.

Vielleicht ist WAS? auch einfach nur ein Resultat von Polanskis eigenem Trauma. Nachdem 1969 seine Frau Sharon Tate von den Manson-Jüngern grausam ermordet wurde, stürzte er sich auf eine MACBETH-Inszenierung, deren Brutalität oft als Reaktion auf die Bluttat gewertet wird. Gleich danach drehte er WAS? – vielleicht ist es also die innere Leere, die hier auf der Leinwand eine Entsprechung gefunden hat. Vielleicht wollte Polanski auch einfach nur irgendetwas machen, anstatt untätig zuhause zu sitzen. Aber, und auch das ist möglich, vielleicht kann auch ein brillanter Regisseur mal völlig fehlgeleitet ein pseudokünstlerisches Ärgernis auf Zelluloid bannen. Glücklicherweise war sein nächster Film dann CHINATOWN.

Was? (Italien/Frankreich/Deutschland 1972)
Originaltitel: Che? / Quoi? / What?
Alternativtitel: Diary of Forbidden Dreams
Regie: Roman Polanski
Drehbuch: Roman Polanski, Gérard Brach
Kamera: Marcello Gatti, Giuseppe Ruzzolini
Musik: Claudio Gizzi
Produktion: Compagnia Cinematografica Champion / Dieter Geissler Filmproduktion / Les Films Concordia
Darsteller: Sydne Rome, Marcello Mastroianni, Hugh Griffith, Roman Polanski
Länge: 114 Minuten
FSK. 16

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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