Digital killed the VHS star

Uncategorized / 30. Dezember 2008

Video ist tot. Dem Gefühl nach ist das VHS-Format ja schon vor geraumer Zeit gestorben – niemand hat mehr Videorekorder, keiner will mehr VHS-Bänder. Jetzt hat JVC, die immer noch Videorekorder hergestellt haben, angekündigt, keine mehr produzieren zu wollen. Und der letzte Händler für VHS-Bänder in Amerika (einer von diesen Kleinhändlern, die superbillig einkaufen und dann immer noch superbillig verkaufen) hat diesen Geschäftszweig nun auch aufgegeben.

Ein interessanter Artikel darüber und über den Formatwechsel ist in der LA Times zu lesen.

Mit der kompletten Verfügbarkeit so vieler Filme heutzutage – DVD, Internet, hunderte von Fernsehkanälen – ist es vielleicht schwer vorstellbar, wie revolutionär das Videoband damals war. Vorher konnte man keine Filme für den Hausgebrauch aufnehmen. Man konnte vielleicht Filmspulen kaufen – 16mm, Super-8, oder sogar 35mm – aber das war nur eine Option für Leute mit viel Geld und viel Platz. Aber ansonsten gab es keine privaten Archivierungsmöglichkeiten; keine Chance, einen Filmklassiker zu sehen, wenn er nicht gerade in einem Retrokino oder im Fernsehen lief. Die VHS war der erste Schritt zur eigenen heimischen Mediathek, die mittlerweile jeder in irgendeiner Form hat.

Ich erinnere mich, wie ich als vielleicht 6-jähriger den Videoschrank meiner Eltern durchwühlt habe und mir einen Film nach dem anderen reingezogen habe. Damals hat mein Vater noch so einiges aufgenommen, was ihn interessiert hat. Die James-Bond-Filme mit Connery waren darunter, und dank VHS konnte ich sie mir so oft ansehen, bis ich sie auswendig konnte. EIN AUSGEKOCHTES SCHLITZOHR war auch darunter, ebenso wie ERDBEBEN und DIE FEUERZANGENBOWLE. Es hat gar nicht lange gedauert, bis ich selber aufnehmen konnte und mir aus dem Fernsehprogramm alles herausgepickt habe, was mich interessiert hat. Als Teenager habe ich teilweise 4 oder 5 Filme pro Tag aufgenommen; teilweise habe ich Aufträge an Familie und Bekannte ausgelagert, weil man mit nur 2 Videorekordern im Haus ja auch nur 2 Filme gleichzeitig aufnehmen kann – was an Feiertagen zu oft zu Überschneidungen führte. Und wer will sich schon entscheiden, wenn ROBIN HOOD, DIE NACKTE KANONE 2½ und AMERICAN FIGHTER 5 zeitgleich laufen?

Im Laufe der Jahre haben sich bei mir über 1000 Videobänder angeeignet. Da ist vieles dabei, was es immer noch nicht auf DVD gibt. Und vielleicht nie geben wird, auch wenn ich ja immer behaupte, daß über kurz oder lang alles digital verfügbar sein wird (immerhin ist vor kurzem sogar WENN FRAUEN DING DONG SPIELEN auf DVD herausgekommen!). Grund genug, an so manchem Tape festzuhalten.

Interessant – und auch im obigen Artikel erwähnt – ist die Tatsache, daß kaum jemand aus nostalgischen Gründen an den VHS-Tapes festhält, im Gegensatz zu Vinyl-Schallplatten. Aber eigentlich leuchtet das schon ein: Vinyl ist bei korrekter Behandlung qualitativ absolut hochwertig und bietet z.B. ein großformatiges Artwork sowie, im Falle von alten Singles und Alben, ein Gefühl der Authentizität (genau so wurde diese Musik damals veröffentlicht und bekannt). VHS bietet nichts dergleichen: Das Bild ist oft verwaschen und wird über die Jahre nicht besser, der Ton wird mit zunehmendem Alter immer dumpfer, die Kassetten sind klobig und vergleichsweise umständlich zu bedienen, und echt ist daran nicht viel, weil die Filme ja eigentlich für’s Kino gemacht wurden und das VHS-Format nur ein Kompromiß für den Heimkonsum war.

Wenn man sich einmal einen Film, den man auf DVD hat, wieder auf Band ansieht, wird man nur in Notfällen wieder das VHS-Tape zum Ansehen verwenden (so wie Mama Genzel und ich uns letzten BLUES BROTHERS auf Band angesehen haben, weil halt keine DVD vorhanden war). Irgendwann werden meine 1000+ Bänder auch verschwinden – wenn ich die Filme auf DVD (oder BluRay, oder einem Flash-Medium der Zukunft) habe oder mir halt doch irgendwann einen Digitalrekorder zugelegt habe. Die Kauftapes von damals behalte ich aus nostalgischen Gründen (wie geil und bekennend war es doch, alle drei INDIANA JONES-Filme als Kauftape im Regal stehen zu haben!), auch wenn die Bänder darin schon erloschen sind.

Was noch mehr erloschen ist, ist die Arbeit hinter dieser Bändersammlung: Über Jahre hinweg sich Filme aus dem Fernsehen zu sammeln und zu archivieren ist doch heutzutage völlig überholt. Man wirft den Torrent-Tracker an und lädt sich die paar Tausend Filme halt einfach in ein paar Wochen runter. Zack. Die Mühe hinter der Sammlung ist heutzutage ebenso schwer zu erklären wie vergriffene Japan-Pressungen in der Plattensammlung, die man zu Zeiten gefunden hat, in denen man sie noch nicht über Google und Amazon in fünf Sekunden ausfindig machen konnte.

Kein Schlußwort heute. Ich muß noch einen ganzen Stoß Videokassetten beschriften und einsortieren.

—————–
4 8 15 16 23 42






Avatar-Foto
Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





You might also like