Klaus Schulze/ Lisa Gerrard: Farscape (2006)

Uncategorized / 16. August 2008

Ambient-Schulze

Klaus Schulze, deutscher Elektronikpionier, mit Dead-Can-Dance-Sängerin Lisa Gerrard und einem soliden, wenn auch nicht zwingenden Ambient-Album.

Klaus Schulze ist einer der wichtigsten deutschen Elektronik-Pioniere. Er spielte 1969 auf ELECTRONIC MEDITATION, dem allerersten Album der Gruppe Tangerine Dream, die mit ihren Klangexperimenten und hypnotischen Sequencer-Rhythmen nicht nur die elektronische Musik nachhaltig beeinflußten. Später veröffentlichte Schulze eine Reihe eigener Soloalben mit Namen wie IRRLICHT und CYBORG, deren Ambient-Musik wie bei Tangerine Dream mindestens so surrealistisch und unwirklich erschien wie die Albumcovers. Nicht selten dauerte ein Stück eine halbe Stunde und füllte eine ganze Plattenseite aus, und die Musik entfaltet sich dabei so langsam, daß man die Entwicklung nur dann ganz bewußt wahrnimmt, wenn man in ganz großen Schritten durch den Track springt. Auch wenn Schulzes Musik selten pompös klang – sie war eher dunkel, geheimnisvoll, deutete eher etwas Unausgesprochenes an als etwas deutlich zu zeichnen – so hat der bekennde Wagner-Liebhaber von seinem Vorbild doch das Epische geerbt: Stücke heißen „Bayreuth Return“, einige Alben erschienen unter dem Pseudonym Richard Wahnfried. Natürlich komponierte und spielte Schulze auch jenseits der Siebziger eine große Anzahl von Alben ein, aber ein Pionier ist er schon lange nicht mehr.

Für sein aktuelles Doppelalbum FARSCAPE lud er Lisa Gerrard, die ehemalige Sängerin von Dead Can Dance, in sein Privatstudio in der Lüneburger Heide ein. Sechs Tage waren für die Produktion vorgesehen, aber das Duo komplettierte die Aufnahmen innerhalb von zwei Tagen: Eine Session für „Farscape I“, die erste CD, und eine zweite für „Farscape II“. 150 Minuten spielt also das komplette Album, das rudimentär in sieben Tracks unterteilt ist – „Liquid Coincidence“, eins bis sieben – aber natürlich ist es nicht als Song-Kollektion zu verstehen, sondern als ein großes Stück.

Natürlich funktioniert Ambient nicht nach songbasierten Hörgewohnheiten: Ambient existiert außerhalb der Zeit, außerhalb von Strukturen. Im wahrsten Sinne des Wortes ist Ambient ein Klang- und Raum-Ambiente, wie ein Ort oder ein Bild, durch das man sich durchbewegt. Ambientkompositionen sind quasi Klangskulpturen, die bestimmte Eigenschaften aufweisen, und die Länge des Stückes gibt nur grob an, wie lange man sich der Skulptur widmet. Nicht bei allen Ambient-Stücken entwickelt sich etwas: Manche bleiben statisch, füllen einfach den Raum, bis er von den Stimmungen und Bildern durchzogen ist. Andere Tracks verschieben sich langsam, als würde man die Skulptur von einem anderen Blickwinkel aus betrachten, oder als würde sich im Raum unmerklich etwas verändern.

So ist denn auch FARSCAPE ein Klangteppich, der sich über den Raum legt. Flächige Synthesizersounds wechseln fast unmerklich mit rhythmischeren Sequencer-Texturen ab, und darüber schwebt Gerrards geheimnisvolle Stimme, ganz abstrakt, ohne Worte. Zum gezielten Zuhören mäandert das Album das natürlich zu sehr vor sich hin, zum Fallenlassen und Sich-Tragen-Lassen produziert die Musik interessante Bilder und mysteriöse Stimmungen. Wo man einsteigt oder ausblendet, bleibt einem selbst überlassen: Die Musik existiert einfach.

Schade nun eigentlich, daß wir dem Hörer, der jetzt vielleicht Ambient-neugierig geworden ist und sich mit der Musik auseinandersetzen mag, eine ganze Reihe von Alben viel eher ans Herz legen müssen als FARSCAPE. ZEIT von Tangerine Dream beispielsweise. IRRLICHT von Schulze selbst. Die Klassiker von Brian Eno. Oder die DISTILL-Compilation, die unter dem Divination-Logo veröffentlicht wurde. FARSCAPE ist ein solides Album und eine durchaus inspirierte Zusammenarbeit zwischen Schulze und Gerrard – und doch ein wenig zu esoterisch-luftig angehaucht, um wirklich ein starkes, auf Dauer faszinierendes Bild zu zeichnen.

Dieser Text erschien zuerst am 16.8.2008 bei meinSalzburg/Salzburger Nachrichten.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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