The Minus Man (1999)

Uncategorized / 11. September 2007

Wenn man an Owen Wilson denkt, denkt man prinzipiell mal an jede Menge brillanten und/oder fürchterlichen Klamauk mit Ben Stiller (ZOOLANDER) und noch mehr Klamauk ohne selbigen (DIE HOCHZEITS-CRASHER). Aber dann gibt es noch einen Owen Wilson – einen ernsteren, der zum Beispiel zusammen mit Wes Anderson als Autor tieftraurige, absurd komische Schrulligkeiten ausgeknobelt hat. Und dieser andere Wilson spielt die Hauptrolle in THE MINUS MAN, der Verfilmung eines Romans von Lew McCreary über einen ganz normalen Serienkiller.

THE MINUS MAN ist ein Film über die Banalität des Bösen, über einen Menschen, der keinerlei Eigenschaften besitzt – außer jener, daß er gelegentlich im Inneren den Drang verspürt, einen willkürlich ausgesuchten Menschen zu töten. Er ist dabei nicht brutal – nur „gerade so viel wie nötig“, wie er uns wissen läßt. Die Geschichte kreist um ihn als Hauptfigur, und ganz nüchtern läßt uns der Film ein klein wenig in seine Gedankenwelt hinein – in der weder tobender Wahnsinn herrscht noch abgründiger Sadismus, sondern eine völlig alltägliche Beiläufigkeit.

„Wir suchen uns die Dinge nicht immer aus, die wir tun“, erklärt uns Vann, der Killer, schon recht früh: „Manchmal suchen sie uns aus“. Vann kommt gerade in einem kleinen Städtchen an, wo er sich ein Zimmer bei einer Familie mietet, die ihn schon bald als Sohn betrachten, weil ihre eigene Tochter seit Jahren verschwunden ist. Der Hausherr verschafft Vann einen Job bei der Post, und Vann wirft sich mit Freude an die Arbeit. Er versucht, ein Leben zu leben, wie es andere Menschen auch tun. Nur gelegentlich fällt Vann in Tagträume, in dem zwei FBI-Agenten ihn quasi als Gewissen verhören – aber die Sequenzen zeigen keinen aufsteigenden Irrsinn, sondern eher ein inneres System der Ordnung, das Vann als Ventil für seine dunklen Gedanken dient.

Dabei ist Vann wie ein Platzhalter – ein Mensch, der sich durch nichts auszeichnet und der keine Eigenheiten mitbringt. Er hat keine Vergangenheit, er ist zurückhaltend freundlich, aber im Prinzip ganz leer. Sicherlich ein Grund, warum Menschen um ihn herum das auf ihn projezieren, was sie brauchen: Die Gastfamilie, die ihn als Kindersatz aufnimmt. Eine Mitarbeiterin bei der Post, die naiv mit diesem jungen Mann anbändelt und seine Leere vielleicht als spannend und rätselhaft empfindet.

„Ich suche nach der Bedeutung der Dinge“, sagt Vann an einer Stelle, aber alles in seinem Leben ist bedeutungslos, und alle seine Taten sind bedeutungslos. Entsprechend unspektakulär erzählt der Film seine Geschichte: Vanns Arbeit bei der Post nimmt ebensoviel, wenn nicht mehr, narrativen Platz ein wie seine mit Gift ausgeführten Morde. Im Interview bezeichnet Fancher Vanns Leben als „Simulation“: Er bemüht sich, normale Dinge zu tun, aber er ist in allem wie ein seelenloser Android, der sich allein um Sinnhaftigkeit bemüht. Der Bogen von THE MINUS MAN zu BLADE RUNNER, zu dem Fancher das Drehbuch schrieb, ist also gar nicht allzu weit gespannt.

Wilsons Darstellung von Vann ist erstaunlich gut, weil er quasi Normalität spielt – also einen Menschen, der normal tut – und weil er unaufgesetzte Freundlichkeit vermittelt und keine Abgründe, und Fancher nutzt Wilsons hellblondes Unschuldsgesicht als Projektionsfläche, setzt seine gleichförmige Stimme als fast einlullende Präsenz ein. Auch das Ensemble um Wilson ist durchweg glaubwürdig: Erst die Reaktion der verschiedenen Figuren auf Vann zeichnet ihn ja für uns als Figur. Am Anfang des Films spielt Popsängerin Sheryl Crow einen heruntergekommenen Junkie, und ihre Darstellung ist so überzeugend, daß man sich wünscht, sie würde mehr spielen.

THE MINUS MAN ist kein spannender Film. Nicht im herkömmlichen Sinne. Es gibt keinen Plot, in dem Polizisten dem Täter auf die Spur kommen, keinen emotionsgeladenen Höhepunkt. Alles wird im gleichen, gemächlichen Tempo erzählt, und das Verstörende liegt – wie bei Vann selber – unter der alltäglichen Oberfläche. Aber gerade der Verzicht auf herkömmliche Serienkiller-Muster macht den Film zu einer einzigartigen, hochintelligenten Auseinandersetzung mit der Frage, warum es Menschen gibt, die zu solchen Schreckenstaten fähig sind. Vann, der eigenschaftslose Mann, will vielleicht einfach nur Spuren seiner eigenen Existenz hinterlassen.

The Minus Man (USA 1999)
Regie: Hampton Fancher
Drehbuch: Hampton Fancher
Musik: Marco Beltrami
Darsteller: Owen Wilson, Brian Cox, Janeane Garofalo, Mercedes Ruehl, Dennis Haysbert, Dwight Yoakam, Sheryl Crow, Larry Miller
Länge: 107 Minuten
FSK: 12

—————–
4 8 15 16 23 42






Avatar-Foto
Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





You might also like