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Die Pranke des Leoparden (1976)

The Wrong Bruce

Nachdem mein letzter Ausflug ins Land der fliegenden Shaolin, der krachenden Fäuste und der ontologischen Irreführungen unseren weisen Jedi-Meister Obi-Wahn dazu inspirierte, sich (mit bislang eher geringem Lustgewinn) ebenfalls auf die Suche nach alten Kung-Fu-Perlen zu begeben, will ich euch einen Bericht über den Film DIE PRANKE DES LEOPARDEN nicht vorenthalten. Räumen wir die brennendsten Fragen gleich beiseite: Laut Vorspann spielt „Bruce Lee“ mit (der echte, sozusagen), aber eigentlich ist es nur Archivmaterial, weil The Real Bruce 1980 einfach nicht mehr so den Afro hatte. Statt seiner füllt also „Bruce Le“ die Rolle des Bruce aus, was ihm nicht so schwerfällt, weil er genauso aussieht und genauso heißt. Ah, und im Original heißt unser heutiges Exponat übrigens BRUCE’S FINGERS, was uns schon zum Thema bringt: Die Fünf-Finger-Technik.

Sagenumwobene Kung-Fu-Techniken waren ja seit jeher ein Muß jedes Martial-Arts-Films, in denen sich ein unbedarfter Schüler auf die Suche nach einem Kampfstil macht, mit dem einfach alles und jeder Superman zu Brei geklopft werden kann: Der betrunkene Affe. Der flatternde Kranich. Der einarmige Bandit. Der hochschwangere steirische Bodybuilder. In diesem Fall ist es eben die Fünf-Finger-Technik, die so heißt, weil dabei jeder Finger zur todbringenden Waffe wird. Niedergeschrieben ist diese Technik in einer Kladde, die verdächtig nach meinen Schulheften aus der zweiten Klasse aussieht, und prompt stiehlt ein garstiger Mensch namens Li Hung das Heft und lacht sich ins Fingerfäustchen.

Bruce ist einstweilen mehr damit beschäftigt, seine Schwester zu retten. Die will er nämlich flugs mal besuchen, ding-dong, aber statt Schwester Phoebe steht irgendeine Tante oder Gouvernante oder arbeitslose Schauspielerin in der Tür, die Bruce verrät, Phoebe wohne nicht mehr da. „Wo wohnt sie denn jetzt?“ will Bruce wissen. „Sie ist mit einem Drogensüchtigen zusammengezogen,“ erklärt uns Tantchen mit dem emotionalen Tiefgang eines Jörg Zimmermanns. Schon sehen wir Phoebe (von der in der deutschen Synchronisation jeder glaubt, sie würde „Föhbe“ heißen) im Hotel Hasch, wo ihr Freund emphatisch auf sie einredet: „Föhbe, du mußt anschaffen gehen. Nur für einen Monat, dann kann ich meine Schulden bezahlen, und wir können heiraten.“ Föhbe ist sich unschlüssig.

Wieder ding-dong, schon befreit Bruce seine Schwester aus den Klauen des bad boyfriends, und dann geht’s drunter und drüber: Er versteckt sie bei einer arbeitslosen Schauspielerin, die nicht seine Tante ist, sondern sehr jung und potentiell duschszenengefährdet (leider wird hier dramaturgisches Potential verschenkt), und dann mopst Li Hung einfach beide. Bruce ist sauer, heuert diverse Sidekicks an, die kein Mensch auseinanderhalten kann, und holt sich Schwesterchen und Fingerfarben-Kladde zurück. Letzteres liest er dann zum ersten Mal, erlernt in nur wenigen Minuten die tödliche Technik, bevor Li Hung wieder Frauen und Schriftstücke in seine Sammlung einverleiben will. „Hier seid ihr sicher,“ sagt Bruce zu den ganzen Schnallen, bevor sie dann das dritte Mal (ich kam mit dem Zählen nicht mehr mit) entführt werden.

Bruce ist jetzt aber zuversichtlich: Er kann ja jetzt die Fünf-Finger-Zähltechnik. So geht er zu seinem Meister und demonstriert: Er kann ihm tatsächlich ein wertvolles Übungsgerät zu Kleinholz schlagen. „Für den Anfang ganz nett,“ lächelt der Meister und staunt dann aber nicht schlecht, als Bruce eine Bierdose mit nur einem ausgestreckten Finger öffnen kann. Bei Gelegenheit solltet ihr das mal ausprobieren, um euch von der Ungeheuerlichkeit der Übung zu überzeugen. Während Bruce also sein Bierchen zischt, nickt der Meister zufrieden: „Ich sehe, ihr seid bereit, zu lernen.“

Im Endkampf gegen Li Hung kämpfen dann alle Sidekicks gegen irgendwelche Henchmen, und ich hab‘ mich hauptsächlich daran orientiert, wer mit nacktem Oberkörper herumrennt. Der hat nämlich meistens gewonnen. Bruce himself tritt gegen den Shadowboss an, der die Kladde auch schon gelesen hat und sich somit als immun gegen die unbesiegbar machende Wieviel-Finger-waren’s-doch-gleich-Technik erweist. „Versuch’s doch mal mit dem Daumen,“ höhnt Li Hung (der Daumen wird wohl sonst nicht zu den fünf Fingern gerechnet), und dann – Matsch! – hat er auch gleich zwei Daumen im Gesicht. Seine Überraschung wird von den Filmemachern gekonnt auf den Zuseher transferiert, der sich mit einem Standbild (Daumen im Gesicht) und dem eingeblendeten Wort „Ende“ konfrontiert sieht. Naja, wen interessiert auch das Umarme und Geseiere am Schluß.

Demnächst in diesem Theater: BRUCE LEE – DER UNBESIEGTE (mehr Bruceploitation mit Le, not Lee) und DAS TODESLIED DES SHAOLIN. Es elfoldelt totale Konzentlation.

Die Pranke des Leoparden (Hongkong 1976)
Originaltitel: Bruce’s Fingers
Regie: Joseph Kong
Darsteller: Bruce Le, Michael Chan Wai Man, Lo Lieh
FSK: 16 (gekürzt)

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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