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Alte Säcke!

Heute morgen lief mir Wolfgang Görtschacher über den Weg. Ob ich heute abend ins Rockhouse komme, wollte er wissen. Da spiele nämlich Manfred Mann’s Earth Band. „Was denn, die leben noch??“ platzte ich heraus – die hatten ja in den 60ern mal einen Riesenhit mit „Do Wah Diddy“.

Ich find’s ja mal schön, wenn sich alte Recken aufschwingen und unbeirrt des modernen Jugendwahns weitermachen. Die Rolling Stones können touren und Platten aufnehmen, bis man sie horizontal von der Bühne trägt. Nun weiß ich aber nicht genau, ob Manns Gruppe auch noch aufnimmt, oder ob sie wie die Eagles mit dem Programm der 70er im Gepäck durchs Land tingeln.

Hier brachte Wolfgang jetzt einen interessanter Aspekt auf: Bei Beethoven stört es uns ja auch nicht, wenn wir 500 Jahre später immer noch die Fünfte heruntergedudelt bekommen. Der Unterschied, so erklärte er, ist halt der, daß er bei der einen Gelegenheit einen Frack trägt und bei der anderen mit Lederhose und Bierchen in der Hand genießt. (Ich habe sicherheitshalber nicht nachgefragt, welche der beiden musikalischen Darbietung die Lederhose verdient.)

Das bringt mich durchaus zum Nachdenken: Warum stört es uns nicht, wenn wir den ollen Kram von Mozart hören, aber es ist lächerlich, wenn Drafi Deutscher in einer dieser SAT1-Zombie-TV-Shows wieder mal „Marmor, Stein und Eisen“ schmettert? Fangen wir mal so an: Beethoven himself spielt ja nicht mehr – und es liegt nicht am bösen Willen – und er hat Zeit seines Lebens immer weiterkomponiert und sich nicht auf vergangenen „Hits“ (die Fünfte ist ja in den Billboard-Charts gleich auf Platz #1 eingestiegen) ausgeruht. Auch die Stones machen neue Songs. Aber die Eagles? Die haben ja irgendwann einfach aufgehört, und tun jetzt immer noch so, als wären sie noch Mitte 20. Drafis Liebe bricht auch in hundert Jahren nicht, selbst dann, wenn die Säfte versiegt sind und der Hut zu Staub zerfällt.

Fragen wir mal andersherum: Wer spielt die Songs von Manfred Mann noch live, wenn Manfred Mann’s Earth Band zu Manfred Mann’s Heaven and Hell Band transformiert ist? (Es würde sich gerade ein Witz über Jefferson Airplane bzw. Starship anbieten, aber der mag sich gerade nicht so recht manifestieren.) Schön, das ist völlig nebensächlich, da Beethoven nie selbst gespielt hat und seine Musik immer darauf ausgelegt war, daß sie von einem Orchester gespielt wird.

Im Prinzip stört’s mich ja gar nicht, wenn die Eagles in fünfhundert Jahren immer noch durch Europa touren und „Hotel California“ spielen, als sei das Hippietum eine aufregende neue Entwicklung. Die wollen ja auch leben. Aber irgendwelche Kriterien muß es doch geben, mit denen man solche zurückgebliebenen Kapellen, die vom Verkauf von Erinnerungen leben, von solchen Musikern zu trennen, die weiterhin kreativ sind. Mich würd’s ja auch freuen, die Dire Straits in ihrer Originalbesetzung spielen zu sehen, unter Verzicht sämtlichen Materials nach MAKING MOVIES. Aber es wird nicht passieren, weil sich die Zeit nicht zurückdrehen läßt und Mark Knopfler eben mittlerweile an ganz anderen Dingen interessiert ist. Ich selbst entwickle mich ja auch weiter, finde Helloween nicht mehr die coolste Band der Welt, interessiere mich auch dafür, wohin Hancock jetzt geht.

Ich glaube mittlerweile, die Antwort hat irgendwas mit der Lederhose zu tun.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    2 Comments

    1. Zunächst mal ist Beethoven nicht als „Wickerl und die starken Männer“ durch die Lande getingelt. Auch haben die Wildecker Herzbuben bei seinem großen Benefiz-Openair für die Opfer des Kernkraftunglücks in Oberpullendorf nicht als Vorgruppe gespielt, wie auch in renommierten Musikzeitschriften immer wieder behauptet wird. Er hat aber in der von ihm gegründeten Taubstummenschule selbst Gesangsunterricht gegeben. Jetzt bin ich aber ein wenig vom Thema abgekommen. Also: Es gibt ja einen großen Unterschied zwischen Komponist und Performer. Der größte deutsche Komponist des 20. Jahrhunderts, Frank Farian, ist ja auch nie selbst aufgetreten, sondern hat Vanilla Ice und Bonny M. Tyler für sich singen lassen.
      Böse Zungen behaupten ja, dass es im 20. Jahrhundert in der Kunst nichts gäbe, das auf Dauer von Wert sein wird. Bullshit! Michael Jackson wird auch noch in hundert Jahren von den Päderasten dieser Welt als Gott verehrt werden.

    2. Natürlich unterscheiden wir zwischen Komponisten und Performern, aber das habe ich ja auch in meinem Eintrag erwähnt. Hallo? Die Earth Band schreibt ihre Songs ja selber, fällt also in beide Sparten. Ebenso wie die Eagles, die Stones. V-Ice hat natürlich nie etwas mit Frank Farian zu tun gehabt – du verwechselst ihn vielleicht mit Milli Vanilli. Zugegeben, die Geschmacksrichtung ist wohl die gleiche.

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